Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Phi­lis­ter-Ge­müth­lich­keit nur Ent­ar­tung ei­ner äch­ten deut­schen Tu­gend sein – ei­ner in­ni­gen Ver­sen­kung in das Ein­zel­ne, Klei­ne, Nächs­te und in die Mys­te­ri­en des In­di­vi­du­ums – aber die­se ver­schim­mel­te Tu­gend ist jetzt schlim­mer als das of­fen­bars­te Las­ter; be­son­ders seit­dem man sich nun gar die­ser Ei­gen­schaft, bis zur lit­te­ra­ri­schen Selbst­glo­ri­fi­ka­ti­on, von Her­zen froh be­wußt ge­wor­den ist. Jetzt schüt­teln sich die » Ge­bil­de­ten«, un­ter den be­kannt­lich so cul­ti­vir­ten Deut­schen, und die » Phi­lis­ter«, un­ter den be­kannt­lich so un­cul­ti­vir­ten Deut­schen, öf­fent­lich die Hän­de und tref­fen eine Ab­re­de mit ein­an­der, wie man für­der­hin schrei­ben, dich­ten, ma­len, mu­si­ci­ren und selbst Phi­lo­so­phi­ren, ja re­gie­ren müs­se, um we­der der »Bil­dung« des Ei­nen zu fer­ne zu ste­hen, noch der »Ge­müth­lich­keit« des An­dern zu nahe zu tre­ten. Dies nennt man jetzt »die deut­sche Cul­tur der Jetzt­zeit«; wo­bei nur noch zu er­fra­gen wäre, an wel­chem Merk­ma­le je­ner »Ge­bil­de­te« zu er­ken­nen ist, nach­dem wir wis­sen, daß sein Milch­bru­der, der deut­sche Phi­lis­ter, sich jetzt selbst, ohne Ver­schämt­heit, gleich­sam nach ver­lor­ner Un­schuld, al­ler Welt als sol­chen zu er­ken­nen giebt.

      Der Ge­bil­de­te ist jetzt vor Al­lem his­to­risch ge­bil­det: durch sein his­to­ri­sches Be­wußt­sein ret­tet er sich vor dem Er­ha­be­nen; was dem Phi­lis­ter durch sei­ne »Ge­müth­lich­keit« ge­lingt. Nicht mehr der En­thu­si­as­mus, den die Ge­schich­te er­regt – wie doch Goe­the ver­mei­nen durf­te – son­dern ge­ra­de die Ab­stump­fung al­les En­thu­si­as­mus ist jetzt das Ziel die­ser Be­wun­de­rer des nil ad­mi­ra­ri, wenn sie Al­les his­to­risch zu be­grei­fen su­chen; ih­nen müß­te man aber zu­ru­fen: »Ihr seid die Nar­ren al­ler Jahr­hun­der­te! Die Ge­schich­te wird euch nur die Be­kennt­nis­se ma­chen, die eu­rer wür­dig sind! Die Welt ist zu al­len Zei­ten voll von Tri­via­li­tä­ten und Nich­tig­kei­ten ge­we­sen: eu­rem his­to­ri­schen Ge­lüs­te ent­schlei­ern sich eben die­se und ge­ra­de nur die­se. Ihr könnt zu Tau­sen­den über eine Epo­che her­fal­len – ihr wer­det nach­her hun­gern wie zu­vor und euch eu­rer Art an­ge­hun­ger­ter Ge­sund­heit rüh­men dür­fen. Il­lam ip­sam quam iac­tant sa­ni­ta­tem non fir­mi­ta­te sed iei­u­nio con­se­quun­tur. (Dia­lo­gus de ora­to­ri­bus cap. 25). Al­les We­sent­li­che hat euch die Ge­schich­te nicht sa­gen mö­gen, son­dern höh­nend und un­sicht­bar stand sie ne­ben euch, Dem eine Staats­ak­ti­on, Je­nem einen Ge­sandt­schafts­be­richt, ei­nem An­dern eine Jah­res­zahl oder eine Ety­mo­lo­gie oder ein prag­ma­ti­sches Spin­nen­ge­we­be in die Hand drückend. Glaubt ihr wirk­lich, die Ge­schich­te zu­sam­men­rech­nen zu kön­nen wie ein Ad­di­ti­ons­exem­pel und hal­tet ihr da­für eu­ren ge­mei­nen Ver­stand und eure ma­the­ma­ti­sche Bil­dung für gut ge­nug? Wie muß es euch ver­drie­ßen zu hö­ren, daß And­re von Din­gen er­zäh­len, aus den al­ler­be­kann­tes­ten Zei­ten her­aus, die ihr nie und nim­mer be­grei­fen wer­det!«

      Wenn nun zu die­ser his­to­risch sich nen­nen­den, der Be­geis­te­rung baa­ren Bil­dung und zu der ge­gen al­les Gro­ße feind­se­li­gen und gei­fern­den Phi­lis­tert­hä­tig­keit noch jene drit­te bru­ta­le und auf­ge­reg­te Ge­nos­sen­schaft kommt – De­rer die zum »Glücke« ren­nen –, so giebt das in sum­ma ein so ver­wirr­tes Ge­schrei und ein so glie­der­ver­ren­ken­des Ge­tüm­mel, daß der Den­ker mit ver­stopf­ten Ohren und ver­bun­de­nen Au­gen in die ein­sams­te Wild­niß flüch­tet – dort­hin wo er se­hen darf, was Jene nie se­hen wer­den, wo er hö­ren muß, was aus al­len Tie­fen der Na­tur und von den Ster­nen her zu ihm tönt. Hier be­re­det er sich mit den an ihn her­an­schwe­ben­den großen Pro­ble­men, de­ren Stim­men frei­lich eben­so un­ge­müth­lich-furcht­bar, als un­his­to­risch-ewig er­klin­gen. Der Weich­li­che flieht vor ih­rem, kal­ten Athem zu­rück, und der Rech­nen­de läuft durch sie hin­durch, ohne sie zu spü­ren. Am schlimms­ten aber er­geht es mit ih­nen dem »Ge­bil­de­ten«, der sich mit­un­ter in sei­ner Art ernst­li­che Mühe um sie giebt. Für ihn ver­wan­deln sich die­se Ge­s­pens­ter in Be­griffs­ge­spinns­te und hoh­le Klang­fi­gu­ren. Nach ih­nen grei­fend wähnt er die Phi­lo­so­phie zu ha­ben, nach ih­nen zu su­chen klet­tert er an der so­ge­nann­ten Ge­schich­te der Phi­lo­so­phie her­um – und wenn er sich end­lich eine gan­ze Wol­ke von sol­chen Abstrak­tio­nen und Scha­blo­nen zu­sam­men­ge­sucht und auf­get­hürmt hat, so mag es ihm be­geg­nen, daß ein wah­rer Den­ker ihm in den Weg tritt und sie – weg­bläst. Verzwei­fel­te Un­ge­le­gen­heit, sich als »Ge­bil­de­ter« mit Phi­lo­so­phie zu be­fas­sen! Von Zeit zu Zeit scheint es ihm zwar, als ob die un­mög­li­che Ver­bin­dung der Phi­lo­so­phie mit Dem, was sich jetzt als »deut­sche Cul­tur« brüs­tet, mög­lich ge­wor­den sei; ir­gend ein Zwit­ter­ge­schöpf tän­delt und lieb­äu­gelt zwi­schen bei­den Sphä­ren her­um und ver­wirrt hü­ben und drü­ben die Phan­ta­sie, Einst­wei­len ist aber den Deut­schen, wenn sie sich nicht ver­wir­ren las­sen wol­len, ein Rath zu ge­ben. Sie mö­gen bei Al­lem, was sie jetzt »Bil­dung« nen­nen, sich fra­gen: ist dies die er­hoff­te deut­sche Cul­tur, so ernst und schöp­fe­risch, so er­lö­send für den deut­schen Geist, so rei­ni­gend für die deut­schen Tu­gen­den, daß sich ihr ein­zi­ger Phi­lo­soph in die­sem Jahr­hun­dert, Ar­thur Scho­pen­hau­er, zu ihr be­ken­nen müß­te?

      Hier habt ihr den Phi­lo­so­phen – nun sucht die zu ihm ge­hö­ri­ge Cul­tur! Und wenn ihr ah­nen könnt, was das für eine Cul­tur sein müß­te, die ei­nem sol­chen Phi­lo­so­phen ent­sprä­che, nun, so habt ihr, in die­ser Ah­nung, be­reits über alle eure Bil­dung und über euch selbst – ge­rich­tet! –

      (1873.)

      Vorwort.

      (Ver­mut­lich 1874.)

      Bei fern ste­hen­den Men­schen ge­nügt es uns, ihre Zie­le zu wis­sen, um sie im Gan­zen zu bil­li­gen oder zu ver­wer­fen. Bei nä­her ste­hen­den urt­hei­len wir nach den Mit­teln, mit de­nen sie ihre Zie­le för­dern: oft miß­bil­li­gen wir ihre Zie­le, lie­ben sie aber we­gen der Mit­tel und der Art ih­res Wol­lens. Nun sind phi­lo­so­phi­sche Sys­te­me nur für ihre Grün­der ganz wahr: für alle spä­te­ren Phi­lo­so­phen ge­wöhn­lich ein großer Feh­ler, für die schwä­che­ren Köp­fe eine Sum­me von Feh­lern und Wahr­hei­ten, als höchs­tes Ziel je­den­falls aber ein Irr­thum, in­so­fern ver­werf­lich. Des­halb miß­bil­li­gen vie­le Men­schen je­den Phi­lo­so­phen, weil sein Ziel nicht das Ihre ist; es sind die fer­ner ste­hen­den. Wer da­ge­gen an großen Men­schen über­haupt sei­ne Freu­de hat, hat auch sei­ne Freu­de an sol­chen Sys­te­men, sei­en sie auch ganz irr­t­hüm­lich: sie ha­ben doch einen Punkt an sich, der ganz un­wi­der­leg­lich ist, eine per­sön­li­che Stim­mung, Far­be; man kann sie be­nut­zen, um das Bild des Phi­lo­so­phen zu ge­win­nen: wie man vom Ge­wächs an ei­nem Orte auf den Bo­den schlie­ßen kann. Die Art zu le­ben und die mensch­li­chen Din­ge an­zu­sehn ist je­den­falls ein­mal da­ge­we­sen und also mög­lich: das »Sys­tem« ist das Ge­wächs die­ses Bo­dens, oder we­nigs­tens ein Theil die­ses Sys­tems – –

      Ich er­zäh­le die Ge­schich­te je­ner Phi­lo­so­phen ver­ein­facht: ich will nur den Punkt aus je­dem Sys­tem her­aus­he­ben, der ein Stück Per­sön­lich­keit ist und zu je­nem Un­wi­der­leg­li­chen,


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