Winnetou 3. Karl May

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Winnetou 3 - Karl May


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andere sein, als der kleine Sam und ich.

      Fünf Tage ritten wir bereits durch den Llano estaccado, in welchem wir erst hier und da noch einiges Wasser getroffen hatten; jetzt aber gab es weit und breit keine Spur mehr davon, und ich hatte den Gedanken nicht von mir weisen können, wie praktisch die Überführung von numidischen Kamelen in diese Wüste sein würde. Jetzt nun fielen mir Uhlands Worte ein:

      »Den Pferden war‘s so schwach im Magen,

      Fast mußte der Reiter die Mähre tragen;«

      aber an die Ausführung des letzten Verses, selbst wenn sie sonst möglich gewesen wäre, konnte gegenwärtig nicht gedacht werden, da sich die Reiter ganz und genau in demselben hoffnungslosen Zustande befanden, wie ihre Tiere.

      Der kleine, zusammengetrocknete Sam hing auf dem Halse seiner Stute, als werde er nur durch einen glücklichen Zufall auf dem Pferde festgehalten; sein Mund war geöffnet, und seine Augen zeigten jenen stieren, seelenlosen Blick, der die Nähe der vollständigen Apathie erkennen läßt. Mir selbst war es, als seien die Lider mit Blei beschwert; der Schlund war so trocken, daß ich kein Wort zu sprechen versuchte, grad als ob jeder Laut mir die Kehle zersprengen oder aufreißen müsse, und durch die Adern glühte es wie flüssiges Erz. Ich fühlte, daß es kaum noch eine Stunde dauern könne, bis wir vom Pferde sinken und verschmachtend liegen bleiben würden.

      »Was – — ser!« stöhnte Sam.

      Ich erhob den Kopf. Was sollte ich antworten? Ich schwieg. Da stolperte mein Pferd und blieb stehen; ich gab mir die möglichste Mühe, aber es war nicht weiter fortzubringen. Die alte Tony folgte augenblicklich diesem Beispiele.

      »Absteigen!« meinte ich, und jeder einzelne Laut dieses Wortes tat meinen Stimmwerkzeugen wehe. Es war, als sei der Sprachgang von der Lunge bis zu den Lippen mit Tausenden von Nadeln besteckt.

      Ich kroch vom Pferde, nahm es beim Zügel und schritt schweigend voran; es folgte mir langsam, von seiner Last befreit. Sam zog seine Rosinante hinter sich her, war aber augenscheinlich noch matter als ich. Er taumelte förmlich und drohte bei jedem Schritte umzusinken. So schleppten wir uns wohl noch eine halbe englische Meile weiter, bis ich einen lauten Seufzer hinter mir hörte. Ich sah mich um. Mein guter Sam lag im Sande und hatte die Augen geschlossen. Ich trat zu ihm und setzte mich bei ihm nieder, still und wortlos, denn keine Rede konnte unsere Lage ändern.

      Das also sollte der Abschluß meines Lebens, das Ziel meiner Wanderungen sein! Ich wollte denken an die Eltern, an die Geschwister daheim im fernen Deutschland, wollte meine Gedanken zum Gebete sammeln – es ging nicht, denn mein Gehirn kochte. Wir waren die Opfer eines unerhört grausamen Kunstgriffes, der vor uns bereits gar Manchem das Leben gekostet hatte.

      Von Santa Féé herab und dem Paso del Norte herüber kommen häufig Trupps von Goldsuchern, die in den Minen und Diggins von Californien glücklich gewesen sind und nun mit dem Ertrage ihrer Arbeit nach dem Osten wollen. Sie haben den Llano estaccado zu durchschneiden, und hier ist es, wo grad ihrer eine Gefahr lauert, die ihren Ursprung nicht in den Boden- und klimatischen Verhältnissen hat und neben ihnen dann auch noch Andere trifft. Leute, welche in den Minen unglücklich gewesen sind und die Lust an ehrlicher Arbeit verloren haben, heruntergekommene Subjekte, die der Osten ausspeit, die Vertreter aller möglichen Korruption, ziehen sich am Saume des Estaccado zusammen, um den Goldsuchern aufzulauern. Da diese meist kräftige, abgehärtete Gestalten sind und ihren Mut in tausend Drangsalen und Kämpfen erprobt haben, so ist es auf alle Fälle gefährlich, mit ihnen anzubinden. Daher sind die Freibeuter auf eine Idee gekommen, welche grausamer und infamer nicht gedacht werden kann: sie nehmen nämlich die den Weg weisenden Pfähle fort und stecken sie in einer falschen Richtung ein, welche den Reisenden in das tiefste Grauen der Wüste führt und ihn dem Tode des Verschmachtens in die Arme bringt. Dann wird es ihnen leicht, sich das Eigentum der Toten ohne sonderliche Mühe und Gefahr anzueignen, und die Gebeine von Hunderten bleichen auf diese Weise in tiefer Einsamkeit im Sonnenbrande, während ihre Angehörigen daheim vergeblich auf die Rückkehr warten und nie im Leben wieder etwas von ihnen zu hören bekommen.

      Wir waren bisher den Pfählen mit Vertrauen gefolgt, und erst gegen Mittag hatten wir bemerkt, daß sie uns in eine falsche Richtung führten. Seit wann wir vom richtigen Kurse abgewichen waren, wußte ich nicht; umzukehren war daher nicht geraten, zumal unser Zustand uns jede Minute teuer werden ließ. Sam konnte unmöglich weiter, und auch ich wäre wohl kaum noch eine Meile fortgekommen, selbst wenn ich meine wenige noch übrige Kraft bis auf das äußerste hätte anstrengen mögen. Es war gewiß: noch lebend befanden wir uns bereits im Grabe, wenn uns nicht irgend ein glücklicher Umstand zur Hilfe kam, und das mußte bald geschehen.

      Da erscholl hoch über mir ein schriller, heiserer Schrei. Ich blickte empor und gewahrte einen Geier, welcher sich augenscheinlich erst vor kurzem und zwar ganz in der Nähe von der Erde erhoben hatte. Er beschrieb einen Kreis über uns, als betrachte er uns bereits als seine gewisse, unentrinnbare Beute. Es mußte sich nicht weit von uns ein Opfer der Wüste oder der Stakemen, wie die Räuber des Estaccado genannt werden, befinden, und ich warf den Blick in die Runde, um vielleicht eine Spur davon zu entdecken.

      Obgleich die Hitze der Sonne und des Fiebers das Blut in die Gefäße meiner Augen trieb, so daß sie schmerzten und ihren Dienst versagen wollten, gewahrte ich doch in der Entfernung von ungefähr tausend Schritten einige Punkte, welche weder Steine noch sonstige Erhöhungen sein konnten. Ich nahm mein Doppelgewehr und bemühte mich, näher zu kommen.

      Noch hatte ich die Hälfte der Entfernung nicht zurückgelegt, so erkannte ich drei Coyoten und, etwas weiter von ihnen, einige Geier. Die Tiere saßen rund um einen Körper, den ich nicht genau erkennen konnte. Es mußte ein Tier oder ein Mensch sein, der noch nicht ganz tot war, sonst hätten sich die gefräßigen Geschöpfe längst in seine Leiche geteilt. Gleichwohl erfüllte mich die Gegenwart der Coyoten mit einem Anfluge von Hoffnung, da diese Tiere, welche nicht lange ohne Wasser zu leben vermögen, sich nicht weit in die unwirtbaren Strecken der Wüste hineinwagen können. Übrigens mußte ich sehen, welcher Art der Körper war, den sie umringt hielten, und schon erhob ich den Fuß, um weiter zu gehen, als mir ein Gedanke kam, der mich schnell die Büchse in Anschlag bringen ließ.

      Wir waren dem Verschmachten nahe; Wasser gab es hier nicht, aber konnte uns nicht das Blut dieser Tiere wenigstens einigermaßen eine Erquickung bringen? Ich legte also an, aber meine Schwäche und das Fieber waren so groß, daß die Mündung des Gewehres um mehrere Zoll weit hin und her wankte. Ich ließ mich also nieder, stemmte den Arm auf das Knie und hatte nun einen sicheren Schuß.

      Ich drückte los und noch einmal; – zwei Coyoten wälzten sich im Sande; dieser Augenblick ließ mich alle meine Schwäche vergessen, und im eiligen Laufe rannte ich hinzu. Der eine Wolf war durch den Kopf getroffen, der andere Schuß war so schülerhaft ausgefallen, daß ich mich dessen zeitlebens geschämt hätte, wenn mein Zustand nicht ein so krankhafter gewesen wäre. Die Kugel hatte dem zweiten, aufspringenden Tiere die beiden Vorderbeine zerschmettert, so daß es sich heulend im Sande wälzte.

      Ich zog das Messer, öffnete dem ersten Wolfe die Halsader und sog mit den Lippen das Blut mit einer Begierde ein, als ob es olympischer Nektar sei; dann nahm ich den Lederbecher vom Gürtel, ließ ihn voll laufen und trat zu dem Manne, welcher wie tot in der Nähe lag. Es war ein Neger, und kaum hatte ich den Blick in sein jetzt nicht schwarzes, sondern schmutzig dunkelgraues Gesicht geworfen, so hätte ich vor Überraschung beinahe den Becher fallen lassen.

      »Bob!«

      Er öffnete bei diesem Rufe die Augenlider ein wenig.

      »Wasser!« seufzte er.

      Ich kniete neben ihm nieder, hob seinen Oberleib empor und hielt ihm die Schale an den Mund.

      »Trinke!«

      Er öffnete die Lippen, aber sein ausgetrockneter Schlund vermochte kaum mehr zu schlucken, und es dauerte lange, ehe ich ihm die ekelhafte Flüssigkeit eingeflößt hatte. Dann sank er wieder hinüber.

      Jetzt mußte ich an Sam denken. Ich hatte mit Vorbedacht zuerst das Blut des tödlich getroffenen Coyoten genommen, denn dieses mußte eher gerinnen als dasjenige des andern, der bloß äußerlich verletzt war.

      Ich trat zu ihm, und obgleich das Tier wütend nach mir biß, schonte ich doch jetzt


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