Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Geis­ter durch euch, durch eure Bar­ba­rei vor­zei­tig er­stickt, ver­braucht, er­lo­schen sind? Wie, ihr dürf­tet ohne Scham an Les­sing den­ken, der an eu­rer Stumpf­heit, im Kampf mit eu­ren lä­cher­li­chen Klöt­zen und Göt­zen, un­ter dem Miß­stan­de eu­rer Thea­ter, eu­rer Ge­lehr­ten, eu­rer Theo­lo­gen zu Grun­de gieng, ohne ein ein­zi­ges Mal je­nen ewi­gen Flug wa­gen zu dür­fen, zu dem er in die Welt ge­kom­men war? Und was emp­fin­det ihr bei Win­ckel­mann’s An­ge­den­ken, der, um sei­nen Blick von eu­ren gro­tes­ken Al­bern­hei­ten zu be­frein, bei den Je­sui­ten um Hül­fe bet­teln gieng, des­sen schmäh­li­cher Über­tritt auf euch zu­rück­fällt und an euch als un­ver­tilg­ba­rer Fle­cken haf­ten wird? Ihr dürf­tet gar Schil­ler’s Na­men nen­nen und könnt nicht er­rö­then? Seht sein Bild euch an! Das ent­zün­det fun­keln­de Auge, das ver­ächt­lich über euch hin­weg­fliegt, die­se tödt­lich ge­röthe­te Wan­ge – das sagt euch Nichts? Da hat­tet ihr so ein herr­li­ches und gött­li­ches Spiel­zeug, das durch euch zer­trüm­mert wur­de. Und nehmt noch Goethe’s Freund­schaft aus die­sem schwer­müthig has­ti­gen, zu Tode ge­hetz­ten Le­ben hin­weg – an euch hät­te es dann ge­le­gen, es noch schnel­ler ver­lö­schen zu ma­chen. Bei Kei­nem un­se­rer großen Ge­ni­en habt ihr mit­ge­hol­fen – und jetzt wollt ihr ein Dog­ma dar­aus ma­chen, daß Kei­nem mehr ge­hol­fen wer­de? Aber für Je­den wä­ret ihr, bis die­sen Au­gen­blick, der »Wi­der­stand der dump­fen Welt«, den Goe­the in sei­nem Epi­log zur Glo­cke bei Na­men nennt, für Je­den wä­ret ihr die ver­dros­se­nen Stumpf­sin­ni­gen oder die nei­di­schen Eng­her­zi­gen oder die bos­haf­ten Selbst­süch­ti­gen. Trotz euch schu­fen Jene ihre Wer­ke, ge­gen euch wand­ten sie ihre An­grif­fe und Dank euch star­ben sie zu früh, in un­voll­en­de­ter Ta­ges­ar­beit, un­ter Kämp­fen zer­bro­chen oder be­täubt, da­hin. Wer kann aus­den­ken, was die­sen he­ro­i­schen Män­nern zu er­rei­chen be­schie­den war, wenn je­ner wah­re deut­sche Geist in ei­ner kräf­ti­gen In­sti­tu­ti­on sein schüt­zen­des Dach über sie aus­ge­brei­tet hät­te, je­ner Geist, der ohne eine sol­che In­sti­tu­ti­on ver­ein­zelt, zer­brö­ckelt, ent­ar­tet sein Da­sein weiter­schleppt. Alle jene Män­ner sind zu Grun­de ge­rich­tet: und es ge­hört ein toll­ge­wor­de­ner Glau­be an die Ver­nünf­tig­keit al­les Ge­sche­hen­den dazu, um mit ihm eure Schuld ent­schul­di­gen zu wol­len. Und nicht jene Män­ner al­lein! Aus al­len Be­rei­chen in­tel­lek­tu­el­ler Aus­zeich­nung tre­ten die An­klä­ger ge­gen euch auf: mag ich auf alle die dich­te­ri­schen oder phi­lo­so­phi­schen oder ma­le­ri­schen oder plas­ti­schen Be­ga­bun­gen hin­sehn und nicht nur auf die Be­ga­bun­gen des höchs­ten Gra­des, über­all be­mer­ke ich das nicht Reif­ge­wor­de­ne, das Über­reiz­te oder zu früh Er­schlaff­te, das vor der Blü­the Ver­seng­te oder Er­fro­re­ne, über­all wit­te­re ich je­nen »Wi­der­stand der stump­fen Welt«, das heißt eure Ver­schul­dung. Was will es be­sa­gen, wenn ich nach Bil­dungs­an­stal­ten ver­lan­ge und den Zu­stand De­rer, die sich so nen­nen, er­bar­mungs­wür­dig fin­de. Wer dies ein »idea­les Ver­lan­gen« und über­haupt »ide­al« zu nen­nen be­liebt und wohl gar da­mit wie mit ei­nem Lobe mich ab­zu­fin­den meint, dem die­ne zur Ant­wort, daß das Vor­han­de­ne ein­fach eine Ge­mein­heit und eine Schmach ist, und daß, wer in klap­per­dür­rem Frost nach Wär­me ver­langt, wild wer­den muß, wenn man dies ein »idea­les Ver­lan­gen« nennt. Hier han­delt es sich um, lau­ter auf­dring­li­che, ge­gen­wär­ti­ge, au­gen­schein­li­che Wirk­lich­kei­ten: wer et­was da­von fühlt, der weiß, daß es hier eine Noth giebt, wie Frost und Hun­ger. Wer aber nichts da­von fühlt – nun, der hat dann we­nigs­tens einen Maß­stab, um zu mes­sen, wo Das auf­hört, was ich »Bil­dung« nen­ne, und bei wel­chen Qua­dern der Py­ra­mi­de sich die Sphä­re, die von un­ten, und die an­de­re, die von oben be­herrscht wird, schei­det.«

      Der Phi­lo­soph schi­en sich sehr er­hitzt zu ha­ben: wir for­der­ten ihn auf, wie­der et­was her­um­zu­gehn, wäh­rend er sei­ne letz­ten Re­den ste­hend, in der Nähe je­nes Baum­stump­fes, der uns als Ziel­schei­be für un­se­re Pis­to­len­küns­te diente, ge­spro­chen hat­te. Es wur­de für eine Zeit un­ter uns ganz still. Lang­sam und nach­denk­lich schrit­ten wir auf und ab. Wir emp­fan­den viel we­ni­ger Be­schä­mung, so thö­rich­te Ar­gu­men­te vor­ge­bracht zu ha­ben, als eine ge­wis­se Re­sti­tu­ti­on un­se­rer Per­sön­lich­keit: ge­ra­de nach den er­hitz­ten und für uns nicht schmei­chel­haf­ten An­re­den glaub­ten wir uns dem Phi­lo­so­phen nä­her, ja per­sön­li­cher ge­stellt zu füh­len. Denn so elend ist der Mensch, daß er durch Nichts ei­nem Frem­den so schnell nahe kommt, als wenn die­ser eine Schwä­che, einen De­fekt mer­ken läßt. Daß un­ser Phi­lo­soph er­hitzt wur­de und Schimpf­wor­te ge­brauch­te, über­brück­te et­was die bis­her al­lein emp­fun­de­ne scheue Ehr­er­bie­tung; für Den, der eine sol­che Beo­b­ach­tung em­pö­rend fin­det, sei hin­zu­ge­setzt, daß die­se Brücke oft­mals von der ent­fern­ten Ver­eh­rung zur per­sön­li­chen Lie­be und zum Mit­lei­den führt. Und die­ses Mit­lei­den trat, nach je­nem Ge­fühl der Re­sti­tu­ti­on un­se­rer Per­sön­lich­keit, all­mäh­lich im­mer stär­ker her­vor. Wozu fühl­ten wir den al­ten Mann hier nächt­li­cher Wei­le zwi­schen Baum und Fels her­um? Und da er dies uns nach­ge­ge­ben hat­te, warum fan­den wir nicht eine ru­hi­ge­re und be­schei­de­nere Form uns be­leh­ren zu las­sen, warum muß­ten wir zu Drei in so un­ge­schick­ter Wei­se un­sern Wi­der­spruch äu­ßern?

      Denn jetzt merk­ten wir es be­reits, wie un­be­dacht, un­vor­be­rei­tet und un­er­fah­ren un­se­re Ein­wen­dun­gen wa­ren, wie sehr ge­ra­de in ih­nen das Echo der Ge­gen­wart wie­der­klang, de­ren Stim­me der Alte nun ein­mal im Be­rei­che der Bil­dung nicht hö­ren moch­te. Un­se­re Ein­wen­dun­gen wa­ren über­dies nicht ei­gent­lich rein aus dem In­tel­lek­te ent­sprun­gen: der Grund, der durch die Re­den des Phi­lo­so­phen er­regt und zum Wi­der­stand ge­reizt war, schi­en an­ders­wo zu lie­gen. Vi­el­leicht sprach aus uns nur die in­stink­ti­ve Angst, ob ge­ra­de un­se­re In­di­vi­du­en bei sol­chen An­sich­ten, wie sie der Phi­lo­soph hat­te, vort­heil­haft be­dacht sei­en, viel­leicht dräng­ten sich alle jene frü­he­ren Ein­bil­dun­gen, die wir uns über un­se­re ei­ge­ne Bil­dung ge­macht hat­ten, jetzt zu der Noth zu­sam­men, um je­den Preis Grün­de ge­gen eine Be­trach­tungs­art zu fin­den, durch die al­ler­dings un­ser ver­meint­li­cher An­spruch auf Bil­dung recht gründ­lich ab­ge­wie­sen wur­de. Mit Geg­nern aber, die so per­sön­lich die Wucht ei­ner Ar­gu­men­ta­ti­on emp­fin­den, soll man nicht strei­ten; oder wie die Moral für un­sern Fall lau­ten wür­de: sol­che Geg­ner sol­len nicht strei­ten, sol­len nicht wi­der­spre­chen.

      So gien­gen wir ne­ben dem Phi­lo­so­phen her, be­schämt, mit­lei­dig, un­zu­frie­den mit uns und mehr als je über­zeugt, daß der Greis Recht ha­ben müs­se, und daß wir ihm Un­recht gethan hät­ten. Wie weit zu­rück lag jetzt der Ju­gendtraum un­se­rer Bil­dungs­an­stalt, wie deut­lich er­kann­ten wir die Ge­fahr, an der wir bis­her nur durch einen Zu­fall vor­bei­ge­schlüpft wa­ren, uns näm­lich mit Haut und Haar dem Bil­dungs­we­sen zu ver­lau­fen, das von je­nen Kna­ben­jah­ren an, be­reits aus un­serm Gym­na­si­um her­aus, ver­lo­ckend zu uns ge­spro­chen hat­te! Wo­rin lag es doch, daß wir noch nicht im öf­fent­li­chen Cho­rus sei­ner Be­wun­de­rer stan­den? Vi­el­leicht nur dar­in, daß wir noch wirk­li­che Stu­den­ten wa­ren, daß wir uns noch, aus dem gie­ri­gen Ha­schen und Drän­gen, aus dem rast­lo­sen und sich über­stür­zen­den Wel­len­schlag der Öf­fent­lich­keit, auf jene bald nun auch weg­ge­schwemm­te In­sel zu­rück­ziehn konn­ten!


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