Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

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Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon


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nickte überfreundlich zurück und als sie sich noch einmal nach ihr umdrehte, sah sie Christels riesiges Hinterteil im Takt ihrer Schritte unter dem Stoff ihres dunkelblauen Rockes wippen. Sie fragte sich unwillkürlich, wie sie mit diesem Hinterteil eigentlich immer noch die Balance halten konnte. Dennoch: selbst die Sekretärin Christel mit ihren Massen schien gesund zu sein. Nur sie war krank. Tilda fand das ungerecht.

      Unmittelbar darauf kam ihr ihre Freundin und Kollegin Conny lachend und mit schnellem Schritt auf furchterregend grünen Pumps entgegengeeilt. Kermit der Frosch hatte die gleiche Farbe. Conny lachte nur. Sie schien Tildas Gedanken erraten zu haben. Doch Conny konnte solche Schuhe tragen. Ihr standen sogar diese auffällig grünen Füße. Und wahrscheinlich hätte sie auch in einem Froschkostüm noch zauberhaft ausgesehen. Conny hatte schon immer einen Hang zum Schrillen und sie machte sich nichts daraus, wenn die Kollegen deshalb stichelten. Sie war immun gegen Kritik an ihrem Äußeren. Für Tilda war das ein Grund mehr, mit ihr befreundet zu sein. Und außerdem war sie eine tolle Lehrerin, von der sie noch einiges lernen konnte. Auch die Schüler liebten sie. Vielleicht auch deshalb, weil sie immer ein bisschen zu schrill und zu unangepasst war. Und vielleicht auch, weil ihr Rock immer ein wenig zu kurz war. Aber bei der guten Laune, die Conny verbreitete, sah man ihr letztendlich in der Schule einiges nach. Conny war zwei Jahre älter als Tilda und eine der besten Freundinnen, die sie haben konnte. Es gab keinen Tag, an dem sie nicht voller Optimismus und Fröhlichkeit gewesen wäre. Was Tilda besonders an ihr schätzte war auch ihre Eigenschaft, niemals nachtragend zu sein. Conny war im Grunde wie ein großer Teenager: für jeden Spaß zu haben und immer gut gelaunt. Dabei durfte man das Wort „groß“ bei ihr tatsächlich wörtlich nehmen. Conny war mit ihren 1,85 m mindestens einen halben Kopf größer als Tilda. Und sie hatte die Gabe, sich sogar schwierige Schüler zu Freunden zu machen. Von Conny ließen die sich so manches sagen, was sie von anderen Lehrern niemals hingenommen hätten.

      Jetzt blieb Conny mit einer Vollbremsung direkt von ihr stehen und lachte: „Na, Schätzchen, alles schick bei Dir?“ Tilda lächelte ein wenig müde. „Jaaaa. Nööö. Ich weiß nicht. Aber geht so.“ Conny hielt einen kurzen Moment lang inne. Ihr langes braunes Haar fiel dicht und glänzend auf ihre Schultern herab. Zwei lange Ohrringe baumelten glitzernd an ihren Ohrläppchen, wenn sie sich bewegte. Irgendwie erinnerten sie Tilda an Weihnachtsbaum-Schmuck. Conny legte den Kopf schief und musterte Tilda aufmerksam mit ihren rehbraunen Augen. Dann runzelte sie nachdenklich die Stirn und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Wie in Sekundenschnelle war es fortgewischt. „Du hast irgendwie ganz gelbe Augen, Schätzchen. Genau! Gelbe Augen hast du! Hat dir das heute schon jemand gesagt?“ Conny starrte der Freundin unverwandt in die Augen. „Zeig mal!“ Während sie das sagte beugte sie sich vor und zog mit ihrem Zeigefinger eins von Tildas Unterlidern etwas nach unten. Erschrocken rief sie: „Meine Güte, Tilda, ich glaub Du hast echt Gelbsucht!“ Horst Söter, der dickliche Chemielehrer kurz vor dem wohlverdienten Ruhestand, der in der Schule praktisch schon zum Inventar gehörte, kam behäbig in einem längs-gestreiften Hemd von undefinierbarer Farbe den Korridor entlang. Seine Uralt-Aktentasche, die er wahrscheinlich schon während seines Studiums besessen hatte und von der niemand so genau wusste, was sie enthielt, hing wie immer festgewachsen an seiner rechten Hand. Die Knopfleiste seines Hemdes spannte über seinem Bauch, der einer großen Birne ähnelte. Jetzt, als er auf ihrer Höhe war, schnaufte er ein verwaschenes „Guten Morgen!“. Als er gerade vorbei gehen wollte, rief Conny ihn zu sich heran.

      „Horst, jetzt guck mal hier! Tilda hat ganz gelbe Augen. Hast du nicht irgendwann mal so einen Sanitäter-Schein gemacht?“ Horst nickte wichtig und schnaufte näher heran. Conny fuhr aufgeregt fort: „Was sagst Du denn dazu? Gelb? Oder bild´ ich mir das bloß ein?“ Horst murmelte etwas Undefinierbares in seinen stoppeligen, grauen Bart und beäugte kritisch die Farbe von Tildas Augenweiß in dem heruntergezogenen Unterlid. Dann schnaufte er erneut ratlos und brummte freundlich: „Bissel gelb is das schon! Aber das is doch nix. Man darf auch nicht alles überbewerten!“ Conny nickte reflexartig und bedankte sich artig für seinen fachmännisch geschnauften Rat. Horst und sein Wohlstandsbäuchlein entfernten sich gemächlich in Richtung Lehrerzimmer. Die Aktentasche baumelte noch immer festgewachsen an seiner rechten Hand.

      Die beiden Frauen blieben allein zurück und Conny flüsterte leise: „Horst Söter – halb Mensch, halb Kö…..!“ Sie grinste. Sogar Tilda verzog ihr Gesicht zu einem Lächeln. Doch kurz darauf erstarb es schon wieder. Sie sah Conny erneut ratlos an, fühlte sich furchtbar unwohl in dieser bedrohlichen Ungewissheit. Jetzt wusste sie gar nicht mehr, woran sie eigentlich war. Ein kalter Schauer kroch ihr ins Genick und blieb dort sitzen. Jetzt war sie noch viel mehr verunsichert, als vorher. Eine eiserne Hand schien derweil wieder ihren Magen zusammen zu pressen. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihr altes Leben zurück zu bekommen. Sie wünschte sich ihre Unbefangenheit, ihre Sorglosigkeit, ihre Freude auf den nächsten Tag, das Vertrauen in das Leben und all das zurück. Plötzlich war alles so bedrohlich. Diese Veränderung war beängstigend. Ein ungutes Gefühl hockte schwer auf Tildas Schultern. Sie biss die Zähne zusammen und schwieg.

      Noch einen Moment lang standen Tilda und Conny sich schweigend gegenüber. Ratlos suchte Conny nach Worten, um etwas zu sagen, vielleicht auch um ihre Freundin etwas zu beruhigen. Im selben Moment ertönte der durchdringende Gong der Schulglocke. Die verstreut stehenden Schüler in den Gängen verschwanden schwatzend, lärmend und schubsend in ihre Klassenräume. Die Flure leerten sich eilig. Ein paar Nachzügler rannten wie aufgescheuchte Hühner an ihnen vorbei. Nur einige ältere Schüler standen noch wie angewurzelt da und starrten demonstrativ auf die Displays ihrer Smartphones, wohl um damit kund zu tun, wie wenig sie der Unterricht interessierte.

      Ein wenig hilflos berührte Conny Tildas Schulter mit der Hand. Sie lächelte aufmunternd. Tilda´ s Blick glitt ratlos über das Gesicht der Freundin. Sie brachte es nicht fertig, auch nur eine Miene zu verziehen. Sie war noch eine Spur blasser geworden, als vordem. Nach einer schnellen Verabschiedung eilten die beiden Frauen in entgegengesetzte Richtungen davon. Tilda war bedrückt. Kurz bevor sie um die Ecke bog, sah sie noch einmal zurück, den langen, leeren Flur entlang. Conny war nicht mehr zu sehen. Ein lähmendes Gefühl von Hilflosigkeit überkam sie. Während alle um sie herum weiter ihr ganz normales Leben lebten, war bei ihr plötzlich nichts mehr, wie vorher. Tilda fühlte sich wie in einer Parallelwelt. Sie spürte, dass irgendetwas Schreckliches auf sie zukam. Sie konnte es förmlich mit Händen greifen. Es fühlte sich so an, als stünde sie mutterseelenallein in einem Tal und hörte von Ferne das Grollen einer Lawine immer näher auf sich zukommen, ohne zu wissen, aus welcher Richtung das Unheil sich näherte, geschweige denn, wohin sie fliehen konnte. Sie war überwältigt von diesem Gefühl innerer Hilflosigkeit und Leere. Es fiel ihr ungeheuer schwer, die Gedanken daran abzuschütteln, während sie langsam auf das Klassenzimmer am Ende des Flures zuging.

      In diesem Moment war Tilda klar, dass es so nicht bleiben konnte. Sie würde noch einmal zum Arzt gehen müssen. Am besten zu einem anderen, der gar nichts über sie und ihre Vorgeschichte wusste. Allein bei dem Gedanken daran wurde ihr flau im Magen. Sie hatte Angst davor. Was, um Himmels Willen, würde dabei wohl herauskommen? Doch es musste sein. Aussitzen war keine Lösung mehr. Sie musste jetzt irgendwie reagieren, ob sie wollte oder nicht. Aber da war auch diese andere Stimme in ihr, die sich weigerte, sich überhaupt mit irgendeiner Krankheit auseinanderzusetzen. Tilda versuchte, über sie hinweg zu hören oder sie zum Schweigen zu bringen. Wie auch immer ihre Situation sein mochte und was auch immer sie erfahren würde. Es gab jetzt wirklich keinen anderen Weg mehr. Sie musste sich stellen. Sie würde diesmal einfach zu Ludwigs Hausarzt gehen. Ludwig hatte ihr das schon mehrmals vorgeschlagen. Bisher hatte sie die Idee immer wieder verworfen. In der Tat war sie aber doch nicht so übel.

      Ludwigs Hausarzt war ebenfalls ein älterer Herr, dessen Name Dr. Hubertus Umlauf war. In der Vergangenheit war Ludwig immer voll des Lobes über ihn gewesen. Er kannte ihn bereits seit damals, als er noch Student war. Natürlich war klar, dass Ludwig in der ganzen Zeit kaum mehr als Grippe gehabt hatte. Und selbst das war selten gewesen. Insofern sagte sein Lob über die Fähigkeiten seines Hausarztes nicht allzu viel aus. Tilda hoffte trotzdem inständig, dass er herausfinden möge, unter welcher merkwürdigen Krankheit sie litt.

      Aber im Grunde genommen war es ihr inzwischen ziemlich egal, wohin sie sich wenden würde. Irgendwie hatte sie nach Connys spontaner Feststellung im Schulkorridor das


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