Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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da sind.«

      Hier re­ci­tir­te mein Freund so­fort:

       »Aus Ehr­furcht, hoff’ ich, soll es uns ge­lin­gen,

       »Das leich­te Na­tu­rell zu zwin­gen,

       »Nur Zick­zack geht ge­wöhn­lich un­ser Lauf.«

      Der Phi­lo­soph wun­der­te sich und blieb ste­hen. »Ihr über­rascht mich«, sag­te er, »mei­ne Her­ren Irr­lich­ter: dies ist doch kein Sumpf! Was ha­ben Sie von die­ser Stät­te? Was be­deu­tet Ih­nen die Nähe ei­nes Phi­lo­so­phen? Da ist die Luft scharf und klar, da ist der Bo­den tro­cken und hart. Ihr müßt euch eine phan­tas­ti­sche­re Re­gi­on für eure Zick­zack­nei­gun­gen aus­su­chen.«

      »Ich den­ke«, sprach hier der Beglei­ter da­zwi­schen, »die Her­ren ha­ben uns be­reits ge­sagt, daß ein Ver­spre­chen sie für die­se Stun­de an die­sen Ort bin­det: aber wie mich dünkt, ha­ben sie auch, als Chor, un­se­rer Bil­dungs­ko­mö­die zu­ge­hört und zwar als wahr­haft »idea­li­sche Zuschau­er« – denn sie ha­ben uns nicht ge­stört, wir glaub­ten mit­ein­an­der al­lein zu sein.«

      »Ja«, sag­te der Phi­lo­soph, »das ist wahr: die­ses Lob darf Ih­nen nicht ver­sagt wer­den, aber es schi­en mir, daß Sie noch ein grö­ße­res ver­dien­ten –«

      Hier er­faß­te ich die Hand des Phi­lo­so­phen und sag­te: »Der muß ja stumpf wie ein Rep­til sein, Bauch am Bo­den, Kopf im Schlam­me, der sol­che Re­den, wie die Ih­ri­gen, an­hö­ren könn­te, ohne ernst und nach­denk­lich, ja er­regt und heiß zu wer­den. Vi­el­leicht wür­de der Eine oder der An­de­re da­bei er­grim­men, aus Ver­druß und Selb­st­an­kla­ge; bei uns aber war der Ein­druck an­ders, nur daß ich nicht weiß, wie ich ihn be­schrei­ben soll. Gera­de die­se Stun­de war für uns so aus­ge­sucht, un­se­re Stim­mung war so vor­be­rei­tet, wir sa­ßen da wie of­fe­ne Ge­fäße – nun scheint es, daß wir uns mit die­ser neu­en Weis­heit über­füllt ha­ben, denn ich weiß mir gar nicht mehr zu hel­fen, und wenn mich Je­mand frag­te, was ich am mor­gen­den Tage thun wol­le oder was ich über­haupt mir von jetzt ab zu thun vornäh­me, so wür­de ich gar nicht zu ant­wor­ten wis­sen. Denn of­fen­bar ha­ben wir bis jetzt ganz an­ders ge­lebt, ganz an­ders uns ge­bil­det, als es recht ist – aber was ma­chen wir, um über die Kluft von heu­te zu mor­gen hin­weg­zu­kom­men?«

      »Ja«, be­stä­tig­te mein Freund, »so geht es auch mir, so fra­ge ich gleich­falls: dann aber ist mir’s, als ob ich über­haupt durch so hohe und idea­le An­sich­ten über die Auf­ga­be der deut­schen Bil­dung von ihr fort­ge­scheucht wür­de, ja als ob ich nicht wür­dig sei, an ih­rem Wer­ke mit­zu­bau­en. Ich sehe nur einen glän­zen­den Zug der al­ler­reichs­ten Na­tu­ren nach je­nem Zie­le sich hin­be­we­gen, ich ahne, über wel­che Ab­grün­de hin, an wel­chen Ver­lo­ckun­gen vor­bei die­ser Zug führt. Wer darf so kühn sein, die­sem Zuge sich zu­zu­ge­sel­len?«

      Hier wen­de­te sich auch der Beglei­ter wie­der an den Phi­lo­so­phen und sag­te: »Verar­gen Sie es auch mir nicht, wenn ich et­was Ähn­li­ches emp­fin­de und wenn ich es jetzt vor Ih­nen aus­spre­che. In der Un­ter­re­dung mit Ih­nen geht es mir oft so, daß ich mich über mich selbst hin­aus­ge­ho­ben füh­le und mich an Ihrem Mu­the, Ihren Hoff­nun­gen, bis zum Selbst­ver­ges­sen, er­wär­me. Dann kommt ein küh­ler­er Au­gen­blick, ir­gend ein schar­fer Wind der Wirk­lich­keit bringt mich zum Be­sin­nen – und dann sehe ich nur die weit zwi­schen uns auf­ge­riss­ne Kluft, über die Sie selbst mich, wie im Trau­me, weg­tru­gen. Was Sie Bil­dung nen­nen, das schlot­tert dann um mich her­um oder las­tet schwer auf mei­ner Brust, das ist ein Pan­zer­hemd, durch das ich nie­der­ge­drückt wer­de, ein Schwert, das ich nicht schwin­gen kann.«

      Plötz­lich wa­ren wir Drei, an­ge­sichts des Phi­lo­so­phen, ein­müthig, und uns ge­gen­sei­tig sti­mu­li­rend und er­muthi­gend brach­ten wir etwa Fol­gen­des ge­mein­schaft­lich vor, wäh­rend wir mit dem Phi­lo­so­phen auf der baum­frei­en Flä­che, die uns an je­nem Tage als Schieß­platz ge­dient hat­te, lang­sam auf- und ab­gien­gen, in völ­lig schweig­sa­mer Nacht und un­ter ei­nem ru­hig aus­ge­spann­ten Ster­nen­him­mel.

      »Sie ha­ben so­viel vom Ge­ni­us ge­spro­chen«, sag­ten wir etwa, »von sei­ner ein­sa­men be­schwer­li­chen Wan­de­rung durch die Welt, als ob die Na­tur nur im­mer die äu­ßers­ten Ge­gen­sät­ze pro­du­ci­re, ein­mal die stump­fe schla­fen­de, durch In­stink­te fort­wu­chern­de Mas­se und dann in un­ge­heu­rer Ent­fer­nung da­von, die großen con­tem­pla­ti­ven, zu ewi­gen Schöp­fun­gen aus­ge­rüs­te­ten Ein­zel­nen. Nun aber nen­nen Sie die­se selbst die Spit­ze der in­tel­lek­tu­el­len Py­ra­mi­de: es scheint doch, daß vom brei­ten schwer­be­las­te­ten Fun­da­men­te aus bis zu dem frei ra­gen­den Gip­fel zahl­lo­se Zwi­schen­gra­de nö­thig sind, und daß ge­ra­de hier der Satz gel­ten muß: na­tu­ra non fa­cit sal­tus. Wo aber be­ginnt nun Das, was Sie Bil­dung nen­nen, bei wel­chen Qua­dern schei­det sich die Sphä­re, die von un­ten her und die an­de­re, die von oben her be­herrscht wird? Und wenn nur bei die­sen ent­le­gens­ten Na­tu­ren wahr­haft von Bil­dung ge­re­det wer­den darf, wie will man auf das un­be­re­chen­ba­re Da­sein sol­cher Na­tu­ren In­sti­tu­tio­nen grün­den, wie darf man über Bil­dungs­an­stal­ten nach­den­ken, die eben nur je­nen Au­ser­wähl­ten zu gute kämen? Viel­mehr dünkt es uns, daß ge­ra­de die­se ih­ren Weg zu fin­den wis­sen, und daß dann ihre Kraft sich zeigt, ohne sol­che Bil­dungs­krücken, wie sie je­der An­de­re braucht, ge­hen zu kön­nen und so, un­ge­stört, durch das Drän­gen und Sto­ßen der Welt­ge­schich­te hin­durch­zu­schrei­ten, gleich­sam wie ein Ge­s­penst durch eine große dich­te Ver­samm­lung.«

      Der­ar­ti­ges brach­ten wir mit­ein­an­der, ohne viel Ge­schick und Ord­nung vor, ja der Beglei­ter des Phi­lo­so­phen gieng noch wei­ter und sag­te zu sei­nem Leh­rer: »Nun den­ken Sie selbst an alle die großen Ge­ni­en, auf die wir ge­ra­de, als auf äch­te und treue Füh­rer und Weg­wei­ser je­nes wah­ren deut­schen Geis­tes stolz zu sein pfle­gen, de­ren An­den­ken wir durch Fes­te und Sta­tu­en eh­ren, de­ren Wer­ke wir mit Selbst­ge­fühl dem Aus­lan­de ent­ge­gen­hal­ten: worin ist die­sen eine sol­che Bil­dung, wie Sie sie ver­lan­gen, ent­ge­gen­ge­kom­men, in­wie­fern zei­gen sie sich er­nährt und ge­reift an ei­ner hei­mi­schen Bil­dungs­son­ne? Und trotz­dem sind sie mög­lich ge­we­sen, und trotz­dem sind sie Das ge­wor­den, was wir jetzt so zu ver­eh­ren ha­ben, ja ihre Wer­ke recht­fer­ti­gen viel­leicht ge­ra­de die Form der Ent­wick­lung, die die­se ed­len Na­tu­ren nah­men, ja selbst einen sol­chen Man­gel an Bil­dung, den wir wohl bei ih­rer Zeit und ih­rem Vol­ke zu­ge­ben müs­sen. Was hat­te Les­sing, was hat­te Win­ckel­mann aus ei­ner vor­han­de­nen deut­schen Bil­dung zu ent­neh­men? Nichts oder min­des­tens eben­so­we­nig als Beetho­ven, als Schil­ler, als Goe­the, als alle un­se­re großen Künst­ler und Dich­ter. Vi­el­leicht ist es ein Na­tur­ge­setz, daß im­mer erst die spä­te­ren Ge­ne­ra­tio­nen sich be­wußt wer­den müs­sen, durch wel­che himm­li­schen Ge­schen­ke eine frü­he­re aus­ge­zeich­net wor­den sei.«

      Hier ge­rieth der phi­lo­so­phi­sche Greis in hef­ti­gen Zorn und schrie sei­nen Beglei­ter an: »O du Lamm an Ein­falt der Er­kennt­niß! O ihr ins­ge­sammt Säu­gethie­re zu Nen­nen­de! Was sind das für schie­fe, lin­ki­sche, enge, höcke­ri­ge, krüp­pel­haf­te Ar­gu­men­ta­tio­nen! Ja, jetzt eben hör­te ich die Bil­dung un­se­rer Tage, und mei­ne Ohren klin­gen wie­der von lau­ter ge­schicht­li­chen »Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten«, von lau­ter alt­klu­gen


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