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Читать онлайн книгу.wirklich aus Frankreich stammte – ging aber gewandt darüber hinweg, suchte gemeinsam mit Lady Brincknell passende Wäsche im Dutzend aus und ließ dann Kleider präsentieren, bis Helen ganz schwindelig wurde. Sie konnte nur noch schwächlich zustimmen, als Tageskleider in Lavendelblau, Hellblau, Weiß und Grün gestreift, Rosa und Creme und Abendroben in Silber, Kupfer, Zartblau und einem so kalten Rosé, dass es fast wie blasse Veilchenfarbe wirkte, ausgewählt und ihr anprobiert wurden.
„Mademoiselle hat eine ganz besonders hübsche Figur“, lobte Madame Lafleur. „Das wird sicher ein hervorragendes début.“
Helen öffnete schon den Mund, um zu widersprechen, aber ihre Arbeitgeberin kniff sie warnend in den Arm. „Ganz bestimmt“, sagte diese nach der Attacke, „Lady Helen wird Furore machen, das weiß ich.“
Was sollte das nun? Lady Brincknell würde sie doch nicht wirklich debütieren lassen? Eine Wildfremde, die bei ihr arbeitete und die außerdem für ein Debüt schon etwas zu alt war? Dreiundzwanzig… Debütantinnen waren im Allgemeinen höchstens achtzehn Jahre alt!
Verwirrt ließ sie sich einen eleganten dunkelblauen Mantel und einen Umhang mit einem herrlichen Pelzkragen überziehen und erkannte sich im Spiegel kaum wieder.
Befriedigt ordnete Lady Brincknell an, alles unverzüglich in ihr Stadthaus zu schicken, und zog mit der benommenen Helen weiter zur Putzmacherin.
Auch ein dunkelblauer Strohhut mit Schute und weißem Aufputz, ein kesses blassrosa Käppchen, ein silbernes Haarnetz und eine Pelzkappe wurden nebst Handschuhen in allen Längen und allen passenden Farben auf den Weg in die Mount Street geschickt, außerdem Stiefelchen, leichte Schuhe und Satinslipper für Abendveranstaltungen.
„Vorerst dürfte das genügen“, verkündete die Lady vergnügt und ungebrochen, während Helen trotz ihrer passiven Rolle völlig erschöpft war. „Wir fahren nach Hause und überlegen mit Jenny, was wir mit deinen Haaren anstellen. Und dann schicken wir Jenny noch einmal los, um den Kleinkram zu besorgen – Haarbänder, künstliche Blumen und was man eben noch so braucht.“
„Bitte“, entgegnete Helen mit schwacher Stimme, „keine künstlichen Blumen!“
„Oh?“, machte die Lady.
„Ich möchte gewiss nicht undankbar scheinen, aber künstliche Blumen waren mir immer schon zuwider. Frische Blumen oder gar keine, bitte.“
Das trug ihr einen leichten Schlag mit dem geschlossenen Fächer ein. „Sehr gut, Kindchen. Ach ja, Jenny, zwei Fächer brauchen wir. Schlicht. Einer cremeweiß, einer in einem mittleren Blau. Das dürfte zu dunklem Haar und blauen Augen am besten passen. Wir werden Lady Helen als eine Dame von untadeligem, aber schlichtem Geschmack herausbringen. Nichte Überladenes, keine Eitelkeiten. Gut so, Kindchen.“
„Wunderbar, danke sehr, Mylady“, krächzte Helen erschöpft.
„Und wo gehen wir als erstes hin?“, überlegte die Lady voll Tatendrang.
Helen riss die Augen auf. „Noch mehr Einkäufe? Oh bitte, Mylady, ich kann nicht mehr… und Sie haben mir schon so viel geschenkt, ich kann Ihnen das doch nie vergelten!“
Lady Brincknell lachte. „Kindchen, du hast mir schon so viel Vergnügen geschenkt. Kleider auszusuchen für eine junge, schöne Frau ist doch viel amüsanter als mit Madame Lafleur zu überlegen, was ich in meinem Alter noch tragen kann. Immerhin bin ich schon sechzig Jahre alt – aber erzähle das ja nicht weiter!“
Helen lächelte in sich hinein; die Dame sah auch keinen Tag jünger aus als sechzig Jahre, da musste man nichts herumerzählen. „Gewiss nicht, Mylady. Aber kann ich denn sonst gar nichts für Sie tun?“
„Doch, natürlich. Zunächst fahren wir nach Hause und du gönnst dir eine Ruhepause auf deinem Zimmer. Und dann darfst du mir während des Tees das Interessanteste aus der Morning Post vorlesen. Morgen Vormittag sichten wir gemeinsam deine Ausstattung und kontrollieren, ob auch nichts fehlt. Sollten wir noch etwas benötigen, ziehen wir morgen noch einmal los – aber nicht so lange wie heute. Und morgen Abend bin ich eingeladen.“
„Da wünsche ich Ihnen dann viel Vergnügen Mylady.“ Helen verneigte sich leicht auf ihrem Sitz.
„Das wünsche ich dir dann auch, denn du wirst mich natürlich begleiten, Helen – was dachtest du, was alles zu den Aufgaben einer Gesellschafterin gehört?“
„Oh. Ja, wenn Sie das wünschen, begleite ich Sie selbstverständlich gerne. Darf ich fragen, welche Art Einladung das ist? Ich war nämlich noch nie eingeladen. Mein Vater pflegte mit den Nachbarn ja keine derartigen Beziehungen, fürchte ich.“
„Ein ganz harmloser, ruhiger Tanzabend bei Lady Overton. Was haben Sie denn, Kindchen? Sie werden ja ganz blass? Kennen Sie Lady Overton?“
„Nein, nein. Ich kenne in London außer Ihnen, Mylady, und meiner guten Miss Linhart doch überhaupt niemanden. Aber – ich muss dort doch gewiss nicht tanzen? Ich gelte doch als Teil Ihrer Dienerschaft?“
Lady Brincknell legte den Kopf schief und betrachtete ihr Gegenüber nachdenklich. Der Wagen rumpelte um eine Ecke und hielt schließlich an.
„Du kannst nicht tanzen, stimmt´s?“ verkündete die Lady schließlich und machte sich bereit, auszusteigen, als der Schlag geöffnet wurde und ein Diener die Stufen herausklappte und seiner Herrin dann ehrerbietig den Arm reichte.
Helen folgte ihr erleichtert, als letzte stieg Jenny aus, die Helen zuflüsterte: „Das kann man lernen. Mylady wird einen Tanzmeister bestellen und im Handumdrehen wissen Sie, wie es geht.“
„Meinen Sie wirklich?“, flüsterte Helen zurück.
„Ich kenne doch Mylady!“
Nun, das hatte Helen nicht gemeint, aber nun waren sie an den Stufen des Hauses angekommen und Ihre Ladyschaft hatte sich zu ihnen umgedreht. Da ziemte es sich nicht mehr, zu tuscheln.
Helen folgte ihrer Herrin artig in den Salon und nahm gehorsam Platz.
„Du kannst also nicht tanzen“, griff Lady Brincknell ihren letzten Satz wieder auf.
„Ja, Mylady. Ich -“
„Sag nichts, ich weiß schon, dein Vater hat sich mal wieder um nichts gekümmert. Northbury ist in der Gesellschaft durchaus bekannt. Viele Adelige spielen – es gilt ja als sehr schick -, aber nur wenige übertreiben es derartig und vernachlässigen so ihre Pflichten gegen Familie und Besitz. Sag mir, hattest du nicht auch einen Bruder?“
„Das stimmt, Mylady. Lionel. Er war unserem Vater sehr ähnlich und ebenfalls vom Spiel besessen. Eines Tages hat er sich mit jemandem darüber gestritten, ob die Karten gezinkt oder die Würfel beschwert waren – genau weiß ich es nicht – jedenfalls fühlte sich der andere beleidigt und forderte ihn. Er war dann wohl auch der bessere Schütze – oder Lionel hatte von den durchspielten und durchzechten Nächten keine ruhige Hand, jedenfalls hat der andere ihn erschossen. Ich glaube, das hat meinen Vater dann endgültig in die Besessenheit getrieben. Vielleicht verständlich.“
„Findest du, Kindchen?“
„Nun, er hatte keinen Erben mehr – wozu dann das Erbe erhalten?“
„Väter, die sich nicht um ihre Töchter kümmern, waren mir schon immer ein Gräuel“, verkündete Lady Brincknell. „Du hättest Anspruch auf eine anständige Mitgift und ein angemessenes Debüt in der Gesellschaft gehabt. Zwei, drei Saisons – und du wärst jetzt sehr angenehm verheiratet. Aber solche Rabenväter sind nicht allzu selten. Auch deshalb ist es mir ein Bedürfnis, dich angemessen zu präsentieren – von dem Spaß, den mir das ganze Drumherum macht, ganz zu schweigen.“
„Das freut mich natürlich, Mylady, aber bedenken Sie doch – die Kosten!“
„Papperlapapp, Helen, du weißt ja gar nicht, wie wohlhabend ich bin. Das spüre ich gar nicht.“
„Nun ja – aber Sie haben doch bestimmt Verwandte, die Ihnen das übelnehmen? Weil sie finden, dass das Geld doch wohl eher ihnen zugutekommen sollte.“