Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Ge­hor­sam pflan­zen und al­len Selb­stän­dig­keits­dün­kel ab­weh­ren zu müs­sen! Wird euch hier deut­lich, mei­ne Gu­ten, wes­halb ich, nach der Sei­te der Bil­dung hin, die jet­zi­ge Uni­ver­si­tät als Aus­bau der Gym­na­si­al­ten­denz zu be­trach­ten lie­be? Die durch das Gym­na­si­um an­er­zo­gne Bil­dung tritt, als et­was Gan­zes und Fer­ti­ges, mit wäh­le­ri­schen An­sprü­chen in die Tho­re der Uni­ver­si­tät: sie for­dert, sie giebt Ge­set­ze, sie sitzt zu Ge­richt. Täuscht euch also über den ge­bil­de­ten Stu­den­ten nicht: die­ser ist, so­weit er eben die Bil­dungs­wei­hen emp­fan­gen zu ha­ben glaubt, im­mer noch der in den Hän­den sei­ner Leh­rer ge­form­te Gym­na­si­ast: als wel­cher nun, seit sei­ner aka­de­mi­schen Iso­la­ti­on, und nach­dem er das Gym­na­si­um ver­las­sen hat, da­mit gänz­lich al­ler wei­te­ren For­mung und Lei­tung zur Bil­dung ent­zo­gen ist, um von nun an von sich selbst zu le­ben und frei zu sein.

      Frei! Prüft die­se Frei­heit, ihr Men­schen­ken­ner! Auf­ge­baut auf dem thö­ner­nen Grun­de der jet­zi­gen Gym­na­sial­cul­tur, auf zer­brö­ckeln­dem Fun­da­men­te, steht ihr Ge­bäu­de schief ge­rich­tet und un­si­cher bei dem An­hau­che der Wir­bel­win­de. Seht euch den frei­en Stu­den­ten, den He­rold der Selb­stän­dig­keits­bil­dung an, er­rat­het ihn in sei­nen In­stink­ten, deu­tet ihn euch aus sei­nen Be­dürf­nis­sen! Was dünkt euch über sei­ne Bil­dung, wenn ihr die­se an drei Grad­mes­sern zu mes­sen wißt, ein­mal an sei­nem Be­dürf­niß zur Phi­lo­so­phie, so­dann an sei­nem In­stinkt für Kunst und end­lich an dem grie­chi­schen und rö­mi­schen Al­ter­thum als an dem leib­haf­ten ka­te­go­ri­schen Im­pe­ra­tiv al­ler Cul­tur.

      Der Mensch ist so um­la­gert von den erns­tes­ten und schwie­rigs­ten Pro­ble­men, daß er, in der rech­ten Wei­se an sie her­an­ge­führt, zei­tig in je­nes nach­hal­ti­ge phi­lo­so­phi­sche Er­stau­nen ge­rat­hen wird, auf dem al­lein, als auf ei­nem frucht­ba­ren Un­ter­grün­de, eine tiefe­re und ed­le­re Bil­dung wach­sen kann. Am häu­figs­ten füh­ren ihn wohl die eig­nen Er­fah­run­gen an die­se Pro­ble­me her­an, und be­son­ders in der stür­mi­schen Ju­gend­zeit spie­gelt sich fast je­des per­sön­li­che Er­eig­nis; in ei­nem dop­pel­ten Schim­mer, als Exem­pli­fi­ka­ti­on ei­ner All­täg­lich­keit und zu­gleich ei­nes ewi­gen er­staun­li­chen und er­klä­rungs­wür­di­gen Pro­blems. In die­sem Al­ter, das sei­ne Er­fah­run­gen gleich­sam mit me­ta­phy­si­schen Re­gen­bo­gen um­ringt sieht, ist der Mensch auf das Höchs­te ei­ner füh­ren­den Hand be­dürf­tig, weil er plötz­lich und fast in­stink­tiv sich von der Zwei­deu­tig­keit des Da­seins über­zeugt hat und den fes­ten Bo­den der bis­her ge­heg­ten über­kom­me­nen Mei­nun­gen ver­liert.

      Die­ser na­tur­ge­mä­ße Zu­stand höchs­ter Be­dürf­tig­keit muß be­greif­li­cher­wei­se als der ärgs­te Feind je­ner be­lieb­ten Selb­stän­dig­keit gel­ten, zu der der ge­bil­de­te Jüng­ling der Ge­gen­wart her­an­ge­zo­gen wer­den soll. Ihn zu un­ter­drücken und zu läh­men, ihn ab­zu­lei­ten oder zu ver­küm­mern sind des­halb alle jene be­reits in den Schoß des »Selbst­ver­stan­des« ein­ge­kehr­ten Jün­ger der »Jetzt­zeit« eif­rig be­müht: und das be­lieb­tes­te Mit­tel ist, je­nen na­tur­ge­mä­ßen phi­lo­so­phi­schen Trieb durch die so­ge­nann­te »his­to­ri­sche Bil­dung« zu pa­ra­ly­si­ren. Ein noch jüngst in skan­da­lö­ser Welt­be­rühmt­heit ste­hen­des Sys­tem hat­te die For­mel für die­se Selbst­ver­nich­tung der Phi­lo­so­phie aus­fin­dig ge­macht: und jetzt zeigt sich be­reits über­all, bei der his­to­ri­schen Be­trach­tung der Din­ge, eine sol­che nai­ve Un­be­denk­lich­keit, das Un­ver­nünf­tigs­te zur »Ver­nunft« zu brin­gen und das Schwär­zes­te als weiß gel­ten zu las­sen, daß man öf­ters, mit par­odis­ti­scher An­wen­dung je­nes He­gel’­schen Sat­zes, fra­gen möch­te: »Ist die­se Un­ver­nunft wirk­lich?« Ach, ge­ra­de das Un­ver­nünf­ti­ge scheint jetzt al­lein »wirk­lich«, das heißt wir­kend zu sein und die­se Art von Wirk­lich­keit zur Er­klä­rung der Ge­schich­te be­reit zu hal­ten, gilt als ei­gent­li­che »his­to­ri­sche Bil­dung«. In die­se hat sich der phi­lo­so­phi­sche Trieb un­se­rer Ju­gend ver­puppt: in die­ser den jun­gen Aka­de­mi­ker zu be­stär­ken, schei­nen sich jetzt die son­der­ba­ren Phi­lo­so­phen der Uni­ver­si­tä­ten ver­schwo­ren zu ha­ben.

      So ist lang­sam an Stel­le ei­ner tief­sin­ni­gen Aus­deu­tung der ewig glei­chen Pro­ble­me ein his­to­ri­sches, ja selbst ein phi­lo­lo­gi­sches Ab­wä­gen und Fra­gen ge­tre­ten: was der und je­ner Phi­lo­soph ge­dacht habe oder nicht, oder ob die und jene Schrift ihm mit Recht zu­zu­schrei­ben sei oder gar ob die­se oder jene Les­art den Vor­zug ver­die­ne. Zu ei­nem der­ar­ti­gen neu­tra­len Sich­be­fas­sen mit Phi­lo­so­phie wer­den jetzt un­se­re Stu­den­ten in den phi­lo­so­phi­schen Se­mi­na­ri­en un­se­rer Uni­ver­si­tä­ten an­ge­reizt: wes­halb ich mich längst ge­wöhnt habe, eine sol­che Wis­sen­schaft als Ab­zwei­gung der Phi­lo­lo­gie zu be­trach­ten und ihre Ver­tre­ter dar­nach ab­zu­schät­zen, ob sie gute Phi­lo­lo­gen sind oder nicht. Dem­nach ist nun frei­lich die Phi­lo­so­phie selbst von der Uni­ver­si­tät ver­bannt: wo­mit uns­re ers­te Fra­ge nach dem Bil­dungs­werth der Uni­ver­si­tä­ten be­ant­wor­tet ist.

      Wie die­se sel­be Uni­ver­si­tät zur Kunst sich ver­hält, ist ohne Scham gar nicht ein­zu­ge­ste­hen: sie ver­hält sich gar nicht. Von ei­nem künst­le­ri­schen Den­ken, Ler­nen, Stre­ben, Ver­glei­chen ist hier nicht ein­mal eine An­deu­tung zu fin­den, und gar von ei­nem Vo­tum der Uni­ver­si­tät zur För­de­rung der wich­tigs­ten na­tio­na­len Kunst­plä­ne wird Nie­mand im Erns­te re­den mö­gen. Ob der ein­zel­ne Leh­rer sich zu­fäl­lig per­sön­li­cher zur Kunst ge­stellt fühlt oder ob ein Lehr­stuhl für äs­the­ti­si­ren­de Lit­te­rar­his­to­ri­ker ge­grün­det ist, kommt hier­bei gar nicht in Be­tracht: son­dern daß die Uni­ver­si­tät als Gan­zes nicht im Stan­de ist, den aka­de­mi­schen Jüng­ling in stren­ger künst­le­ri­scher Zucht zu hal­ten, und daß sie hier gänz­lich wil­len­los ge­sche­hen läßt, was ge­schieht, dar­in liegt eine so schnei­di­ge Kri­tik ih­res an­maß­li­chen An­spruchs, die höchs­te Bil­dungs­an­stalt ver­tre­ten zu wol­len.

      Ohne Phi­lo­so­phie, ohne Kunst le­ben un­se­re aka­de­mi­schen »Selb­stän­di­gen« her­an: was kön­nen sie dem­nach für ein Be­dürf­niß ha­ben, sich mit den Grie­chen und Rö­mern ein­zu­las­sen, zu de­nen eine Nei­gung zu er­heu­cheln jetzt Nie­mand mehr einen Grund hat und die über­dies in schwer zu­gäng­li­cher Ein­sam­keit und ma­je­stä­ti­scher Ent­frem­dung thro­nen. Die Uni­ver­si­tä­ten un­se­rer Ge­gen­wart neh­men des­halb auch con­se­quen­ter Wei­se auf sol­che ganz er­stor­be­ne Bil­dungs­nei­gun­gen gar kei­ne Rück­sicht und er­rich­ten ihre phi­lo­lo­gi­schen Pro­fes­su­ren für die Er­zie­hung neu­er ex­clu­si­ver Phi­lo­lo­gen­ge­ne­ra­tio­nen, de­nen nun wie­der die phi­lo­lo­gi­sche Zu­rich­tung der Gym­na­sias­ten ob­liegt: ein Kreis­lauf des Ge­bens, der we­der den Phi­lo­lo­gen noch den Gym­na­si­en zu Gute kommt, der aber vor Al­lem die Uni­ver­si­tät zum drit­ten Male be­zich­tigt, nicht Das zu sein, wo­für sie sich prun­ken­der Wei­se gern aus­ge­ben möch­te – eine Bil­dungs­an­stalt. Denn nehmt nur die Grie­chen, sammt der Phi­lo­so­phie und der Kunst weg: an wel­cher Lei­ter wollt ihr noch zur Bil­dung em­por­stei­gen? Denn bei dem Ver­su­che, die Lei­ter ohne jene Hül­fe zu er­klim­men, möch­te euch eure Ge­lehr­sam­keit – das müßt ihr euch schon


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