Waldröschen I. Die Tochter des Granden. Karl May

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Waldröschen I. Die Tochter des Granden - Karl May


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ist ihm beizukommen?« – »Das läßt sich jetzt noch nicht sagen. Es mögen sechs bis acht Männer nötig sein. Diese laßt Ihr nach Rodriganda gehen, wo ich sie im Park treffen und ihnen meine Instruktionen erteilen werde. Hier habt Ihr Eure fünfhundert Dublonen, Capitano.«

      Er zählte dem Hauptmann das Geld vor und erkundigte sich:

      »Habt Ihr den kleinen Burschen von damals noch?« – »Ja. Er ist unter dieser Zeit ein großer Bursche geworden.« – »Warum stirbt er nicht?« – »Ihr bezahltet mich damals nur dafür, daß er verschwinden sollte. Aber sagt mir doch nun einmal, wer er denn eigentlich ist!« – »Das erfahrt Ihr später. Wofür hält er sich denn?« – »Für den Sohn eines verstorbenen Räubers.« – »Fast bin ich begierig, ihn einmal zu sehen.« – »Das laßt Euch vergehen, Señor! Ihr seid kein Mitglied. Ihr bezahlt mich für meine Arbeit und könnt gehen. Weiter als hierher kommt Ihr nicht.« – »So muß ich mich zufriedengeben. Wann werden Eure Leute in Rodriganda sein?« – »Morgen abend. Adios, Señor!« – »Adios!«

      Die Männer gaben einander die Hände und trennten sich. Es war hier über das Leben eines Menschen verhandelt worden, wie über einen ganz zufälligen und geringfügigen Gegenstand. Doch es fragt sich, wer von den beiden der Schlimmere, der Gefährlichere war, der Räuberhauptmann oder der schleichende Notar, der zu seinen Taten die Kunst der Verstellung und die Maske des Geheimnisses zu Hilfe nahm.

      Nachdem der Hauptmann in seine Höhle zurückgekehrt war, verhandelte er, in eine abgelegene Ecke zurückgezogen, sehr eifrig mit dreien seiner Leute, die den Auftrag erhielten, sich nach Rodriganda zu begeben, um die von dem Notar in Auftrag gegebene Tat auszuführen.

      Als der Abend hereinbrach, nahte sich einer der Briganten dem kranken Bettler, gebot demselben, ihm zu folgen und führte ihn in einen dunklen Gang, der sich tief in das Innere des Berges hineinzog. Zu beiden Seiten dieses Ganges waren kleine Zellen in den Felsen eingehauen, die von den Bewohnern der Höhle als Schlafraum benutzt wurden. Einige derselben waren mit schweren, eisenbeschlagenen Türen versehen, so daß es schien, als ob sie den Zweck hätten, als Gefängnisse zu dienen.

      Der Räuber war ein junger Mann, der vielleicht zweiundzwanzig Jahre zählen mochte. Er trug die malerische Kleidung der Provinz Katalonien, und bei dem Schein der kleinen Lampe, die er in der Hand hielt, konnte man die edlen Züge seines Gesichts erkennen, die durchaus nicht einen Räuber in ihm vermuten ließen. Er war schlank, aber sehr kräftig gebaut, und seine Bewegungen zeigten eine Eleganz und Gewandtheit, die jeden Beschauer für den jungen Mann einnehmen mußten.

      »Hier ist deine Kammer, mein guter Alter«, sagte er, auf eine der offenen Zellen zeigend. »Du findest da ein gutes Lager. Soll ich dir das Licht hierlassen?« – »Ja«, antwortete der Bettler. »Wer weiß, ob ich diese Kammer jemals wieder verlasse!« – »Warum nicht? Der Mensch soll sich nicht von Ahnungen beherrschen lassen. Du bist wohl sehr krank, aber Gott kann auch die böseste Krankheit heilen. Du kannst also hoffen!« – »Ja, ich hoffe«, antwortete der Bettler unter einem qualvollen Hustenanfall, »aber nur auf den Tod. Er soll mir der Erlöser sein von allen meinen Leiden.« – »Hast du große Schmerzen?« fragte der Räuber, indem er sich mitleidig bückte, um dem Greis das Lager aufzuschütteln. – »Das Leben darf nicht schmerzlos fliehen; der Körper wehrt sich gegen den Tod. Aber was sind die Leiden des Körpers gegen die Qualen des Geistes! Diese sind fürchterlicher, mein Sohn. Hüte dich, sie jemals kennenzulernen.« – »Du leidest an der Seele? Wende dich an unseren guten Dominikaner. Er wird deine Beichte hören und dir die heilige Absolution erteilen.« – »Glaubst du wirklich, daß die Sünde vergeben werden kann? Durch einen Menschen? Durch einen Priester, der selbst sündhaft ist und sich unter Briganten und Mördern befindet? Das ist unmöglich, mein Sohn!« – »Höre, Alter, der Pater Dominikaner ist nicht zu uns gekommen, um teilzunehmen an dem, was wir tun, sondern damit auch die Briganten die Gnade Gottes finden sollen, wenn sie sich danach sehnen. Er ist ein sehr guter und frommer Mann und mein Lehrer, dem ich alles, was ich weiß, zu verdanken habe.«

      Der Bettler horchte auf.

      »Dein Lehrer? Ein Räuber erhält Unterricht?« – »Allerdings. Du mußt nämlich wissen, daß der Hauptmann mich nur zu solchen Unternehmungen verwendet, bei denen er eines Mannes bedarf, der es versteht, mit hochgestellten Señores zu verkehren. Darum habe ich alles lernen müssen, was ein Señor können und wissen muß.« – »Wie heißt du?« – »Mariano.« – »Und weiter? Du mußt doch den Namen deiner Familie tragen, mein Sohn.« – »Ich kenne sie nicht.« – »Ah! Wie bist du denn unter die Briganten gekommen?« – »Der Hauptmann hat mich in den Bergen gefunden. Ich bin ein Findling. Er hat mich zu sich genommen, aber all sein Forschen nach dem, der mich ausgesetzt hat, ist vergeblich gewesen.« – »Wie alt bist du?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wie lange bist du bei den Briganten?« – »Es sind nun achtzehn Jahre gewesen.« – »Achtzehn Jahre?« fragte der Alte nachdenklich. »Oh, das ist dieselbe Zeit. Hast du keine Erinnerungen aus deiner Jugend mehr? Kannst du dich auf nichts, auf gar nichts mehr besinnen, mein lieber Sohn?« – »Nein. Ich weiß nichts mehr aus jener Zeit, obgleich ich oft von ihr geträumt habe.« – »Vielleicht hältst du für Traum, was Wirklichkeit gewesen ist. Was hat dir denn geträumt?« – »Ich träumte viel von einer kleinen Puppe. Sie lag in einem schönen, weißen Bettchen, an dessen Ecke eine goldene Krone zu sehen war, und sie war lebendig.« – »Weißt du vielleicht noch, wie sie hieß?« – »Ja«, antwortete er. »Ich weiß noch ganz genau, daß ich sie Rosita, Röschen, genannt habe. Auch hat mir von einem großen, hohen Mann geträumt, der mich Alfonzo nannte. Er nahm mich auf seinen Schoß und trug stets eine schöne, goldene Uniform. Bei uns war auch immer eine schöne, stolze Frau, die mich sehr lieb hatte und mich und die kleine Rosita herzte und küßte. Ich war klein, doch ich weiß, daß ich sie Papa und Mama nannte. Auch lag ich in einem Bett, das Kronen trug. Einmal kam ein fremder Mann, als ich schlief, da erwachte ich, und der Mund war mir verbunden. Aber ich hatte nicht auf unserem Schloß geschlafen, sondern in einer Stadt, wohin ich mit dem Papa und der Mama gefahren war. Ich wollte schreien, denn ich fürchtete mich vor dem Mann, aber er band das Tuch fester, und ich schlief vor Angst wieder ein. Als ich erwachte, lag ich im Wald. Das ist es, was mir geträumt hat.« – »Weiter nichts, weiter gar nichts?« – »Nein.« – »Weißt du nicht, wie der Mann hieß, der die Uniform trug?« – »Die Diener nannten ihn Graf oder auch wohl Exzellenz.« – »Ah! Nannten sie nicht zuweilen einen Namen?« – »Nein.« – »Höre, mein Sohn, das hat dir nicht geträumt, sondern das ist Wirklichkeit!« – »Ich habe es auch zuweilen gedacht; doch wenn ich es dem Capitano sagte, so wurde er sehr zornig und gebot mir zu schweigen. Von der Krone durfte ich gar nicht sprechen, obgleich ich mich ganz genau auf sie besinnen konnte. Er wollte mich schlagen, wenn ich sie beschrieb, und so habe ich immer darüber geschwiegen.« – »Kannst du dich noch jetzt auf sie besinnen?« – »Sehr genau. Sie hatte goldene Zacken mit Perlen, und darunter standen zwei silberne Zeichen.« – »Welche Zeichen waren das?« – »Ich wußte es erst nicht, aber als mich der Pater Dominikaner das Lesen lehrte, da lernte ich diese beiden Zeichen kennen. Es waren zwei Buchstaben, nämlich ein S und ein R.« – »Mein Sohn, das war eine Grafenkrone. Vergiß diese Zeichen niemals!« – »Ich werde dies alles nie vergessen, obgleich der gute Pater Dominikaner der einzige ist, mit dem ich darüber sprechen kann.« – »Du meinst, daß dieser Pater ein guter Mann ist?« – »Ja, er ist kein Brigant; er tut niemals etwas Böses, obgleich er treu zu den Briganten hält und sie nicht verrät. Man kann ihm alles Vertrauen schenken.« – »Und du sagst, daß er auch zur Beichte sitzt und die Absolution erteilt?« – »Ja.« – »Würde er dies auch bei mir tun?« – »Sicher.« – »Willst du ihn mir rufen?« – »Gern! Soll er gleich kommen?« – »Ich wünsche, daß du auch zugegen bist.« – »Ich? Oh, ich darf doch keine Beichte hören!« – »Doch, mein Sohn! Was ich zu beichten habe, wird dich vielleicht mehr angehen, als du denkst. Es ist ein glücklicher Umstand, daß gerade du es bist, der mir diese Kammer anweist. Doch wünsche ich, daß kein Mensch erfahre, daß du bei meiner Beichte zugegen bist. Darum soll der Pater erst dann kommen, wenn man dich nicht vermissen wird.« – »Das wird sein, wenn die anderen alle schlafen.« – »Und noch eins, mein Sohn. Weißt du nicht, ob sich unter euch vielleicht noch einer befindet, der seine Abkunft nicht kennt?« – »Kein einziger. Es sind lauter Flüchtlinge oder arme Teufel, die genau wissen, wer sie


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