Castellio gegen Calvin. Stefan Zweig

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Castellio gegen Calvin - Stefan Zweig


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Entproblematisierung des Daseins bildet das eigentliche Ferment, das allen sozialen und religiösen Propheten die Wege ebnet: immer braucht nur, wenn die Ideale einer Generation ihr Feuer, ihre Farben verloren haben, ein suggestiver Mann aufzustehen und peremptorisch zu erklären, er und nur er habe die neue Formel gefunden oder erfunden, und schon strömt das Vertrauen von Tausenden dem angeblichen Volkserlöser oder Welterlöser entgegen – immer erschafft eine neue Ideologie (und dies ist wohl ihr metaphysischer Sinn) zunächst einen neuen Idealismus auf Erden. Denn jeder, der Menschen einen neuen Wahn der Einheit und Reinheit schenkt, holt zunächst aus ihnen die heiligsten Kräfte heraus: ihren Opferwillen, ihre Begeisterung. Millionen sind wie in einer Bezauberung bereit, sich nehmen, befruchten, ja vergewaltigen zu lassen, und je mehr ein solcher Verkünder und Versprecher von ihnen fordert, desto mehr sind sie ihm verfallen. Was gestern noch ihre höchste Lust, ihre Freiheit gewesen, das werfen sie ihm zuliebe willig weg, um sich nur noch widerstandsloser führen zu lassen, und das alte taciteische »ruere in servitium« erfüllt sich aber und abermals, daß in einem feurigen Rausch der Solidarität die Völker sich freiwillig in Knechtschaft stürzen und die Geißel noch rühmen, mit der man sie schlägt.

      Nun läge an sich für jeden geistigen Menschen ein Erhebendes in dem Gedanken, daß es immer wieder eine Idee ist, diese immateriellste Kraft auf Erden, welche solche unwahrscheinliche Suggestionswunder in unserer alten, nüchternen und technisierten Welt vollbringt, und man geriete leicht in Versuchung, diese Weltbetörer zu bewundern und zu rühmen, weil es ihnen gelingt, vom Geiste her die stumpfe Materie zu verwandeln. Aber verhängnisvollerweise entlarven sich gerade diese Idealisten und Utopisten sofort nach ihrem Sieg fast immer als die schlimmsten Verräter am Geist. Denn Macht treibt zur Allmacht, Sieg zum Mißbrauch des Siegs, und statt sich zu begnügen, viele Menschen so sehr für ihren persönlichen Wahn begeistert zu haben, daß sie freudig bereit sind, für ihn zu leben und sogar zu sterben, fallen diese Konquistadoren alle der Versuchung anheim, Majorität in Totalität zu verwandeln und auch den Parteilosen ihr Dogma aufzwingen zu wollen; nicht genug haben sie an ihren Gefügigen, ihren Trabanten, ihren Seelensklaven, an den ewigen Zuläufern jeder Bewegung – nein, auch die Freien, die wenigen Unabhängigen wollen sie als ihre Lobpreiser und Knechte, und um ihr Dogma als alleiniges durchzusetzen, brandmarken sie von Staats wegen jede Andersmeinung als Verbrechen. Ewig erneut sich dieser Fluch aller religiösen und politischen Ideologien, daß sie in Tyranneien ausarten, sobald sie sich in Diktaturen verwandeln. Im Augenblick aber, da ein Geistiger nicht mehr der immanenten Gewalt seiner Wahrheit vertraut, sondern zur Brachialgewalt greift, erklärt er der menschlichen Freiheit den Krieg. Gleichgültig, welche Idee immer – jede und jedwede ist von der Stunde an, da sie zum Terror greift, um fremde Überzeugungen zu uniformieren und zu reglementieren, nicht mehr Idealität, sondern Brutalität. Selbst die reinste Wahrheit, wenn andern mit Gewalt aufgezwungen, wird zur Sünde wider den Geist.

      Doch der Geist ist ein geheimnisvolles Element. Ungreifbar und unsichtbar wie die Luft, scheint er nachgiebig in alle Formen und Formeln zu passen. Und dies verlockt immer wieder die despotischen Naturen zu dem Wahn, man könne ihn gänzlich niederpressen, verschließen, verstöpseln und gehorsam auf Flaschen ziehen. Aber mit jeder Unterdrückung wächst sein dynamischer Gegendruck, und gerade, wenn zusammengepreßt und komprimiert, wird er zum Sprengstoff, zum Explosiv; jede Unterdrückung führt früher oder später zur Revolte. Denn die moralische Selbständigkeit der Menschheit bleibt auf die Dauer – ewiger Trost dies! – unzerstörbar. Nie ist es bisher gelungen, der ganzen Erde eine einzige Religion, eine einzige Philosophie, eine einzige Form der Weltanschauung diktatorisch aufzuzwingen, und nie wird es gelingen, denn immer wird der Geist sich jeder Knechtschaft zu erwehren wissen, immer sich weigern, in vorgeschriebenen Formen zu denken, sich verflachen und flau machen, sich kleinschalten und gleichschalten zu lassen. Wie banal und wie vergeblich darum jedes Bemühen, die göttliche Vielfalt des Daseins auf einen einzigen Nenner bringen zu wollen, die Menschheit schwarz oder weiß aufzuteilen in Gute und Böse, in Gottesfürchtige und Ketzer, in Staatsgehorsame und Staatsfeinde auf Grund eines bloß mit dem Faustrecht durchgesetzten Prinzips! Allezeit werden sich unabhängige Geister finden zur Auflehnung gegen eine solche Vergewaltigung der menschlichen Freiheit, die »conscientious objectors«, die entschlossenen Dienstverweigerer jedes Gewissenszwanges, und nie konnte eine Zeit so barbarisch sein, nie eine Tyrannei so systematisch, daß nicht immer einzelne es verstanden hätten, der Massenvergewaltigung zu entweichen und das Recht auf eine persönliche Überzeugung gegen die gewalttätigen Monomanen ihrer einen und einzigen Wahrheit zu verteidigen.

      Auch das sechzehnte Jahrhundert, obzwar ähnlich überreizt in seinen gewalttätigen Ideologien wie das unsere, hat solche freie und unbestechliche Seelen gekannt. liest man die Briefe der Humanisten aus jenen Tagen, so fühlt man brüderlich ihre tiefe Trauer über die Verstörung der Welt durch die Gewalt, ergriffen leidet man ihren Seelenabscheu vor den stupiden marktschreierischen Ankündigungen der Dogmatiker mit, deren jeder verkündet: »Was wir lehren, ist wahr, und was wir nicht lehren, ist falsch.« Ach, welches Grauen schüttelt diese abgeklärten Weltbürger vor diesen unmenschlichen Menschheitsverbesserern, die in ihre schönheitsgläubige Welt eingebrochen sind und mit Schaum vor dem Munde ihre gewalttätigen Orthodoxien proklamieren, oh, wie ekelt es sie zutiefst vor diesen Savonarolas und Calvins und John Knox', welche die Schönheit auf Erden abtöten wollen und die Erde in ein Moralseminar verwandeln! Mit tragischer Hellsichtigkeit erkennen alle jene weisen und humanen Menschen das Unheil, das diese rasenden Rechthaber über Europa bringen müssen, schon hören sie hinter diesen eifernden Worten die Waffen klirren und erahnen in diesem Haß den kommenden, den fürchterlichen Krieg. Aber wenn auch um die Wahrheit wissend, wagen diese Humanisten doch nicht, für sie zu kämpfen. Fast immer sind im Leben die Lose geschieden, die Erkennenden nicht die Täter, und die Täter nicht die Erkennenden. Alle diese tragischen und trauernden Humanisten schreiben einander rührende und kunstvolle Briefe, sie klagen hinter verschlossenen Türen in ihren Studierstuben, aber keiner tritt vor und dem Antichrist entgegen. Ab und zu wagt Erasmus, ein paar Pfeile aus dem Schatten zu entsenden, Rabelais schlägt grimmigen Lachens mit der Peitsche zu, vom Narrenkleid gedeckt; Montaigne, dieser noble und weise Philosoph, findet in seinen Essais beredteste Worte, aber keiner versucht, ernstlich einzugreifen und auch nur eine einzige dieser infamen Verfolgungen und Hinrichtungen zu verhindern. Mit Rasenden, so erkennen diese Welterfahrenen und darum vorsichtig Gewordenen, soll der Weise nicht streiten; besser, man flüchtet in solchen Zeiten in den Schatten zurück, um nicht selber gefaßt und geopfert zu werden.

      Castellio aber – dies sein unvergänglicher Ruhm – tritt als einziger von all diesen Humanisten entschlossen vor und seinem Schicksal entgegen. Heldisch wagt er das Wort für die verfolgten Gefährten und damit sein eigenes Leben. Völlig unfanatisch, obwohl von den Fanatikern stündlich bedroht, durchaus leidenschaftslos, aber mit einer tolstoianischen Unerschütterlichkeit, hebt er wie ein Panier sein Bekenntnis über die grimmige Zeit, daß keinem Menschen eine Weltanschauung aufgezwungen werden und über das Gewissen eines Menschen keine irdische Macht auf Erden jemals Gewalt haben dürfe; und weil er dieses Bekenntnis nicht im Namen einer Partei, sondern aus dem unvergänglichen Geiste der Humanität gestaltet, sind seine Gedanken wie manche seiner Worte zeitlos geblieben. Immer bewahren, wenn von einem Künstler geformt, die allhumanen, die überzeitlichen Gedanken ihre Prägung, immer überdauert das weltverbindende Bekenntnis das einzelne doktrinäre und aggressive. Vorbildlich aber sollte vor allem im sittlichen Sinne für spätere Geschlechter der beispiellose und beispielgebende Mut dieses vergessenen Mannes bleiben. Denn wenn Castellio den von Calvin hingeopferten Servet allen Theologen der Welt zum Trotz einen unschuldig Gemordeten nennt, wenn er allen Sophismen Calvins das unsterbliche Wort entgegenschleudert: »Einen Menschen verbrennen heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern: einen Menschen töten«, wenn er in seinem Manifest der Toleranz (lange vor Locke, Hume, Voltaire und viel großartiger als sie) ein für allemal das Recht auf Gedankenfreiheit proklamiert, dann setzt dieser Mann für seine Überzeugung sein Leben als Pfand. Nein, man versuche nicht, Castellios Protest gegen den Justizmord an Miguel Servet mit den tausendmal berühmteren Protesten Voltaires im Fall Calas' und Zolas in der Affäre Dreyfus zu vergleichen – diese Vergleiche erreichen nicht entfernt die moralische Höhe seiner Tat. Denn Voltaire, als er den Kampf für Calas unternimmt, lebt schon in einem humaneren Jahrhundert; überdies steht hinter dem weltberühmten Dichter die Protektion von Königen, von Fürsten, und ebenso schart sich wie eine unsichtbare Armee hinter Emile


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