Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

Читать онлайн книгу.

Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon


Скачать книгу
und Panik zu einer grollenden Lawine, die unabänderlich auf sie zuraste.

      Ludwig schaltete die kleine Lampe mit dem bunten, gläsernen Schirm an, die auf dem Fensterbrett zwischen den Blumentöpfen stand. Sie war ein Geschenk ihrer Eltern zu ihrem letzten Geburtstag gewesen. Das Licht der kleinen Lampe war viel zu schwach, um den ganzen Raum zu erhellen, aber es war freundlich und warm und es half ein wenig gegen die zunehmende Dunkelheit des Raumes. Vorsichtig setzte er sich neben Tilda, als hätte er Angst davor, ihr näher zu kommen. Er streichelte ihr sanft übers Gesicht und ließ seine Hand tröstend auf ihrer Schulter liegen. Erst nach einer ganzen Weile, nachdem sie so stumm nebeneinander gesessen hatten, begann Tilda wieder zu weinen. Je länger sie weinte, desto stärker flossen ihre Tränen. Ludwig holte aus der Küche eine Packung Taschentücher, faltete eins davon auf und wischte ihr damit die Tränen aus dem Gesicht. Unvermittelt ging ein Ruck durch Tilda, die bis zu diesem Zeitpunkt nur apathisch dagesessen hatte. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und schluchzte: „Ich will nicht sterben, Luddi!“ Sie spürte, wie Ludwig nach Worten suchte. Alles, was ihm einfallen wollte, schien viel zu banal zu sein, um sie trösten zu können. Hilflos drückte er sie an sich und krümmte sich dabei selbst zusammen, als hätte er Schmerzen. So saßen sie eine ganze Weile stumm beieinander. Draußen war es mittlerweile vollständig dunkel geworden und auch der Rest der Wohnung lag in absoluter Dunkelheit. Nur die Glaslampe auf dem Fensterbrett warf ihr spärliches, buntes Licht in den Raum. Tildas Tränen versiegten irgendwann. Mit dem Wissen um ihre aussichtslose Lage war sie vollkommen überfordert. Später am Abend gelang es ihr, sich ein wenig zu beruhigen.

      Ludwig war zu diesem Zeitpunkt bereits zur Normalität zurückgekehrt. Er hatte den Fernseher eingeschaltet und sah sich wie üblich die Sportsendung an. Tilda war irgendwann wortlos aufgestanden und hinausgegangen. Ein tiefer, spitzer Schmerz hatte sich in ihr Herz gebohrt und brannte dort unaufhörlich vor sich hin. Genau das war es, was sie an Ludwig so schrecklich fand. Es war diese Art von Selbstsucht. Die Sache mit der Sportsendung hatte ihr einmal mehr deutlich gemacht, dass er immer nur an sich selbst dachte. Es war eine kleine Enttäuschung mehr für sie an diesem trostlosen Tag. Natürlich konnte Ludwig ihr nicht helfen. Das wusste sie selbst. Aber allein seine Aufmerksamkeit und seinen Beistand hätte sie an diesem Abend als große Hilfe empfunden. Doch Ludwig war weit davon entfernt, sich das bewusst zu machen.

      Nachdem ihre größte Enttäuschung langsam gewichen war, war es ihr eigentlich ganz recht, allein zu sein. So konnte sie wenigstens ungestört mit ihrer Schwester telefonieren. Wahrscheinlich hatten ihr die Eltern ohnehin schon alles erzählt. Je länger sie darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien ihr das. Mit der Zeitverschiebung von acht Stunden war bei Doro grade Mittagszeit. Möglicherweise war sie zu Hause während Greg und Gesi noch in der Schule waren und der Kleine Güssi in der Vorschule. Tilda wählte ihre Nummer. Es dauerte keine dreißig Sekunden und sie hörte die vertraute Stimme ihrer Schwester, die sofort rief: „Tildi! Was machst du nur für Sachen! Ich bin hier halb verrückt vor Angst! Du musst ganz schnell wieder gesund werden! Ganz schnell! Verstehst du mich?“ Sie machte eine ganz kurze Pause, ließ ihre Schwester aber nicht zu Wort kommen. „Bauchspeicheldrüsenkrebs! Bist du nicht recht bei Trost, Tildi? Ich hab da mal nachgeschaut…..“

      Tilda schossen sofort wieder die Tränen in die Augen. Sie schniefte. Ihre Schwester fuhr währenddessen aufgelöst fort: „Die Eltern haben mir schon alles gesagt.“ Tilda schniefte erneut und konnte nichts antworten. So fuhr Doro fort: „Was machst du jetzt? Willst du Chemotherapie machen?“ Tilda flüsterte tonlos: „Ich weiß nicht. Ich glaub´ nicht.“ Ratlos hörte sie wieder die Stimme ihrer Schwester, die entsetzt rief: “Oh Gott, ich weiß auch nicht! Mach das lieber nicht! Hier in den Staaten bringt das keine guten Ergebnisse.“ Sie räusperte sich und weil Tilda nichts sagte, sprach sie mit belegter Stimme weiter: „Eine Nachbarin hier in Scottsdale hatte auch Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Dicke mit den kurzen, schwarzen Haaren und dem kleinen weißen Hund. Die Mexikanerin meine ich, aus dem Haus am Ende der Straße mit den vielen Kakteen im Vorgarten. Weißt du, welche ich meine?“ Sie wartete einen kleinen Moment ab, doch Tilda brachte keinen Ton mehr hervor. „Sie hat jedenfalls Chemo gemacht und acht Wochen später war sie trotzdem tot. Sie ist aus der Klinik gar nicht wieder nach Hause gekommen. Ich meine, das kann´s doch irgendwie auch nicht sein!“

      Verstört hörte Tilda die Worte ihrer Schwester, die so weit entfernt war und doch so nah klang. Doro sprach ihr aus der Seele, als sie ihre Zweifel in Worte fasste, die sie gegenüber von Chemotherapie hatte. Tilda fühlte sich furchtbar elend, während sie ihrer Schwester stumm zuhörte. Sie sah ihre Befürchtungen bestätigt. „Die Nebenwirkungen von Chemotherapie sind grauenvoll, oft sogar tödlich!“, brachte Doro es auf den Punkt. „Da macht es auch keinen großen Unterschied, welches Präparat sie bei dir nehmen. Zumindest nicht bei diesem Krebs.“ Doro war, wie sich herausstellte, inzwischen gut informiert. Sie war der Meinung, dass im Grunde alle diese Mittel versuchten, sich gegenseitig an Giftigkeit zu übertreffen. Es waren Zellgifte. Die meisten von ihnen wirkten auf alle sich schnell teilenden Zellen tödlich, um so das Wachstum der Tumore zu verlangsamen. Leider vergifteten sie dabei auch den Rest des Körpers. Sie taten das selbst dann, wenn die eigentlich gewünschte Wirkung ausblieb. In diesen Fällen blieb dann nur die Vergiftung übrig. So würde der Krebs kaum verschwinden. Doro sprach davon, dass sie auch herausgefunden hatte, dass fast alle Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs trotz aller Behandlungen in kurzer Zeit starben. Hilflos unterbrach Tilda ihre Schwester und flüsterte entsetzt: „Schwester, erzähl´ mir das nicht! Ich will das gar nicht hören! Ich hab das doch auch schon alles gelesen. Wenn ich nur wüsste, was ich jetzt machen soll! Das geht alles viel zu schnell für mich.“ Sie schluchzte. „Manchmal fühlt es sich an, als wenn mich alle nur zu etwas überreden wollen, damit sie sich einbilden können, es wird alles für mich getan. Ludwig, die Eltern - und die Klinik sowieso.“ Sie stockte, bevor sie weitersprach: „Das mit der Chemotherapie ist ja für so eine Klinik Routine. Und der Tod von Patienten ist für die leider auch Routine.“ Sie schluchzte erneut auf und fuhr unter Tränen fort: „Aber ich hab doch nur das eine Leben, Doro! ........ Ich will doch nicht schon jetzt durch die Hintertür aus dem Krankenhauses rausgefahren werden und das war´s dann!“

      Doro unterbrach ihre Schwester erregt: „Tildi, jetzt hör mir mal zu! Wenn Du keine Chemo machen willst, dann machst Du keine Chemo! Lass dich zu nichts überreden! Die meisten Patienten sterben früher oder später trotz oder wegen dieser Art von Therapie. Kein Mensch weiß das so genau. Moderne Medizin hin und moderne Medizin her. Selbst etwa 80% der Ärzte sagen, dass Chemotherapie umstritten ist und würden sie nicht bei sich machen lassen und auch nicht bei ihren Angehörigen. Das hört sich alles andere als überzeugend an.“

      Sie machte eine kurze Pause und sagte dann nachdrücklich: „Wenn du nicht sterben willst, dann musst du dir jetzt gut überlegen, was du tust! Und wenn du nicht sicher bist was du jetzt machen sollst, dann komm einfach für ein paar Wochen zu uns. Hier in Scottsdale wird keiner auf dich einreden und dich zu etwas überreden wollen. Wir lassen dich in Ruhe! Du kannst hier in Ruhe nachdenken. Weißt du, Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.“ Tilda schluchzte: „Du bist so lieb, Schwester. So lieb! “ Sie weinte und presste unter Schluchzen hervor: “Wenn ich dich nicht hätte – ich - wüsste - gar - nicht - was - ich - jetzt - machen - soll!“. Doro lachte am anderen Ende der Leitung ganz leise. Es war ihr kleines Lachen, das Tilda schon immer so vertraut war. Es ließ ihre innere Anspannung ein wenig kleiner werden. Doro fuhr fort: „Ich finde wirklich, das wär ´ne gute Idee! Mal alles aus der Distanz zu sehen ist nie verkehrt. Was meinst Du, Tildi? Komm einfach her, wenn´s dir einigermaßen gut geht, wenn du dir den Flug zutraust. Du musst ja nicht selbst fliegen.“ Sie lachte wieder leise. „Wir haben hier unseren Hausarzt Dr. Lackner. Nur für den Fall der Fälle. Der ist wirklich nett! Sam und er sind zusammen zur Schule gegangen. Ich glaube, du hast ihn auch schon mal gesehen.“ Tilda schluchzte einige Male ergriffen und schniefte dann in den Hörer: „Danke, Doro! Das ist so lieb von dir. Ich denk mal drüber nach.“

      Mit einem Schlage kamen ihr jedoch Zweifel. Nur wiederstrebend und ein wenig ängstlich formulierte sie ihre Frage: „Und Sam? Meinst du, dass Sam nichts dagegen hat, wenn ich in meinem…… Zustand…..zu euch komme?“ Doro lachte nur: „Du kennst doch Sam! Sam will immer das, was ich will – und umgekehrt ist das auch so. Meinst Du, ich wäre sonst hier, so weit weg von zu Hause?


Скачать книгу