Castellio gegen Calvin. Stefan Zweig

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Castellio gegen Calvin - Stefan Zweig


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Ja. Die rebellischen Geistlichen werden ihrer Ämter entsetzt und energisch angewiesen, binnen drei mal vierundzwanzig Stunden die Stadt zu verlassen. Die Strafe des Exils, die Calvin in den letzten achtzehn Monaten so vielen Bürgern dieser Stadt angedroht, nun hat sie ihn selber getroffen.

      Der erste Ansturm Calvins auf Genf ist mißlungen. Aber ein solcher Rückschlag bedeutet im Leben eines Diktators nichts Gefährliches. Im Gegenteil, beinahe zwanghaft gehört es zum endgültigen Aufstieg eines unbeschränkten Machthabers, daß er im Anfang einen solchen dramatischen Niederbruch erleidet. Exil, Gefängnis, Verbannung erweisen sich für die großen Weltrevolutionäre niemals als Hemmungen, sondern immer nur als Förderungen ihrer Popularität; um von der Masse vergöttert zu werden, muß man Märtyrer gewesen sein, und eben die Verfolgung durch ein verhaßtes System schafft einem Volksführer erst die seelische Vorbedingung seines späteren entscheidenden Massenerfolges, weil sich durch jede sinnfällige Prüfung der Nimbus des zukünftigen Führers vor dem Volke ins Mystische erhöht. Nichts ist notwendiger für einen großen Politiker, als zeitweise in den Hintergrund zu treten, denn gerade durch sein Unsichtbarsein wird er zur Legende; wie eine Wolke umschwebt die Fama glorifizierend seinen Namen, und wenn er wiederkehrt, tritt er einer hundertfach gesteigerten Erwartung entgegen, die sich ohne sein Zutun gleichsam atmosphärisch gebildet hat. Beinahe alle Volkshelden der Geschichte haben die stärkste Gefühlsgewalt über ihre Nation gewonnen durch ihr Exil: Cäsar in Gallien, Napoleon in Ägypten, Garibaldi in Südamerika, Lenin im Ural sind stärker geworden durch ihre Abwesenheit, als sie es durch ihre Gegenwart gewesen wären, und so auch Calvin.

      Freilich, in jener Stunde der Vertreibung scheint Calvin aller Voraussicht nach ein erledigter Mann. Seine Organisation ist zerschlagen, sein Werk völlig gescheitert und nichts von seiner Leistung geblieben als die Erinnerung an einen fanatischen Ordnungswillen und ein paar Dutzend verläßlicher Freunde. Aber zu Hilfe kommen ihm, wie immer allen politischen Naturen, die, statt zu paktieren, in gefährlichen Augenblicken entschlossen zurücktreten, die Fehler seiner Nachfolger und Gegner. Mit Mühe hat der Magistrat statt der imposanten Persönlichkeiten Calvins und Farels ein paar gefügige Prediger gefunden, die aus Angst, durch scharfe Maßnahmen beim Volke mißliebig zu werden, lieber die Zügel lässig am Boden schleifen lassen, statt sie straff anzuziehen. Unter ihnen gerät der von Calvin so energisch und sogar überenergisch begonnene Aufbau der Reformation in Genf baldigst ins Stocken, und eine solche Unsicherheit in Glaubensdingen bemächtigt sich der Bürger, daß die verdrängte katholische Kirche allmählich neuen Mut faßt und versucht, durch kluge Unterhändler Genf wieder für den römischen Glauben zurückzuerobern. Die Situation wird kritisch und immer kritischer; nach und nach beginnen dieselben Reformierten, denen Calvin zu hart und zu streng gewesen, sich zu beunruhigen und zu fragen, ob eine solche eherne Zucht schließlich nicht doch wünschenswerter gewesen sei als das drohende Chaos. Immer mehr der Bürger und sogar schon manche der einstigen Gegner drängen auf Rückberufung des Verbannten, schließlich sieht der Magistrat keinen andern Ausweg, als dem allgemeinen Volkswunsche Folge zu geben. Die ersten Botschaften und Briefe an Calvin sind noch leise und vorsichtige Anfragen; bald aber werden sie offener und dringlicher. Unverkennbar formt sich die Einladung zur Bitte: der Rat schreibt bald nicht mehr an den »Monsieur« Calvin, er möge zurückkommen, um der Stadt zu helfen, sondern bereits an den »Maître« Calvin; schließlich bitten geradezu kniefällig die ratlosen Ratsherren den »guten Bruder und einzigen Freund«, wieder die Stelle des Predigers zu übernehmen, und schon ist das Versprechen beigefügt: »sich so gegen ihn aufzuführen, daß er Grund haben werde, zufrieden zu sein«.

      Wäre Calvin nun ein kleiner Charakter und befriedigte ihn schon ein billiger Triumph, so könnte er sich mit der Genugtuung zufrieden geben, so flehentlich in die Stadt zurückberufen zu werden, die ihn zwei Jahre vordem verächtlich ausgestoßen. Aber wer alles begehrt, wird niemals mit Halbheiten sich abfinden lassen, und Calvin geht es in dieser seiner heiligsten Sache nicht um persönliche Eitelkeit, sondern um den Sieg der Autorität. Nicht ein zweites Mal will er bei seinem Werk von irgendeiner Obrigkeit gehemmt sein; wenn er zurückkehrt, darf es nur einen gültigen Willen in Genf geben: den seinen. Ehe sich die Stadt nicht mit gefesselten Händen ihm ganz zu eigen gibt und bindend erklärt, sich zu subordinieren (subordonner), verweigert Calvin jede Zusage, und mit taktisch übertriebenem Abscheu weist er lange Zeit die drängenden Angebote zurück. »Hundertmal lieber will ich in den Tod gehen, als noch einmal diese früheren qualvollen Kämpfe beginnen«, schreibt er an Farel. Keinen Schritt geht er seinen einstigen Gegnern entgegen. Als schließlich der Magistrat schon auf den Knien Calvin anfleht, er möge zurückkehren, wird sogar sein nächster Freund Farel ungeduldig und schreibt ihm: »Wartest Du am Ende darauf, daß Dich auch die Steine rufen?« Calvin jedoch bleibt fest, bis Genf sich auf Gnade und Ungnade ergibt. Erst da sie den Eid geleistet haben, den Katechismus und die geforderte »discipline« nach seinem Willen einzuhalten, da die Räte demütige Briefe an die Stadt Straßburg richten und die dortige Bürgerschaft brüderlich anflehen, sie mögen ihnen doch diesen unentbehrlichen Mann gönnen, erst da Genf sich nicht vor ihm allein, sondern auch vor der Welt erniedrigt hat, gibt Calvin nach und erklärt sich endlich einverstanden, sein altes Amt mit neuer Machtfülle zu übernehmen.

      Wie eine besiegte Stadt ihrem Eroberer, so bereitet sich Genf für den Einzug Calvins vor. Alles Erdenkliche wird getan, um seinen Unmut zu beschwichtigen. Die alten strengen Edikte werden eiligst in Kraft gesetzt, nur damit Calvin seine geistlichen Befehle schon im vorhinein durchgeführt finde, persönlich übernimmt es der Kleine Rat, eine passende Wohnung nebst Garten für den Ersehnten auszuwählen und die nötige Einrichtung bereitzustellen. Eigens wird die alte Kanzel in St. Pierre umgebaut, damit sie für seinen Vortrag bequemer und Calvins Gestalt jederzeit allen Anwesenden sichtbar sei. Ehrung folgt auf Ehrung: noch ehe Calvin von Straßburg aufgebrochen sein kann, wird ihm ein Herold entgegengesandt, damit er ihn bereits unterwegs im Namen der Stadt begrüße, auf Kosten der Bürgerschaft wird feierlich seine Familie eingeholt. Endlich, am 13. September, nähert sich der Reisewagen dem Tore von Cornavin, und sofort sammeln sich große Menschenmassen, um den Zurückgekehrten mit Jubel in die Mauern zu führen. Weich und gefügig wie Lehm hat Calvin nun die Stadt in seinen Händen, und er wird nicht ablassen, ehe er nicht aus ihr das Kunstwerk eines gestalteten Gedankens geschaffen. Von dieser Stunde sind sie nicht mehr voneinander zu lösen, Calvin und Genf, Geist und Form, der Schöpfer und sein Geschöpf.

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