Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Ihre Er­kennt­nis­se und Er­fah­run­gen in der Sphä­re der Uni­ver­si­tät und vollen­den da­mit den Kreis der Be­trach­tun­gen, zu de­nen wir un­will­kür­lich in Be­treff un­se­rer Bil­dungs­an­stal­ten ge­nö­thigt wor­den sind. Zu­dem sei es uns er­laubt, Sie dar­an zu er­in­nern, daß Sie, auf ei­ner frü­he­ren Stu­fe Ih­rer, Be­spre­chun­gen, mir so­gar eine der­ar­ti­ge Ver­hei­ßung ge­macht ha­ben. Von dem Gym­na­si­um aus­ge­hend, be­haup­te­ten Sie für das­sel­be eine au­ßer­or­dent­li­che Be­deu­tung: an sei­nem Bil­dungs­zie­le, je nach­dem es ge­steckt ist, müß­ten sich alle an­de­ren In­sti­tu­te mes­sen, an den Ver­ir­run­gen sei­ner Ten­denz hät­ten jene mit­zu­lei­den. Eine sol­che Be­deu­tung, als be­we­gen­der Mit­tel­punkt, kön­ne setzt selbst die Uni­ver­si­tät nicht mehr für sich in An­spruch neh­men, die, bei ih­rer jet­zi­gen For­ma­ti­on, we­nigs­tens nach ei­ner wich­ti­gen Sei­te hin nur als Aus­bau der Gym­na­si­al­ten­denz gel­ten dür­fe. Hier ver­spra­chen Sie mir eine spä­te­re Aus­füh­rung: Et­was, was viel­leicht auch un­se­re stu­die­ren­den Freun­de be­zeu­gen kön­nen, die un­ser da­ma­li­ges Ge­spräch mög­li­cher Wei­se mit an­ge­hört ha­ben.«

      »Dies be­zeu­gen wir«, ver­setz­te ich. Der Phi­lo­soph wen­de­te sich ge­gen uns und ver­setz­te: »Nun, wenn ihr wirk­lich zu­ge­hört habt, so könnt ihr mir ein­mal be­schrei­ben, was ihr, nach al­lem Ge­sag­ten, un­ter der jet­zi­gen Gym­na­si­al­ten­denz ver­steht. Zu­dem steht ihr die­ser Sphä­re noch nahe ge­nug, um mei­ne Ge­dan­ken an eu­ren Er­fah­run­gen und Emp­fin­dun­gen mes­sen zu kön­nen.«

      Mein Freund er­wi­der­te, schnell und be­hend wie sei­ne Art ist, etwa Fol­gen­des: »Bis jetzt hat­ten wir im­mer ge­glaubt, daß die ein­zi­ge Ab­sicht des Gym­na­si­ums sei, für die Uni­ver­si­tät vor­zu­be­rei­ten. Die­se Vor­be­rei­tung aber soll uns selb­stän­dig ge­nug für die au­ßer­or­dent­lich freie Stel­lung ei­nes Aka­de­mi­kers ma­chen. Denn es scheint mir, daß in kei­nem Ge­bie­te des jet­zi­gen Le­bens dem Ein­zel­nen so viel zu ent­schei­den und zu ver­fü­gen über­las­sen sei, wie im Be­rei­che des stu­den­ti­schen Le­bens. Er muß sich selbst, auf ei­ner wei­ten, ihm völ­lig frei­ge­geb­nen Flä­che, auf meh­re­re Jah­re hin­aus füh­ren kön­nen: also wird das Gym­na­si­um ver­su­chen müs­sen, ihn selb­stän­dig zu ma­chen.«

      Ich setz­te die Rede mei­nes Ka­me­ra­den fort. »Es scheint mir so­gar,« sag­te ich, »daß al­les Das, was Sie, ge­wiß mit Recht, an dem Gym­na­si­um zu ta­deln ha­ben, nur nothwen­di­ge Mit­tel sind, um, für ein so ju­gend­li­ches Al­ter, eine Art von Selb­stän­dig­keit und min­des­tens den Glau­ben dar­an zu er­zeu­gen. Die­ser Selb­stän­dig­keit soll der deut­sche Un­ter­richt die­nen: das In­di­vi­du­um muß sei­ner An­sich­ten und Ab­sich­ten zei­tig froh wer­den, um ohne Krücken, al­lein ge­hen zu kön­nen. Des­halb wird es schon frü­he zur Pro­duk­ti­on und noch frü­her zu schar­fer Be­ur­tei­lung und Kri­tik an­ge­hal­ten. Wenn die la­tei­ni­schen und grie­chi­schen Stu­di­en auch nicht im Stan­de sind, den Schü­ler für das fer­ne Al­ter­thum zu ent­zün­den, so er­wacht doch wohl, bei der Metho­de, mit der sie be­trie­ben wer­den, der wis­sen­schaft­li­che Sinn, die Lust an stren­ger Cau­sa­li­tät der Er­kennt­niß, die Be­gier zum Fin­den und Er­fin­den: wie Vie­le mö­gen durch eine auf dem Gym­na­si­um ge­fun­de­ne, mit ju­gend­li­chem Tas­ten er­hasch­te neue Les­art zu den Rei­zun­gen der Wis­sen­schaft dau­ernd ver­führt wor­den sein! Vie­ler­lei muß der Gym­na­si­ast ler­nen und in sich ein­sam­meln: da­durch wird wahr­schein­lich all­ge­mach ein Trieb er­zeugt, von dem ge­lei­tet er dann auf der Uni­ver­si­tät selb­stän­dig in ähn­li­cher Wei­se lernt und ein­sam­melt. Kurz, wir glau­ben, es möge die Gym­na­si­al­ten­denz sein, den Schü­ler so vor­zu­be­rei­ten und ein­zu­ge­wöh­nen, daß er nach­her so selb­stän­dig wei­ter lebe und ler­ne, wie er un­ter dem Zwan­ge der Gym­na­sial­ord­nung le­ben und ler­nen muß­te.«

      Der Phi­lo­soph lach­te hier­auf, doch nicht ge­ra­de gut­müthig, und ver­setz­te: »Da habt ihr mir so­gleich eine schö­ne Pro­be die­ser Selb­stän­dig­keit ge­ge­ben. Und ge­ra­de die­se Selb­stän­dig­keit ist es, die mich so er­schreckt und mir die Nähe von Stu­die­ren­den der Ge­gen­wart im­mer so un­er­quick­lich macht. Ja, mei­ne Gu­ten ihr seid fer­tig, ihr seid aus­ge­wach­sen, die Na­tur hat eure Form zer­bro­chen, und eure Leh­rer dür­fen sich an euch wei­den. Wel­che Frei­heit, Be­stimmt­heit, Un­be­küm­mert­heit des Urt­heils, wel­che Neu­heit und Fri­sche der Ein­sicht! Ihr sitzt zu Ge­richt – und alle Kul­tu­ren al­ler Zei­ten lau­fen da­von. Der wis­sen­schaft­li­che Sinn ist ent­zün­det und schlägt als Flam­me aus euch her­aus – es hüte sich Je­der, an euch nicht zu ver­bren­nen! Neh­me ich nun gleich eure Pro­fes­so­ren noch hin­zu, so be­kom­me ich die­sel­be Selb­stän­dig­keit noch ein­mal, in ei­ner kräf­ti­gen und an­muthi­gen Stei­ge­rung; nie war eine Zeit so reich an den schöns­ten Selb­stän­dig­kei­ten, nie haß­te man so stark jede Skla­ve­rei, auch frei­lich die Skla­ve­rei der Er­zie­hung und der Bil­dung.

      Er­laubt mir aber, die­se eure Selb­stän­dig­keit ein­mal an dem Maß­sta­be eben die­ser Bil­dung zu mes­sen und eure Uni­ver­si­tät nur als Bil­dungs­an­stalt in Be­tracht zu ziehn. Wenn ein Aus­län­der un­ser Uni­ver­si­täts­we­sen ken­nen ler­nen will, so fragt er zu­erst mit Nach­druck: »Wie hängt bei euch der Stu­dent mit der Uni­ver­si­tät zu­sam­men?« Wir ant­wor­ten: »Durch das Ohr, als Hö­rer.« Der Aus­län­der er­staunt. »Nur durch das Ohr?« fragt er noch­mals. »Nur durch das Ohr«, ant­wor­ten wir noch­mals. Der Stu­dent hört. Wenn er spricht, wenn er sieht, wenn er ge­sel­lig ist, wenn er Küns­te treibt, kurz, wenn er lebt, ist er selb­stän­dig, das heißt un­ab­hän­gig von der Bil­dungs­an­stalt. Sehr häu­fig schreibt der Stu­dent zu­gleich, wäh­rend er hört. Dies sind die Mo­men­te, in de­nen er an der Na­bel­schnur der Uni­ver­si­tät hängt. Er kann sich wäh­len, was er hö­ren will, er braucht nicht zu glau­ben, was er hört, er kann das Ohr schlie­ßen, wenn er nicht hö­ren mag. Dies ist die »akro­ama­ti­sche« Lehr­me­tho­de.

      Der Leh­rer aber spricht zu die­sen hö­ren­den Stu­den­ten. Was er sonst denkt und thut, ist durch eine un­ge­heu­re Kluft von der Wahr­neh­mung des Stu­den­ten ab­ge­schie­den. Häu­fig liest der Pro­fes­sor, wäh­rend er spricht. Im All­ge­mei­nen will er mög­lichst vie­le sol­che Hö­rer ha­ben, in der Noth be­gnügt er sich mit we­ni­gen, fast nie mit ei­nem. Ein re­den­der Mund und sehr vie­le Ohren, mit halb­so­viel schrei­ben­den Hän­den – das ist der äu­ßer­li­che aka­de­mi­sche Ap­pa­rat, das ist die in Thä­tig­keit ge­setz­te Bil­dungs­ma­schi­ne der Uni­ver­si­tät. Im Üb­ri­gen ist der In­ha­ber die­ses Mun­des von den Be­sit­zern der vie­len Ohren ge­trennt und un­ab­hän­gig: und die­se dop­pel­te Selb­stän­dig­keit preist man mit Hoch­ge­fühl als »aka­de­mi­sche Frei­heit«. Üb­ri­gens kann der Eine – um die­se Frei­heit noch zu er­hö­hen – un­ge­fähr re­den, was er will, der And­re un­ge­fähr hö­ren, was er will: nur daß hin­ter bei­den Grup­pen in be­schei­de­ner Ent­fer­nung der Staat mit ei­ner ge­wis­sen ge­spann­ten Auf­se­her­mie­ne steht, um von Zeit zu Zeit dar­an zu er­in­nern, daß er Zweck, Ziel und In­be­griff der son­der­ba­ren Sprech- und Hör­pro­ce­dur sei.

      Wir, de­nen es ein­mal ge­stat­tet sein muß, die­ses über­ra­schen­de Phä­no­men nur als Bil­dungs­in­sti­tu­ti­on zu be­rück­sich­ti­gen, be­rich­ten also dem for­schen­den Aus­län­der, daß Das, was auf un­sern


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