Das Geld. Emile Zola

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Das Geld - Emile Zola


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und mit der ganzen Dankbarkeit überhäuft, die sie abzulehnen schien.

      Zweifellos trug sich Saccard seit jener Zeit mit einem vagen Plan, der jetzt, da er als Mieter im Palais dʼOrviedo wohnte, eine klare und deutliche Wunschvorstellung geworden war. Warum sollte er sich nicht ganz der Verwaltung der guten Werke der Fürstin widmen? In der Stunde des Zweifels, die er durchlebte, als er von der Spekulation besiegt war und nicht wußte, wie er wieder reich werden könnte, erschien ihm das als eine neue Inkarnation, als ein plötzlicher Aufstieg zur Gottheit: der Verteiler dieser königlichen Barmherzigkeit werden, diesen Goldstrom lenken, der sich über Paris ergoß. Die Fürstin hatte noch zweihundert Millionen – wieviel Werke konnte man da noch schaffen, was für eine Stadt des Wunders aus dem Boden stampfen! Ganz davon zu schweigen, daß er diese Millionen Früchte tragen lassen, sie verdoppeln, verdreifachen würde, sie so gut zu verwenden wüßte, daß er eine Welt daraus gewinnen konnte. In seiner leidenschaftlichen Vorstellung wurde alles noch größer, er lebte nur noch in dem berauschenden Gedanken, die Millionen als Almosen ohne Ende auszuteilen, das glückliche Frankreich mit ihnen zu überschwemmen, und er wurde gerührt bei dem Gedanken an seine vollkommene Rechtschaffenheit, denn nicht ein Sou sollte in seinen Fingern bleiben. Und dieser Gedanke wuchs sich in seinem Kopf zur Vision von einem riesigen Idyll aus, dem Idyll eines Mannes, den kein schlechtes Gewissen drückte, nicht der leiseste Wunsch, sich von seinen alten Geldräubereien loszukaufen. Um so mehr, als am Ende der Traum seines ganzen Lebens winkte, die Eroberung von Paris. Der König der Barmherzigkeit, der von der Menge der Armen angebetete Gott sein, einzigartig und volkstümlich werden, daß sich die Welt mit ihm beschäftigte – das überstieg noch seinen Ehrgeiz. Was für Wunder würde er vollbringen, wenn er seine Fähigkeiten als Geschäftsmann, seine Hinterlist, seinen Eigensinn, seinen völligen Mangel an Vorurteilen darauf verwandte, gut zu sein! Und er besäße die unwiderstehliche Kraft, die die Schlachten gewinnt, das Geld, Truhen voll Geld – Geld, das oft soviel Böses schafft und das soviel Gutes schaffen könnte an dem Tage, da man seinen Stolz und sein Vergnügen dafür einsetzte!

      Dann erweiterte Saccard seinen Plan noch und fragte sich schließlich, warum er die Fürstin dʼOrviedo nicht heiraten sollte. Das würde die Verhältnisse klären und die bösen Auslegungen verhindern. Einen Monat lang ging er geschickt und listig zu Werke, legte prächtige Pläne dar, glaubte sich unentbehrlich zu machen; und eines Tages brachte er mit ruhiger, unbefangener Stimme seinen Vorschlag vor und entwickelte sein großes Vorhaben. Er bot eine richtige Partnerschaft an, er würde den Liquidator der vom Fürsten gestohlenen Summen abgeben und sich verpflichten, sie verzehnfacht den Armen zurückzuerstatten. Die Fürstin, in ihrem ewigen schwarzen Kleid, ihr Spitzentuch auf dem Kopf, hörte ihm aufmerksam zu, ohne daß auch nur eine Gemütsregung ihr gelbes Gesicht belebte. Sie war sehr betroffen von den Vorteilen, die eine solche Partnerschaft haben könnte, im übrigen aber waren ihr die anderen Erwägungen gleichgültig. Nachdem sie ihre Antwort auf den nächsten Tag verschoben hatte, lehnte sie schließlich ab. Zweifellos hatte sie bedacht, daß sie dann nicht mehr allein Herrin über ihre Almosen wäre, und sie legte Wert darauf, als unumschränkte Herrscherin darüber zu verfügen, selbst auf verrückte Weise. Aber sie erklärte, sie würde sich glücklich schätzen, ihn als Ratgeber zu behalten, und gab zu erkennen, für wie wertvoll sie seine Mitarbeit erachtete, indem sie ihn bat, sich weiterhin mit dem »Werk der Arbeit« zu beschäftigen, dessen eigentlicher Direktor er war.

      Eine ganze Woche lang empfand Saccard heftigen Kummer, wie beim Verlust eines liebgewordenen Gedankens. Nicht, daß er sich in den Schlund der Räubereien zurückfallen sah; aber so, wie eine gefühlvolle Romanze den verworfensten Trunkenbolden Tränen in die Augen treibt, hatte dieses riesige Idyll von den Millionen, die soviel Gutes schufen, seine alte Freibeuterseele weich gestimmt. Er stürzte wieder einmal, und aus sehr großer Höhe: es schien ihm, als wäre er entthront worden. Mit Hilfe des Geldes hatte er neben der Befriedigung seiner Begierden immer zugleich die Herrlichkeit eines fürstlichen Lebens angestrebt, das er nie in dem gewünschten Maße hatte führen können. Seine Raserei nahm mit jedem Sturz, der wieder eine Hoffnung zunichte machte, zu. Daher wurde er in eine wütende Kampflust zurückgeworfen, als sein Vorhaben angesichts der ruhigen und deutlichen Weigerung der Fürstin zusammenbrach. Sich schlagen, in dem harten Krieg der Spekulation der Stärkste sein, die anderen fressen, um nicht selbst gefressen zu werden, das war neben seiner Gier nach Glanz und Genuß die wesentliche, die einzige Ursache seiner Leidenschaft für die Geschäfte. Wenn er auch keine Schätze anhäufte, so hatte er doch die andere Freude: den Kampf der hohen Zahlen, die Vermögen, die wie Armeekorps in die Schlacht geführt wurden, den Zusammenprall der streitenden Millionen mit den Niederlagen und mit den Siegen, die ihn berauschten. Und sogleich kam wieder der Haß auf Gundermann, sein zügelloses Bedürfnis nach Revanche zum Vorschein: Gundermann zu Boden werfen, dieses wahnwitzige Begehren quälte ihn, sooft er besiegt am Boden lag. Wenn er auch spürte, wie kindisch ein solcher Versuch war – konnte er Gundermann nicht wenigstens anschlagen, sich einen Platz neben ihm erobern, ihn zur Teilung zwingen, wie es die einander ebenbürtigen Monarchen aus benachbarten Ländern tun, die sich mit »Vetter« anreden? Damals zog ihn erneut die Börse an, und er hatte den Kopf voller Geschäfte, die er starten wollte; er wurde von den widersprüchlichsten Plänen hin und her gerissen mit einer solchen fiebrigen Hast, daß er sich einfach nicht entscheiden konnte bis zu dem Tage, da sich eine alle Maße übersteigende, ungewöhnliche Idee aus allen anderen herauslöste und sich seiner nach und nach ganz bemächtigte.

      Seitdem Saccard im Palais dʼOrviedo wohnte, sah er bisweilen die Schwester des Ingenieurs Hamelin, der die kleine Wohnung im zweiten Stock innehatte, eine Frau von bewundernswertem Wuchs, Frau Caroline, wie man sie vertraulich nannte. Was ihn bei der ersten Begegnung vor allem betroffen gemacht hatte, war das prachtvolle weiße Haar, eine Königskrone aus weißen Haaren, die über der Stirn dieser noch jungen, kaum sechsunddreißigjährigen Frau so eigentümlich wirkten. Schon mit fünfundzwanzig Jahren war sie ganz weiß geworden. Die schwarz gebliebenen, sehr dichten Brauen bewahrten dem hermelinumrahmten Gesicht einen seltsamen Reiz von lebhafter Jugendlichkeit. Mit ihrem zu starken Kinn, der etwas zu großen Nase und dem breiten Mund, dessen volle Lippen sehr viel Güte verrieten, war sie nie eigentlich hübsch gewesen. Wohl aber milderte dieses weiße Vlies, dieser wehende Schnee aus feinen, seidigen Haaren ihren ein wenig harten Gesichtsausdruck und verlieh ihr den lächelnden Zauber einer Großmutter in der Frische und der Kraft einer schönen Geliebten. Sie war groß und kräftig und hatte einen freimütigen, sehr edlen Gang.

      Sooft Saccard, der kleiner war als sie, ihr begegnete, folgte er ihr interessiert mit den Augen und war insgeheim neidisch auf diese hohe, vor Gesundheit strotzende Gestalt. Und nach und nach erfuhr er von den Leuten aus der Gegend die ganze Geschichte der Hamelins. Caroline und Georges waren die Kinder eines Arztes aus Montpellier, eines bedeutenden Gelehrten und überspannten Katholiken, der ohne Vermögen gestorben war. Als der Vater aus dem Leben schied, waren das Mädchen achtzehn und der Junge neunzehn Jahre alt; und da Georges gerade in die Ecole polytechnique40 aufgenommen worden war, folgte ihm Caroline nach Paris, wo sie als Erzieherin in Dienst trat Sie steckte ihm Hundertsousstücke zu, sie versorgte ihn während der zwei Studienjahre mit Taschengeld; als er später wegen seines schlechten Zeugnisses ohne Arbeit war, unterstützte sie ihn wiederum, bis er eine Anstellung fand. Die beiden Geschwister beteten einander an und träumten davon, einander nie zu verlassen. Als sich jedoch eine unverhoffte Heirat bot – das feine Benehmen und der lebhafte Verstand des jungen Mädchens hatten in dem Haus, wo sie in Stellung war, einen millionenschweren Brauer erobert –, wollte Georges, daß sie einwilligte; er mußte es aber bitter bereuen, denn nach wenigen Ehejahren war Caroline gezwungen, eine Trennung zu verlangen, wenn sie nicht von ihrem Gatten, der ein Trinker war und sie in unsinnigen Eifersuchtsanfällen mit einem Messer bedrohte, umgebracht werden wollte. Sie war damals sechsundzwanzig Jahre alt und wieder arm geworden, da sie es sich in den Kopf gesetzt hatte, keinen Unterhalt von dem Mann zu fordern, den sie verließ. Aber ihr Bruder hatte endlich nach sehr vielen Versuchen eine Aufgabe gefunden, die ihm gefiel: er sollte mit der Kommission, die mit den ersten Vorarbeiten für den Suezkanal beauftragt war, nach Ägypten gehen, und er nahm seine Schwester mit; sie richtete sich tapfer in Alexandria ein und begann wieder Stunden zu geben, während er durch das Land zog. So blieben sie bis 1859 in Ägypten und waren bei den ersten Spatenstichen am Strand von Port Said dabei: ein kümmerlicher Trupp von knapp hundertfünfzig Erdarbeitern, der sich im Sand verlor und von einer Handvoll Ingenieure


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