Der Oelprinz. Karl May

Читать онлайн книгу.

Der Oelprinz - Karl May


Скачать книгу
kommt freilich vor.«

      »Das kann aber höchst gefährlich für Sie werden, Sie unvorsichtiger Mann!«

      »Glaube es nicht, Herr Sam!«

      »Wenn Sie zurückbleiben und von rotem oder weißem Gesindel überfallen werden, können wir Sie nicht retten.«

      »Mich überfällt kein Gesindel, ich bin gefeit dagegen.«

      »Unsinn!«

      »Sprechen Sie nicht von Unsinn, lieber Herr Sam! Ich weiß schon, was ich sage. Haben Sie vielleicht schon einmal gehört, daß ein berühmter Opernkomponist von irgend welchem Gesindel überfallen worden sei?«

      »Nein; ist mir nichts erinnerlich.«

      »Da haben Sie es, was ich meine. Als Komponist einer großen Heldenoper und Selbstdichter des dazu gehörigen Librettos stehe ich unter dem ganz besonderen Schutze der Musen. Dieselben werden sich hüten, mich zu hohen musikalischen Gedanken zu begeistern und dann überfallen und töten zu lassen, wobei diese Gedanken für immer wieder verloren gehen würden. Das wäre ja ganz dieselbe Dummheit, als wenn der Schuster mir zwei neue Stiefel machte und sie, wenn er sie fertig hat, in den Ofen steckte, um sie zu vernichten. Oder meinen Sie, die Musen seien weniger klug, als ein gescheiter Schuster?«

      »Kann das nicht sagen; habe noch mit keinem von diesen Frauenzimmern gesprochen und auch noch keins gesehen. Aber ich kann nicht während der ganzen Nacht hier bei Ihnen sein und darf auch keinem andern zumuten, stets nur auf Sie aufzupassen; da Sie nun auf keinen Fall zurückbleiben dürfen, weil wir Feinde hinter uns haben, so werde ich Sie anbinden, um Ihrer Person ganz sicher zu sein.«

      »Anbinden, Herr Hawkens? Woran denn? Etwa an das Pferd?«

      »Das würde nichts nützen, da der Gaul auch in diesem Falle stehen bleiben könnte. Nein, ich meine, daß ich ihn hier an den hintersten Wagen binden werde.«

      »Sie halten dieses für praktisch?«

      »Sehr! Das Pferd kann nicht stehen bleiben, sondern muß trotz Ihrer Schwingungen ununterbrochen weiterlaufen. Dabei befinden Sie sich stets allein und ungestört und können Ihren musikalischen Schöpfungen nachhängen, ohne in denselben unterbrochen zu werden.«

      »Richtig, sehr richtig! Dieser Gedanke ist sehr gut; ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für denselben und werde Ihnen bei der ersten Aufführung meiner Oper gern ein Freibillet zur Verfügung stellen. Oder wünschen Sie deren zwei?«

      »Ich werde darüber nachdenken, Herr Kantor, falls ich zufällig —«

      »Bitte, bitte, Herr Kantor emeritus! Ich kann es Ihnen zuschwören, daß es nur der Vollständigkeit wegen ist.«

      »Weiß, weiß! Und ich versichere Ihnen, daß es bei mir nur aus Vergeßlichkeit geschah.«

      Sam zog einen Riemen aus der Satteltasche und band mit demselben den Gaul des Kantors hinten an den Wagen an. So war für den guten, ununterbrochenen Fortgang sowohl des Pferdes als auch der Oper gesorgt, und der geniale Komponist brauchte nicht immerwährend beaufsichtigt und im Auge behalten zu werden.

      In langsamem Ochsenschritte ging die Fahrt die ganze Nacht hindurch vor sich, und so kam es, daß die Reisenden erst zwei Stunden nach Tagesanbruch die Stadt vor sich liegen sahen, obgleich die Entfernung zwischen San Xavier del Bac und Tucson eine so kurze ist.

      Der Anblick dieser Hauptstadt war ein wenig erfreulicher. Obgleich es noch so früh am Tage war, strahlte die Sonne doch schon mit einer fast unerträglichen Glut auf die kahlen Schlammhütten und Mauertrümmer herab. Aeußerst häßliche Koyotehunde bellten und heulten dem Zuge entgegen, und ausgedörrte, in bunte Fetzen gehüllte Menschengestalten lungerten vor den Thüren und an den Ecken herum und verzerrten grinsend ihre sonnverbrannten Gesichter, als der letzte Wagen an ihnen vorüberknarrte und sie den Herrn Emeritus auf dem hinten angebundenen Pferde erblickten. Er nickte ihnen, ohne ihr Lachen übelzunehmen, freundlich zu; mochten sie seine Situation für lächerlich halten, ihm war es ganz recht, daß er das Tier nicht mehr zu lenken brauchte.

      Auf Sams Anweisung wurde auf einem freien oder vielmehr vollständig kahlen Platze angehalten, wo sich bald eine Menge von kläffenden Hunden, schreienden Kindern und neugierigen Tagedieben einfanden, welche die Wagen umlungerten und ihre Aufmerksamkeit besonders auf Sam Hawkens und den Kantor richteten, wohl wegen der sonderbaren Persönlichkeit des ersteren und auch infolge der ungewöhnlichen Weise, in welcher beide gekleidet waren.

      Da die deutschen Auswanderer während ihrer Reise nur wenig Englisch gelernt und vom Spanischen sich gar nur einige Brocken angeeignet hatten und sich also der hiesigen Bevölkerung gegenüber nicht verständlich machen konnten, übernahm es Sam Hawkens, sich zu erkundigen, ob man hier Futter für das Vieh und Wasser bekommen könne. Ja, Heu und Wasser war zu haben, aber beides in sehr schlechtem Zustande und zu hohen Preisen, und zehn, zwanzig und noch mehr Faulenzer zeigten sich bereit, es herbeizuholen, um sich durch diese Arbeit, welche eigentlich keine Arbeit war, einige Centavos zu verdienen.

      Als dies besorgt war, begab sich der Kleine zum Kommandanten, um demselben sein Anliegen vorzutragen. Er vernahm, daß dieser Offizier mit zahlreicher Begleitung nach Prescott gereist und fast die ganze Besatzung nach der Gegend des Guadalupepasses aufgebrochen sei, um die dort hausenden aufrührerischen Mimbrenjos zu züchtigen. Er wurde zu einem Kapitän geführt, welcher die Stellvertretung des Kommandanten übernommen hatte. Er saß bei seiner Morgenschokolade und las in einer alten Zeitungsnummer, welche hier in Tucson aber neu genannt werden mußte. Als er den Eintretenden erblickte, zeigte sein Gesicht zunächst den Ausdruck der Ueberraschung; dann erheiterte es sich mehr und mehr; endlich lachte er laut auf, erhob sich von seinem Stuhle und sagte in einem Tone, dessen Impertinenz nicht zu verkennen war:

      »Mensch, wer seid Ihr? Was wollt Ihr? So ein Jack-pudding (* Hanswurst.) ist mir noch niemals vorgekommen!«

      »Mir auch nicht,« antwortete Sam in einer Weise und mit einer Handbewegung, welche ahnen ließen, daß er den Offizier meinte.

      »Euch auch nicht? Was wollt Ihr damit sagen?« fuhr ihn dieser in ganz anderm Tone an. »Wollt Ihr mich etwa beleidigen!«

      »Ist es eine Beleidigung, wenn ich Euch beistimme?« fragte Sam sehr ernst und sehr ruhig,

      »Ach so! Dann lobe ich Eure edle Selbsterkenntnis. Ich wiederhole Euch, daß ich noch keinem solchen Harlekin begegnet bin, wie Ihr zu sein scheint. Ihr kommt wohl, um die Erlaubnis zu bitten, hier eine lustige Vorstellung geben zu dürfen?«

      »Ja, das ist’s,« lachte Sam. »Ihr habt’s erraten, Sir, und sollt mir dabei helfen, wenn ich mich nicht irre.«

      »Helfen? Ich? Haltet Ihr den Stellvertreter des Kommandanten, einen Vereinigtenstaatenoffizier für einen ebensolchen Lustigmacher, wie Ihr seid?«

      »In diesem Fall, ja,« antwortete Sam, indem er sich kaltblütig einen Stuhl herbeizog und sich auf denselben setzte.

      »Mensch, noch ein solches Wort und ich lasse Euch einsperren und durchpeitschen!« drohte der Offizier, indem er einige Schritte auf den Kleinen zutrat. »Wie könnt Ihr Euch ohne meine Erlaubnis setzen! Ihr befindet Euch bei dem Höchstgebietenden der Stadt und habt vor ihm zu stehen. Also auf mit Euch, und zwar augenblicklich!«

      Er griff bei diesen Worten mit der Hand nach einem Nagel, an welchem eine Reitpeitsche hing. Auf Sam aber machte diese Bewegung nicht den geringsten Eindruck. Er sagte in einem sehr gelassenen Tone:

      »Ich befinde mich bei dem Höchstgebietenden? Meinetwegen, ja; habe nichts dagegen; bin ja ein Kamerad von ihm.«

      »Ein Kamerad? Von mir?« dehnte der andre. »Ihr wäret ein Offizier, Ihr, Ihr?«

      Bei dieser Frage ließ er einen Blick unendlicher Geringschätzung über die Gestalt des Kleinen gleiten.

      »Well, Offizier!« nickte dieser freundlich. »Habt Ihr vielleicht einmal etwas von dem bekannten Leaf of trefoil gehört?«

      »Kleeblatt? Welches Kleeblatt meint Ihr da?«

      »Die drei Prairiejäger, wenn ich mich nicht irre.«

      »Ja, dieses Kleeblatt kenne ich. Es besteht aus Dick Stone, Will Parker


Скачать книгу