Waldröschen I. Die Tochter des Granden. Karl May

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Waldröschen I. Die Tochter des Granden - Karl May


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ist wunderbar, mein Sohn«, meinte der Pater. »Nun bin ich allerdings vollständig überzeugt, daß du der Knabe bist, den dieser Mann verwechselt hat«, und sich zu dem Kranken wendend, fragte er »Wie ist dein wirklicher Name, und wo bist du her?« – Ich heiße eigentlich Manuel Sertano, wurde aber hier nur Manuel genannt und bin aus Mataro.« – »Das wird uns vielleicht von einiger Bedeutung sein. Erzähle jetzt weiter, mein Freund.«

      Nachdem der Kranke einen erneuten Hustenanfall überwunden, fuhr er fort:

      »Einige Wochen nach der Umwechselung des Kindes sollte ich einen Reisenden töten. Ich weigerte mich. Der Capitano drang darauf und drohte mir mit der Todesstrafe, wenn ich seine Befehle nicht erfüllen würde. Ich tat, als ob ich gehorchen wolle, und ging; aber ich bin nicht wiedergekommen.« – »Das ist also der Meineid, den du begangen hast?« – »Ja. Ich hatte geschworen, alle Befehle des Capitanos zu erfüllen. Ich habe also meinen Eid gebrochen.« – »Mein Sohn, wenn dir nur das dein Gewissen beschwert, so kannst du ruhig sein. Ich bin hier zwar unter Briganten, denn diese verlorenen Schafe sollen nicht ohne Trost und Gottes Hilfe sein, und niemals werde ich einen dieser Männer in Schaden bringen; aber dennoch sage ich dir, daß du ganz recht gehandelt hast, indem du den Reisenden nicht tötetest. Kraft meines Amtes, als Diener der heiligen Kirche entbinde ich dich deines Schwurs und gewähre dir Verzeihung dafür, daß du ihn nicht gehalten hast!« – »Oh, mein frommer Vater, wie danke ich Euch!« sagte da der Kranke. »Ihr nehmt mir eine große Last vom Herzen. Könnte die andere Sünde mir doch auch vergeben werden, damit ich ruhig zu sterben vermag!« – »Laß mich erst deine Erzählung vollständig hören.« – »Als ich von hier floh, ging ich nach Jean de Luz in Frankreich und kam als Matrose auf ein Schiff. Wir fuhren nach den Antillen, und von da an diente ich auf verschiedenen amerikanischen Küstenfahrern, bis ich einst in San Juan de Callao erkrankte. Ich genas und trat in den Dienst eines reichen Mexikaners, der mich mit in die Hauptstadt Mexiko nahm. Bei ihm diente ich viele Jahre, bis er starb. Von da an ist es mir sehr traurig gegangen. Meine kleinen Ersparnisse gingen zu Ende, und die Auszehrung ergriff meine Brust. Ich fühlte, daß ich dem Tod nicht entgehen könne, und da ergriff mich die Sehnsucht nach Vergebung meiner Sünden, und ich fühlte das Verlangen, den geraubten Knaben aufzusuchen und ihn um Gnade und Verzeihung zu bitten. Ich bettelte mir die Überfahrtgelder zusammen und kehrte nach Spanien zurück. Die Krankheit hat meinen Körper verheert, und niemand kann mich erkennen. So konnte ich es wagen, die Höhle aufzusuchen, um mich nach dem Knaben zu erkundigen. Gott hat es gefügt, daß ich ihn gleich am ersten Tag treffe, und das ist gut, denn ich weiß nicht, ob ich den morgigen Tag noch erleben werde.«

      Ein fürchterlicher Hustenanfall ergriff den Alten, nachdem er seine Erzählung beendet hatte. Da hörte man plötzlich, als derselbe ausgetobt hatte, leise Schritte sich der Zelle nähern. Mariano trat sofort in den vorderen dunklen Winkel des Raumes, während der Pater sich so stellte, das ihn das Licht der Lampe nicht bescheinen konnte.

      Nun wurde die Tür geöffnet und – der Hauptmann stand vor derselben.

      »Was geht hier vor?« fragte er. – »Tritt nicht ein, Capitano«, bat der Pater. »Du unterbrichst die Beichte dieses sterbenden Mannes!« – »Ach so!« entgegnete der Hauptmann, indem er, der Weisung des Paters folgend, vor der Tür stehenblieb. »Doch warum blieb der Alte nicht in der Zelle, die ich ihm durch Mariano anweisen ließ?« – »Darf die Beichte eines Sterbenden von Unberufenen gehört werden, Hauptmann? Hier sichert die Tür davor, daß wir belauscht werden.« – »Ihr seid sehr vorsichtig, Pater! Ich hoffe aber, daß die Beichte nichts enthält, was unserer Gesellschaft Schaden bringt.« – »Die Beichte eines Bettlers? Geh, Capitano, ich glaube, du treibst mit dem Sakrament Scherz!«

      Der Hauptmann entfernte sich auch jetzt gehorsam, ohne Mariano bemerkt zu haben. So war eine große Gefahr glücklich vorübergegangen. Dennoch horchte der Pater sorgfältig, bis die Schritte des Capitano vollständig verklungen waren, ehe er fortfuhr:

      »Mein Sohn, du hast eine sehr große Sünde begangen. Du hast ein Kind seinen Eltern geraubt und bist schuld daran, daß es ein Räuber geworden ist. Diese Sünde ist viel größer, als du denkst, aber noch größer ist Gottes Gnade; er wird dir verzeihen, wenn dir derjenige vergibt an dem du gesündigt hast«

      Da erhob der Kranke die Hände und richtete einen bittenden Blick auf Mariano, der nun näher trat und, ihm die Hand entgegenstreckend, sagte:

      »Manuel Sertano, ich vergebe dir. Ich ersehe die ganze Größe deines Vergehens, aber auch ich bin ein Sünder, und Gott mag mir vergeben, wie ich dir vergeben habe.«

      Der Bettler ließ darauf sein Haupt nach rückwärts sinken, seine Augen schlossen sich, und über seine Züge breitete sich der Ausdruck eines tiefen Friedens.

      »Oh, wie leicht und wohl wird es mir!« flüsterte er. »Mein Gott ich danke dir, denn nun kann ich ruhig sterben!« – »Ja«, sagte der Pater. »Ich entbinde dich kraft meines Amtes nochmals von deinen Sünden. Du hast sie bereut und sie sind dir vergeben!« – »Doch nun laßt mich auch noch das tun, was notwendig ist, um das von mir gestörte Glück einer vornehmen Familie wiederherzustellen«, bat der Sterbende. »Ich sehe, daß Ihr Papier und Feder bei Euch führt, frommer Vater. Schreibt alles auf, und ich will Euch meine Unterschrift geben, um diesen Jüngling als denjenigen anzuerkennen, der geraubt wurde.« – »Ja, das wollen wir tun«, entgegnete der Pater, indem er die Schreibutensilien hervorzog. »Zwar ist das, was wir von dir erfahren haben, noch nicht ausreichend, aber Gott wird erforschen, wo jener fremde Mann ist, der Señor Gasparino genannt wurde, und diejenigen Leute, denen ihr Kind vertauscht wurde.« – »Der Capitano weiß sicherlich alles«, meinte Mariano. »Ich werde ihn zwingen, es mir zu sagen.« – »Um Gottes willen, tue das nicht«, warnte der Pater. »Er wird sich niemals zwingen lassen, sondern dich ganz sicher töten, sobald er sein Geheimnis in Gefahr sieht. Wir müssen ohne Falsch sein wie die Tauben, aber auch klug wie die Schlangen, mein Sohn. Die List wird uns viel leichter zum Ziel führen als die Gewalt. Wie hieß das Gasthaus, in dem die Verwechslung geschah?« – »Es war der Gasthof ›L‘Hombre grand‹«, antwortete der Bettler. – »Und in welchem Zimmer war es?« – »Ich holte den Knaben aus dem hintersten eine Treppe hoch gelegenen Gemach. Wir aber befanden uns von der Treppe an gerechnet im zweiten Zimmer.« – »Haben die Fremden von der Verwechslung etwas gemerkt?« – »Ich weiß es nicht, denn wir verließen das Haus noch vor Anbruch des Morgens, während man noch schlief.«

      Jetzt begann der Pater die Anfertigung des Dokuments, das alles enthielt, was wichtig war. Als er es beendet hatte, wurde es von dem Bettler unterzeichnet, und dann setzte der Dominikaner zur Beglaubigung seine Signatur darunter.

      »So«, sagte er, »diese Schrift werde ich auf das sorgfältigste aufbewahren, denn bei mir ist sie sicherer als an jedem anderen Ort. Wir gehen jetzt; ich aber werde gleich wieder zurückkehren, um dich zu pflegen und dir in deinen schweren Anfällen beizustehen. Das ist die Pflicht eines Mannes, der der Religion angehört.«

      Nachdem der Pater sich verabschiedet hatte, kehrte Mariano zwar in seine Zelle zurück, aber er fand während der ganzen Nacht keine Ruhe. Was er erfahren hatte, war so unendlich wichtig für ihn und war gerade in der Hauptsache noch in ein so geheimnisvolles Dunkel gehüllt, daß es sein ganzes Nachdenken in Anspruch nahm.

      Er hatte bisher den Hauptmann als seinen Wohltäter betrachtet, nun aber hatte er ihn als den Urheber eines Verbrechens kennengelernt, das ihn, den unschuldigen Knaben, aus den Armen liebevoller und vornehmer Eltern gerissen und unter eine Bande geächteter Menschen gebracht hatte. Die Zuneigung für den Capitano verwandelte sich in einem Augenblick in Haß; auf ihn fiel der ganze Zorn des Mannes, denn der Bettler war ja nur ein Werkzeug gewesen, er hatte gehorchen müssen und dann gebüßt; er stand außerdem am Rand des Grabes, und dies machte auf den weichherzigen Mariano einen solchen Eindruck, daß er dem alten Mann nicht zu zürnen vermochte. Er beschloß, seine Abneigung den Hauptmann nicht merken zu lassen, im stillen sich aber alle Mühe zu geben, das Geheimnis seiner Geburt und Abstammung aufzuklären.

      Es gab in der Brigantenhöhle noch einen, der erst spät zur Ruhe kam, und das war der Hauptmann.

      Er saß in seiner Zelle, deren Wände von kostbaren Waffen behangen waren, hatte den Kopf schwer in die Hand gestützt und war in ein tiefes, grübelndes Nachdenken versunken, aus dem er zuweilen auffuhr, um einige halblaute


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