Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Ten­denz für Ab­sich­ten ver­fol­gen? Denn daß er Staats­ab­sich­ten ver­folgt, geht schon dar­aus her­vor, wie jene preu­ßi­schen Schul­zu­stän­de von an­de­ren Staa­ten be­wun­dert, reif­lich er­wo­gen, hier und da nach­ge­ahmt wer­den. Die­se an­de­ren Staa­ten ver­muthen hier of­fen­bar Et­was, was in ähn­li­cher Wei­se der Fort­dau­er und Kraft des Staa­tes zu Nut­ze käme, wie etwa jene be­rühm­te und durch­aus po­pu­lär ge­wor­de­ne all­ge­mei­ne Wehr­pflicht. Dort wo Je­der­mann pe­ri­odisch und mit Stolz die sol­da­ti­sche Uni­form trägt, wo fast Je­der die uni­for­mir­te Staats­cul­tur durch die Gym­na­si­en in sich auf­ge­nom­men hat, möch­ten Über­schwäng­li­che fast von an­ti­ken Zu­stän­den spre­chen, von ei­ner nur im Al­ter­thum ein­mal er­reich­ten All­macht des Staa­tes, den als Blü­the und höchs­ten Zweck des mensch­li­chen Da­seins zu emp­fin­den fast je­der jun­ge Mensch durch In­stink­te und Er­zie­hung an­ge­hal­ten ist.«

      »Die­ser Ver­gleich«, sag­te der Phi­lo­soph, »wäre nun frei­lich über­schwäng­lich und wür­de nicht nur auf ei­nem Bei­ne hin­ken. Denn ge­ra­de von die­ser Uti­li­täts­rück­sicht ist das an­ti­ke Staats­we­sen so fern wie mög­lich ge­blie­ben, die Bil­dung nur gel­ten zu las­sen, so­weit sie ihm di­rekt nütz­te und wohl gar die Trie­be zu ver­nich­ten, die sich nicht so­fort zu sei­nen Ab­sich­ten ver­wend­bar er­wie­sen. Der tief­sin­ni­ge Grie­che emp­fand ge­ra­de des­halb ge­gen den Staat je­nes für mo­der­ne Men­schen fast an­stö­ßig star­ke Ge­fühl der Be­wun­de­rung und Dank­bar­keit, weil er er­kann­te, daß ohne eine sol­che Noth- und Schutz­an­stalt auch kein ein­zi­ger Keim der Cul­tur sich ent­wi­ckeln kön­ne, und daß sei­ne gan­ze un­nach­ahm­li­che und für alle Zei­ten ein­zi­ge Cul­tur ge­ra­de un­ter der sorg­sa­men und wei­sen Ob­hut sei­ner Noth- und Schutz­an­stal­ten so üp­pig em­por­ge­wach­sen sei. Nicht Grenzwäch­ter, Re­gu­la­tor, Auf­se­her war für sei­ne Cul­tur der Staat, son­dern der der­be mus­ku­lö­se zum Kampf ge­rüs­te­te Ka­me­rad und Weg­ge­nos­se, der dem be­wun­der­ten, ed­le­ren und gleich­sam über­ir­di­schen Freund das Ge­leit durch rau­he Wirk­lich­kei­ten giebt und da­für des­sen Dank­bar­keit ern­tet. Wenn jetzt da­ge­gen der mo­der­ne Staat eine sol­che schwär­me­n­de Dank­bar­keit in An­spruch nimmt, so ge­schieht dies ge­wiß nicht, weil er sich der rit­ter­li­chen Diens­te ge­gen die höchs­te deut­sche Bil­dung und Kunst be­wußt wäre: denn nach die­ser Sei­te hin ist sei­ne Ver­gan­gen­heit eben­so schmach­voll wie sei­ne Ge­gen­wart: wo­bei man nur an die Art und Wei­se zu den­ken hat, wie das An­den­ken an uns­re großen Dich­ter und Künst­ler in deut­schen Haupt­städ­ten ge­fei­ert wird, und wie die höchs­ten Kunst­plä­ne die­ser deut­schen Meis­ter je von Sei­te die­ses Staa­tes un­ter­stützt wor­den sind.

      Es muß also eine eig­ne Be­wandt­niß ha­ben, so­wohl mit je­ner Staats­ten­denz, wel­che auf alle Wei­se Das, was hier »Bil­dung« heißt, för­dert, als mit je­ner der­ar­tig ge­for­der­ten Cul­tur, die sich die­ser Staats­ten­denz un­ter­ord­net. Mit dem äch­ten deut­schen Geis­te und ei­ner aus ihm ab­zu­lei­ten­den Bil­dung, wie ich sie dir, mein Freund, mit zö­gern­den Stri­chen hin­zeich­ne­te, be­fin­det sich jene Staats­ten­denz in of­fe­ner oder ver­steck­ter Feh­de: der Geist der Bil­dung, der je­ner Staats­ten­denz wohl­thut und von ihr mit so re­ger Theil­nah­me ge­tra­gen wird, des­sent­we­gen sie ihr Schul­we­sen im Aus­lan­de be­wun­dern läßt, muß dem­nach wohl aus ei­ner Sphä­re stam­men, die mit je­nem äch­ten deut­schen Geis­te sich nicht be­rührt, mit je­nem Geis­te, der aus dem in­ners­ten Ker­ne der deut­schen Re­for­ma­ti­on, der deut­schen Mu­sik, der deut­schen Phi­lo­so­phie so wun­der­bar zu uns re­det, und der, wie ein ed­ler Ver­bann­ter, ge­ra­de von je­ner von Staats­we­gen lu­xu­ri­i­ren­den Bil­dung so gleich­gül­tig, so schnö­de an­ge­sehn wird. Er ist ein Fremd­ling: in ein­sa­mer Trau­er zieht er vor­bei: und dort wird das Rauch­faß vor je­ner Pseu­do­cul­tur ge­schwun­gen, die, un­ter dem Zu­ruf der »ge­bil­de­ten« Leh­rer und Zei­tungs­schrei­ber, sich sei­nen Na­men, sei­ne Wür­den an­ge­maßt hat und mit dem Wor­te »deutsch« ein schmäh­li­ches Spiel treibt. Wozu braucht der Staat jene Über­zahl von Bil­dungs­an­stal­ten, von Bil­dungs­leh­rern? Wozu die­se auf die Brei­te ge­grün­de­te Volks­bil­dung und Volks­auf­klä­rung? Weil der äch­te deut­sche Geist ge­haßt wird, weil man die ari­sto­kra­ti­sche Na­tur der wah­ren Bil­dung fürch­tet, weil man die großen Ein­zel­nen da­durch zur Selbst­ver­ban­nung trei­ben will, daß man bei den Vie­len die Bil­dungs­prä­ten­si­on pflanzt und nährt, weil man der stren­gen und har­ten Zucht der großen Füh­rer da­mit zu ent­lau­fen sucht, daß man der Mas­se ein­re­det, sie wer­de schon selbst den Weg fin­den – un­ter dem Leit­stern des Staa­tes!

      Ein neu­es Phä­no­men! Der Staat als Leit­stern der Bil­dung! In­zwi­schen trös­tet mich eins: die­ser deut­sche Geist, den man so be­kämpft, dem man einen bunt be­häng­ten Vi­car sub­sti­tu­irt hat, die­ser Geist ist tap­fer: er wird sich kämp­fend in eine rei­ne­re Pe­ri­ode hin­durch­ret­ten, er wird sich selbst, edel, wie er ist, und sieg­reich, wie er sein wird, eine ge­wis­se mit­lei­di­ge Emp­fin­dung ge­gen das Staats­we­sen be­wah­ren, wenn dies in sei­ner Noth und auf das Äu­ßers­te be­drängt, eine sol­che Pseu­do­cul­tur als Bun­des­ge­nos­sen er­faßt. Denn was weiß man schließ­lich von der Schwie­rig­keit der Auf­ga­be, Men­schen zu re­gie­ren, das heißt un­ter vie­len Mil­lio­nen ei­nes, der großen Mehr­zahl nach, gren­zen­los egois­ti­schen, un­ge­rech­ten, un­bil­li­gen, un­red­li­chen, nei­di­schen, bos­haf­ten und da­bei sehr be­schränk­ten und quer­köp­fi­gen Ge­schlech­tes Ge­setz, Ord­nung, Ruhe und Frie­den auf­recht zu er­hal­ten und da­bei das We­ni­ge, was der Staat selbst als Be­sitz er­wor­ben, fort­wäh­rend ge­gen be­gehr­li­che Nach­barn und tücki­sche Räu­ber zu schüt­zen? Ein so be­dräng­ter Staat greift nach je­dem Bun­des­ge­nos­sen: und wenn ein sol­cher gar, in pom­pö­sen Wen­dun­gen sich selbst an­bie­tet, wenn er ihn, den Staat, etwa, wie dies He­gel gethan, als »ab­so­lut vollen­de­ten ethi­schen Or­ga­nis­mus« be­zeich­net und als Auf­ga­be der Bil­dung für Je­den hin­stellt, den Ort und die Lage aus­fin­dig zu ma­chen, wo er dem Staat am nütz­lichs­ten die­ne – wen wird es Wun­der neh­men, wenn der Staat ei­nem sol­chen sich an­bie­ten­den Bun­des­ge­nos­sen ohne Wei­te­res um den Hals fällt und nun auch mit sei­ner tie­fen bar­ba­ri­schen Stim­me und in vol­ler Über­zeu­gung ihm zu­ruft: »Ja! Du bist die Bil­dung! Du bist die Cul­tur!«

      *

      Vier­ter Vor­trag.

      (Ge­hal­ten am 5. März 1872.)

      Mei­ne ver­ehr­ten Zu­hö­rer! Nach­dem Sie bis hier­her mei­ner Er­zäh­lung ge­treu­lich ge­folgt sind, und wir ge­mein­sam je­nes ein­sa­me, ent­le­ge­ne, hier und da be­lei­di­gen­de Zwie­ge­spräch des Phi­lo­so­phen und sei­nes Beglei­ters über­wun­den ha­ben, muß ich mir Hoff­nung ma­chen, daß Sie nun auch, wie rüs­ti­ge Schwim­mer, die zwei­te Hälf­te un­se­rer Fahrt zu über­ste­hen Lust ha­ben, zu­mal ich Ih­nen ver­spre­chen kann, daß auf dem klei­nen Ma­rio­net­ten­thea­ter mei­nes Er­leb­nis­ses jetzt ei­ni­ge an­de­re Pup­pen sich zei­gen wer­den und daß über­haupt, falls Sie nur bis hier­her aus­ge­hal­ten ha­ben, die Wel­len der Er­zäh­lung Sie jetzt leich­ter und schnel­ler bis zu Ende tra­gen sol­len. Wir sind näm­lich jetzt bald an ei­ner Wen­dung an­ge­langt: und um so rath­sa­mer möch­te es sein, uns des­sen noch ein­mal, mit kur­z­em Rück­blick, zu ver­si­chern, was wir aus dem so wech­sel­rei­chen Ge­spräch


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