Castellio gegen Calvin. Stefan Zweig

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Castellio gegen Calvin - Stefan Zweig


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und dieser Unterschied bleibt der entscheidende – ihr eigenes Leben wie Sebastian Castellio, der in seinem Kampfe um die Humanität mit ihrer ganzen mörderischen Wucht die Unhumanität seines Jahrhunderts erlitten.

      Voll und bis zur letzten Neige seiner Kraft hat Sebastian Castellio den Preis seines moralischen Heldentums gezahlt. Erschütternd, wie dieser Verkünder der Gewaltlosigkeit, der sich keiner als der bloß geistigen Waffe bedienen wollte, abgewürgt wurde von der brutalen Gewalt – ach, immer wieder wird man gewahr, wie aussichtslos jedesmal der Kampf bleibt, wenn ein einzelner, ohne andere Macht hinter sich als das moralische Recht, gegen eine geschlossene Organisation sich zur Wehr setzt. Ist es einer Doktrin einmal gelungen, sich des Staatsapparats und all seiner Pressionsmittel zu bemächtigen, dann schaltet sie unbedenklich den Terror ein; wer ihre Allmacht in Frage stellt, dem würgt sie das Wort in der Kehle und meist noch die Kehle dazu. Calvin hat Castellio nie ernstlich geantwortet; er hat vorgezogen, ihn stumm zu machen. Man zerreißt, man verbietet, man verbrennt, man beschlagnahmt seine Bücher, man erzwingt mit politischer Erpressung im Nachbarkanton ein Schreibeverbot, und kaum kann er nicht mehr antworten, nicht mehr berichtigen, so fallen die Trabanten Calvins verleumderisch über ihn her: bald ist es kein Kampf mehr, sondern nur die erbärmliche Vergewaltigung eines Wehrlosen. Denn Castellio kann nicht sprechen, nicht schreiben, stumm liegen seine Schriften in der Lade, Calvin aber hat die Druckerpressen und die Kanzel, die Katheder und die Synoden, den ganzen Apparat der Staatsgewalt, und mitleidslos läßt er ihn spielen; jeder Schritt Castellios ist überwacht, jedes Wort belauscht, jeder Brief abgefangen – was Wunder, daß eine solche hundertköpfige Organisation gegen den einzelnen die Oberhand behält; nur der vorzeitige Tod hat Castellio gerade noch vor dem Exil oder dem Brandstoß gerettet. Aber auch vor seiner Leiche macht der frenetische Haß der triumphierenden Dogmatiker nicht halt. Noch in die Grube werfen sie ihm wie fressenden Kalk Verdächtigungen und Verleumdungen nach und streuen Asche auf seinen Namen; das Angedenken an diesen einen, der nicht nur Calvins Diktatur, sondern überhaupt das Prinzip jeder geistigen Diktatur bekämpft, soll für alle Zeiten vergessen und verloren sein.

      Beinahe ist auch dies Äußerste der Gewalt wider den Gewaltlosen gelungen: nicht nur die zeitliche Wirkung dieses großen Humanisten hat jene methodische Unterdrückung erdrosselt, sondern für viele Jahre auch seinen Nachruhm; noch heute muß ein Gebildeter sich keineswegs schämen, den Namen Sebastian Castellios nie gelesen, nie vernommen zu haben. Denn wie ihn auch kennen, da die wesentlichsten seiner Werke von der Zensur für Jahrzehnte und Jahrhunderte dem Druck vorenthalten wurden! Kein Drucker in Calvins Nähe wagt sie zu veröffentlichen, und als sie dann lang nach seinem Tode erscheinen, da ist es schon zu spät für den gerechten Ruhm. Andere haben inzwischen Castellios Ideen übernommen, unter fremden Namen wird der Kampf weitergeführt, in dem er, der erste Führer, zu früh und fast unbemerkt gefallen. Manchen ist es verhängt, im Schatten zu leben, im Dunkel zu sterben – Nachfahren haben Sebastian Castellios Ruhm geerntet, und noch heute ist in jedem Schulbuch der Irrtum zu lesen, Hume und Locke seien die ersten gewesen, welche die Idee der Toleranz in Europa verkündet, als wäre Castellios Ketzerschrift nie geschrieben und nie gedruckt worden. Vergessen ist seine moralische Großtat, der Kampf um Servet, vergessen der Krieg gegen Calvin, »der Mücke gegen den Elefanten«, vergessen seine Werke – ein unzulängliches Bild in der holländischen Gesamtausgabe, ein paar Manuskripte in Schweizer und holländischen Bibliotheken, ein paar dankbare Worte seiner Schüler, das ist alles, was von einem Manne geblieben ist, den seine Zeitgenossen einhellig nicht nur als einen der gelehrtesten, sondern auch der edelsten Männer seines Jahrhunderts gerühmt. – Welch eine Dankesschuld ist an diesem Vergessenen noch zu begleichen! Welch ein ungeheures Unrecht hier noch zu sühnen!

      Denn die Geschichte, sie hat keine Zeit, um gerecht zu sein. Sie zählt als kalte Chronistin nur die Erfolge, selten aber mißt sie mit moralischem Maß. Nur auf die Sieger blickt sie und läßt die Besiegten im Schatten; unbedenklich werden diese »unbekannten Soldaten« eingescharrt in die Grube des großen Vergessens, nulla crux, nulla corona, kein Kreuz und kein Kranz rühmt ihre verschollene, weil vergebliche Opfertat. In Wahrheit aber ist keine Anstrengung, die aus reiner Gesinnung unternommen war, vergeblich zu nennen, kein moralischer Einsatz von Kraft geht jemals völlig im Weltall verloren. Auch als Besiegte haben die Unterlegenen, die zu früh Gekommenen eines überzeitlichen Ideals ihren Sinn erfüllt; denn nur, indem sie sich Zeugen und Überzeugte schafft, die für sie leben und sterben, wird eine Idee auf Erden lebendig. Vom Geiste aus gewinnen die Worte »Sieg« und »Niederlage« einen andern Sinn, und darum wird es not tun, immer und immer wieder eine Welt, die bloß auf die Denkmäler der Sieger blickt, daran zu mahnen, daß nicht jene die wahrhaften Helden der Menschheit sind, die über Millionen von Gräbern und zerschmetterten Existenzen ihre vergänglichen Reiche errichten, sondern gerade diejenigen, die gewaltlos der Gewalt unterliegen, wie Castellio gegen Calvin in seinem Kampf um die Freiheit des Geistes und um die endliche Herankunft der Humanität auf Erden.

      Die Machtergreifung Calvins

      Sonntag, den 21. Mai 1536 versammeln sich, feierlich von Fanfaren zusammengerufen, die Genfer Bürger auf dem öffentlichen Platz und erklären einhellig durch Händeerheben, daß sie von nun ab einzig »selon l'évangile et la parole de Dieu« leben wollten. Auf dem Wege des Referendums, dieser noch heute in der Schweiz üblichen erzdemokratischen Einrichtung, ist in der ehemaligen Bischofsresidenz die reformierte Religion als Stadt- und Staatsglauben, als das einzig gültige und erlaubte Bekenntnis eingeführt. Wenige Jahre hatten genügt, um den alten katholischen Glauben in der Rhônestadt nicht nur zurückzudrängen, sondern zu zerschmettern und auszurotten. Vom Pöbel bedroht, sind die letzten Priester, Domherren, Mönche und Nonnen aus den Klöstern geflüchtet, ausnahmslos alle Kirchen von Bildern und andern Wahrzeichen des »Aberglaubens« gereinigt. Dieser festliche Maitag besiegelt nun den endgültigen Triumph: von jetzt an hat der Protestantismus in Genf gesetzlich nicht nur die Obermacht und Übermacht, sondern die Alleinmacht.

      Diese radikale und restlose Durchsetzung der reformierten Religion in Genf ist im wesentlichen die Leistung eines einzigen radikalen und terroristischen Mannes, des Predigers Farel. Eine fanatische Natur, eine enge, aber eiserne Stirn, ein mächtiges und zugleich rücksichtsloses Temperament – »nie in meinem Leben ist mir ein so anmaßender und schamloser Mensch vorgekommen«, sagt von ihm der milde Erasmus –, übt dieser »welsche Luther« zwingende, bezwingende Macht über die Massen. Klein, häßlich, roten Bartes und struppigen Haares, reißt er von der Kanzel mit seiner donnernden Stimme und dem maßlosen Furor seiner Gewaltnatur das Volk in einen fiebernden Gefühlsaufruhr; wie Danton als Politiker, weiß dieser religiöse Revolutionär die verstreuten und versteckten Instinkte der Straße zusammenzurotten und anzufeuern zum entscheidenden Stoß und Angriff. Hundertmal hat vor dem Siege Farel sein Leben gewagt, mit Steinwürfen auf dem flachen Land bedroht, von allen Behörden verhaftet und geächtet; aber mit der primitiven Stoßkraft und Intransigenz eines Menschen, den nur eine einzige Idee beherrscht, zertrümmert er gewaltsam jeden Widerstand. Barbarisch bricht er mit seiner Sturmgarde in die katholischen Kirchen ein, während der Priester am Altar das Meßopfer darbringt, und besteigt eigenmächtig die Kanzel, um unter dem Tosen seiner Anhänger wider die Greuel des Antichrist zu predigen. Er formiert aus Straßenjungen ein Jungvolk, er dingt Scharen von Kindern, daß sie während des Gottesdienstes in die Kathedralen eindringen und durch Schreien, Quäken und Gelächter die Andacht stören; schließlich, durch den immer stärkeren Zustrom seiner Anhänger kühn gemacht, mobilisiert er seine Garden zum letzten Vorstoß und läßt sie gewalttätig in die Klöster einbrechen, die Heiligenbilder von den Wänden reißen und verbrennen. Diese Methode der nackten Gewalt zeitigt ihren Erfolg: wie immer schüchtert eine kleine, aber aktive Minorität, sofern sie Mut zeigt und mit Terror nicht spart, eine große, aber lässige Majorität ein. Zwar klagen die Katholiken über Rechtsbruch und bestürmen den Magistrat, jedoch sie bleiben gleichzeitig resigniert in ihren Häusern, und wehrlos überläßt am Ende der geflüchtete Bischof seine Residenzstadt der siegreichen Reformation.

      Aber nun im Triumphe zeigt es sich, daß Farel doch nur der Typus des unschöpferischen Revolutionärs gewesen, zwar fähig, durch Elan und Fanatismus eine alte Ordnung umzustoßen, doch nicht berufen, eine neue aufzurichten. Farel ist ein Schimpfer, aber kein Gestalter, ein Aufrührer, aber kein Aufbauer; er konnte grimmig Sturm laufen gegen die römische Kirche, die dumpfen Massen aufreizen zum Haß gegen Mönche und Nonnen,


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