Die Ehebrecherin. Geri Schnell

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Die Ehebrecherin - Geri Schnell


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und fliehen.

      Die Entscheidung ist schnell gefallen, sie wartet noch die Abenddämmerung ab, dann geht sie zum Schrank und zieht sich an. Jetzt gibt es kein Zurück.

      Das Öffnen des Bullauges ist kein Problem. Die nächsten Schiffe sind weit weg, es wird niemandem auffallen. Über dem Bullauge ist eine Vorhangstange montiert, die nutz sie, um sich hochzuziehen. Mit den Beinen voran schiebt sie sich durchs Bullauge. Wenn sie jetzt stecken bleibt, ist alles umsonst. Sie dreht und wendet sich, dann ist sie durch und hängt, sich mit den Händen am Rand festhaltend, an der Schiffsseite. Wie weit es zum Wasser ist, kann sie in der Dämmerung nicht erkennen, noch ein kurzes Zögern, dann lässt sie sich fallen.

      Ihr Aufprall auf dem Wasser ist heftig, doch sie taucht wieder auf und schwimmt möglichst nahe an der Schiffswand und horcht, ob sich die Geräusche ändern. Es bleibt bei den üblichen Hafengeräuschen, ihr Sprung ins Wasser wurde nicht bemerkt. Sie schwimmt in Richtung Bug. Nun kann sie die Hafenmauer beobachten. Es herrscht noch viel Betrieb, es ist besser, wenn sie noch etwas wartet. Rittlings setzt sie sich auf die Nase am Bug und wartet ab. Dann realisiert sie, dass je länger sie in der Nähe des Schiffes bleibt, das Risiko steigt, dass man sie entdeckt. Sie muss es wagen. Zwanzig Meter entfernt, führt eine Treppe vom Wasser auf den Steg. Sie stösst sich ab und schwimmt auf die Treppe zu. Klatschnass steigt sie hoch und geht, ohne die Leute zu beachten in Richtung Stadt. Wo ist sie, was erwartet sie? Erleichtert stellt sie fest, die Leute tragen keine muslimische Kleidung. Sie ist weit genug von Saudi-Arabien entfernt.

      Vorsichtig folgt sie dem Menschenstrom, welcher sich mehrheitlich vom Hafen in Richtung Stadt bewegt. Alle scheinen ein Ziel zu haben, nur sie nicht. Sie lässt sich treiben. Niemand beachtet sie, sie verschwindet in der Masse. Die Luft ist schwül und ihr Rock ist schon bald wieder trocken. Ein Name auf einem Schild verrät, sie ist in Mumbai gestrandet.

      Mumbai

      Ihre muslimische Kleidung fällt nicht auf. Auch scheint sie niemand zu suchen. Das ist eine andere Welt. Keinen interessiert, was der andere macht. Ein krasser Unterschied zu ihrer Heimat. Da kontrolliert man jeden Schritt des Nachbarn. Kommt er verspätet zum Gebet? Ist die Kleidung korrekt? Erst in der eigenen Wohnung hat man gewisser Freiheiten, doch selbst da, wachen Vater und Mutter darauf, dass die Regeln eingehalten werden.

      Noch immer folgt sie dem Menschenstrom. Bei Kreuzungen wählt sie die Strasse, auf der am meisten Menschen sind. Ein ungewohntes Gefühl, sie wird nicht beachtet. Es ist ihr recht, das Wasser im Hafen war schmutzig und nun sind ihre Haare verklebt. Auch der Rock, der ist jetzt wieder trocken, aber total zerknittert. Noch immer geniesst sie ihre Freiheit. Ohne Kontrolle zu Leben ist etwas Neues für sie.

      Während sie durch die Strassen schlendert, beginnt sie nachzudenken. Mumbai? Die Stadt sagt ihr nichts, in Saudi-Arabien hört die Welt nach Riad und Mekka auf, danach gibt es nichts mehr. Einige Gebäude sind mit einer Flagge geschmückt. Nun erinnert sie sich, die Flagge könnte auf Indien hindeuten. Nur, das hilft ihr nicht weiter, über Indien weiss sie nichts, das wurde in der Schule nicht erwähnt und auch Elin hat sich nie mit Indien befasst. Eins ist ihr wichtig, Moslems sieht man hier keine, oder sie sind so gekleidet, dass man sie nicht erkennt. Von der Seite droht wenig Gefahr.

      Nun geht es darum, wie und wo sie die Nacht verbringen soll. Noch sind die Strassen voller Leute, die Stadt scheint nicht zu schlafen. Eigentlich braucht sie keinen Schlaf, die letzte Zeit hat sie sehr viel geschlafen. Auch der Hunger hält sich in Grenzen, trotzdem sucht sie nach einem ruhigeren Platz, die Gefahr entdeckt zu werden ist gering. Jetzt muss sie ihr Leben selber in die Hand nehmen.

      Nun ändert sie ihr Vorgehen. An Kreuzungen folgt sie der Strasse mit weniger Menschen. Schliesslich legt sie sich in einem verlassenen Park hinter einer Bank ins Gras und döst vor sich hin. Nun ist sie plötzlich allein. Passanten gehen vorbei, ohne sie zu beachten. Sie fühlt sich sicher, hier kann sie einige Stunden bleiben. Erfreut stellt sie fest, die Flucht aus Saudi-Arabien ist gelungen. Zu gerne hätte sie das Gesicht gesehen, welches der Kadi macht, wenn er erfährt, dass die Auspeitschung nicht stadtfinden kann, weil die Delinquentin verschwunden ist.

      Es ist noch dunkel, als sie aufwacht. Nun wird ihr bewusst, dass sie das Leben selber in die Hand nehmen muss. Bereits vor Sonnenaufgang erwacht die Stadt, auch in den Aussenbezirken langsam zum Leben. Der erste Tag als freie Frau beginnt. Was wird er ihr bringen? Doch frei sein, heisst auch, sich selber versorgen. Was kommt als nächstes?

      Sie steht auf und wagt sich wieder auf eine grössere Strasse. Es beruhigt sie, auch jetzt, da weniger Leute unterwegs sind, nehmen die Leute sie nicht wahr. Jeder hat genug mit sich selber zu tun. Sie gelangt in eine Strasse mit Hütten auf beiden Seiten. Vor der einen hängen Kleidungsstücke an der Wäscheleine. Masa bleibt stehen und beobachtet die Umgebung, weit entfernt sind noch Leute unterwegs, doch die entfernen sich weiter, ohne sie zu beachten.

      Die Versuchung ist zu gross. Sie will endlich ihren schwarzen Muslimrock loswerden. Sie schlüpft aus dem Rock und steht nackt auf der Strasse. Dann ergreift sie von der Wäscheleine vier Kleidungsstücke und schlüpft hinein. Nun sieht sie wie eine Einheimische aus. Ihren schwarzen Rock hängt sie an der Stelle auf, wo vorher die gestohlenen Kleider hingen, dann eilt sie davon. Alles bleibt ruhig. Nun beeilt sie sich, den Stadtteil zu verlassen. Zweifel kommen auf, sie hat gestohlen, beruhigt sich aber, es war für sie eine Notlage. Der schwarze Rock war sicher teurer, als dieser indische Rock und die dazu passenden Hosen. Nun fühlt sie, dass sie in der Stadt angekommen ist. Sie bevorzugt wieder die belebteren Strassen.

      Nun ist sie weit genug vom Ort ihres Diebstahls entfernt und sie beruhigt sich. Wie geht es weiter? Sie sieht ein Schild, das auf einen Strand hinweist. Zumindest deutet sie das Wellensymbol so, lesen kann sie es nicht, es ist in der lokalen Sprache geschrieben.

      Kurz darauf hört sie die Brandung. Vorbei an Verkaufsständen erreicht sie den Sandstrand. Nur wenige Leute stehen am Strand herum. Ab und zu steigt eine Frau bis zu den Knien ins Wasser, aber Leute im Badeanzug, wie sie es auf Bildern gesehen hatte, die Elin angeschaut hatte, sieht man keine. Sie setzt sich an eine Mauer, welche den Strand von einer Strasse trennt und beobachtet die Leute.

      In einiger Entfernung entdeckt sie eine Dusche. Eine Frau steht in ihrem Rock darunter und wäscht sich die Haare. Das sieht doch sehr verlockend aus. In einiger Entfernung wartet sie, bis die Frau fertig ist, dann tut sie es ihr gleich. Mit der Hand nimmt sie noch etwas Schaum auf, welcher dem Ablauf zuströmt. Es reicht, ihre Haare schäumen und sie spürt, wie das Öl herausgewaschen wird.

      Nach der ausgiebigen Wäsche geht sie zurück an ihren Platz und lässt die Haare und ihre Kleidung trocknen.

      Sie beobachte nun erneut die Leute, die mehrheitlich am Strand herumstehen. Sie ist beeindruckt, wie unbekümmert alles abläuft. Wenn sie an die Strandbesuche zuhause denke, wie verkrampft unsicher und ängstlich sich die Leute am Strand bewegen, weil sie Angst haben, sie könnten ein Gesetz des Islams übertreten, da ist die Atmosphäre hier ganz anders, viel gelöster. Es gibt keine Moschee, welche die Männer zu Gebet ruft. Es wird ihr bewusst, wie stark die Religion in Saudi-Arabien das Leben beherrscht. Doch wozu das alles? Ist das Leben nach dem Tod wichtiger als das wirkliche Leben? Hier leben die Leute im Jetzt, was wird aus ihnen nach dem Tod? Auf jeden Fall haben sie keine Angst davor und leben ihr vorbestimmtes Dasein.

      Nachdem ihre Haare trocken sind, fallen sie in sanften Wellen auf ihre Schulter. Im Unrat am Strand findet sie sogar einen Kamm und kann die Haare etwas ordnen. Nun kann sie sich wie eine einheimische Schönheit am Strand bewegen.

      Nur mit der schönen Haarpracht ist ihr Leben nicht einfacher geworden. Was ist nun das Dringendste? Sie hat bemerkt, dass nur wenige Leute englisch sprechen. Sie muss die örtliche Sprache erlernen. Einfacher gesagt als getan. Ein Sprachkurs kommt für sie nicht in Frage.

      Weiter unten am Strand sieht sie eine Gruppe von Kindern, welche zusammen

      spielen. Sie nähert sich der Gruppe so weit, dass sie hören kann, was die Kinder rufen. Die sind zum Glück sehr laut, wie sie es auch von Zuhause gewohnt ist. Mit wachem Blick und offenen Ohren verfolgt sie das Spiel der Kinder. Die lassen sich von Masa nicht stören. Masa wirft ihnen ab und zu einen Ball


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