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hast du diese Rente eigentlich?“

      Miss Linhart lächelte gedankenverloren. „Ach ja… bevor ich mich um dich gekümmert habe, war ich bei einem Witwer, dessen kleinen Sohn ich betreut und erzogen habe, bis es für ihn Zeit war, in die Schule zu gehen, nach Harrow. Und dieser Witwer war der Ansicht, ich hätte seinem Sohn sehr schön die Mutter ersetzt, also war er mir dankbar und hat mir eine Rente ausgesetzt. Solange ich danach auf Norwood Abbey lebte, konnte ich davon etwas ansparen – sehr beruhigend, mein Kind! – und danach fand ich, dass ich alt genug sei, um mich in ein bescheidenes eigenes Leben zurückzuziehen. Und hier sitze ich nun.“

      „Hier sitzt du nun“, wiederholte Helen. „Mir hast du auch die Mutter ersetzt, du Liebe, Gute. Aber mein Vater hat höchstens versucht, an deinem Lohn zu sparen. Ich weiß, das ist untöchterlich, aber ich kann ihn nicht leiden. Er ist ein schlechter Mensch – und ich hoffe, er kommt nie zurück!“

      Miss Linhart lächelte. „Untöchterlich – aber verständlich. Ich fürchte, er hat dich wirklich schandbar behandelt und seine Pflichten aufs Gröbste vernachlässigt!“ Als sei sie damit zu weit gegangen, senkte sie sittsam den Blick wieder auf ihre Stickerei. „Heute Nachmittag werde ich die Borten, die wir schon fertiggestellt haben, bei Madame Angélique abliefern.“

      „Das kann ich doch tun, Linny, dann kannst du dich einmal ausruhen“, schlug Helen vor. Sie freute sich auch darauf, einmal durch die aufregenden Straßen Londons zu gehen, denn noch kannte sie nur den Weg von der Poststation zur Wohnung von Miss Linhart.

      Diese zweifelte, ob dies ein guter Plan sei. „Kind, du weißt ja gar nicht, wie gefährlich das sein kann! Es gibt dort Diebe und Räuber und alleinstehende – äh - Herren. Sie könnten dich sehr unehrerbietig ansprechen, hast du keine Angst davor?“

      „Nein“, antwortete Helen zuversichtlich. „Sie werden ein harmloses Dienstmädchen kaum beachten. Du kannst mir doch sicher ein Häubchen leihen?“

      7

      Sir Adam lehnte sich zufrieden zurück und legte die Feder zur Seite, mit der er gerade für seinen Sekretär einige Anweisungen notiert hatte. Ja, die neuen Maschinen für die Textilfabrik im Norden würden die Produktion gewiss erhöhen – und er war sicher, sie einsetzen zu können, ohne Arbeiter zu entlassen. Im Gegenteil, die Gegend bot wenig Gelegenheit zur Arbeit, der feuchte Boden war auch wegen der häufigen Überschwemmungen landwirtschaftlich nicht allzu ergiebig. Da verschaffte eine der wenigen neuartigen Fabriken den Bewohnern eine vernünftige Möglichkeit, sich und ihre Familien zu ernähren. Wenn man keine Hungerlöhne zahlte, hieß das freilich.

      Den Damm im Osten sollte er noch besser befestigen lassen, überlegte er und notierte sich dazu einige Gedanken. Ja, und in diesen neugegründeten Fonds wollte er auch investieren; Kanalbau und Straßenbau waren für England dringend notwendig und würden die Transportmöglichkeiten englischer Waren auch zu den Seehäfen gewaltig verbessern. Dieses Unterfangen konnte Kapital brauchen und würde bestimmt auch angemessene Gewinne erzeugen.

      Er lächelte. Von den Gewinnen könnte er zum Beispiel Norwood Abbey wieder in den alten Glanz versetzen lassen…

      Die geflohene Lady Helen hatte er bis jetzt allerdings noch nicht aufspüren können. Die einzige dürftige Information hatte er von Butler Montey erhalten – das Mädchen hatte sich zur Poststation begeben.

      Sie konnte ihrem Vater auf den Kontinent gefolgt sein, aber das bezweifelte er eigentlich – wer sollte einem Vater, der einen so im Stich gelassen hatte, auch noch nachlaufen? Natürlich wusste er nicht, wie eine junge Dame darüber dachte, die ja nicht dazu erzogen worden war, für sich selbst einzutreten, aber das, was er bisher – von Montey – über Lady Helen gehört hatte, sprach dafür, dass sie über eine gewisse Energie verfügte.

      Die andere Möglichkeit bedeutete aber, dass sie nach London gereist war, denn Angehörige besaß sie im ganzen Land nicht mehr, das hatte er feststellen können. Ihm schauderte bei dem Gedanken, was aus einer vornehmen jungen Dame werden konnte, die in der wüsten Hauptstadt ohne Geld auf sich alleine gestellt war.

      Aber vielleicht wusste der Familienanwalt etwas? Die Übertragung von Norwood Abbey hatte zwar brieflich stattgefunden, aber er hatte ja die Adresse.

      Er klingelte und bat den eintretenden Diener, Mr. Rathesom zu ihm zu schicken.

      James Rathesom, sein junger Sekretär, trat nur wenige Momente später ein und verbeugte sich ehrerbietig.

      „James, setzen Sie sich bitte mit dem Anwalt Northburys in Verbindung und erfragen Sie, ob er etwas über den Verbleib von Lady Helen Norwood aussagen kann. Sie dürfen gerne andeuten, dass wir der Lady in ihrer prekären Lage behilflich sein wollen – in allen Ehren natürlich.“ Er grinste dem Sekretär etwas schief zu, und dieser lächelte zurück, dann nickte er. „Ich werde mich unverzüglich darum kümmern. Haben Sie sonst noch einen Auftrag für mich, Sir?“

      8

      Miss Linhart hatte nun tatsächlich erlaubt, dass Helen, so schlicht wie möglich gekleidet, ganz alleine die fertigen Borten zu Madame Angélique bringen durfte.

      So schlicht wie möglich?, überlegte Helen, als sie sich auf den Weg machte, ein Dienstmädchenhäubchen auf dem Kopf. Sie hatte doch ohnehin nur vier Kleider aus Norwood Abbey mitgenommen, denn mehr hatte sie ja nicht besessen. Und alle vier waren mehr oder weniger abgetragen, gewendet, in mühsamer Kleinarbeit aufgearbeitet und aufgeputzt. Das Blaue sogar mit einem Stück Vorhangschnur, das sie auf dem Norwoodschen Dachboden gefunden hatte…

      Die Straßen wurden zusehends belebter und Helen sah sich, das Päckchen mit den Borten fest unter den Arm geklemmt, eifrig um, während sie munter ausschritt. Die vielen Wagen! Die kostbaren Pferde! Und die vielen Menschen, so gut gekleidet!

      Nun, nicht alle – manche wirkten schon sehr elend, in zerlumpter Kleidung, manche Frauen ausgezehrt und mit mitleiderregenden Säuglingen im Arm, die andere Hand bettelnd ausgestreckt. Sie hatte gar kein Geld dabei, sonst hätte bestimmt jeder dieser Frauen etwas gegeben damit sie sich und ihren unglücklichen Kindern etwas Nahrhaftes kaufen konnten.

      Die Kontraste in London übertrafen die auf dem Land bei weitem, stellte sie fest. Auf Norwood ging es allen nicht so besonders, weil ihr Vater nichts in den Besitz stecken wollte, aber den Armen ging es besser als in London und die Herrschaft lebte nicht annähernd so gut wie zum Beispiel die ältere Dame, die gerade, reich gekleidet, aus dem glänzenden Landauer mit den zwei edlen Füchsen davor stieg, von einer Zofe fürsorglich gestützt.

      Alleine schon das reich bestickte Retikül, das sie lässig in ihrer freien Hand hielt! Bestimmt war das kostbarste Seide!

      In diesem Moment rannte ein schmutziger Knirps die Straße entlang, schlüpfte zwischen der Dame und ihrer Zofe hindurch, riss dabei das Retikül an sich und hastete davon, direkt auf Helen zu.

      Die packte ihn instinktiv am Kragen und schüttelte ihn. Als sie das spitze, graue Gesichtchen sah, das verzweifelt zu ihr aufsah, packte sie das Mitleid. Sie nahm ihm seine Beute ab und zischte: „Lauf, was du kannst! Oder willst du gehängt werden?“

      „Auch nich schlimmer als Verhungern“, antwortete er und jagte davon. Helen ging, das Retikül in der ausgestreckten Hand, auf die Dame zu, die immer noch verdutzt am Straßenrand stand, und hielt ihr das Täschchen hin.

      „Hier, bitte, Mylady. Ihr Retikül.“

      „Danke“, antwortete die Dame. „Aber warum hast du den Dieb nicht festgehalten, Mädchen? Wir hätten ihn einem Konstabler übergeben sollen.“

      „Vielleicht, Mylady, aber er war vielleicht fünf Jahre alt und halb verhungert. Ist das nicht etwas zu jung, um am Galgen zu enden?“

      Die Dame, die um die sechzig sein mochte, nickte. „Du bist ein kluges Kind, Mädchen. Wie heißt du denn?“

      Helen, die sich schon ganz in ihre Dienstbotenrolle eingelebt hatte, knickste ehrerbietig. „Helen Norwood, zu dienen, Mylady.“

      „Und wie alt?“

      „Dreiundzwanzig,


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