Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Schau ge­trag­nen Selb­stän­dig­keit ver­ste­hen ler­nen. Kei­nem der ed­ler aus­ge­rüs­te­ten Jüng­lin­ge ist jene rast­lo­se, er­mü­den­de ver­wir­ren­de ent­ner­ven­de Bil­dungs­noth fer­ne ge­blie­ben: für jene Zeit, in der er schein­bar der ein­zig Freie in ei­ner be­am­te­ten und be­diens­te­ten Wirk­lich­keit ist, büßt er jene groß­ar­ti­ge Il­lu­si­on der Frei­heit durch im­mer sich er­neu­ern­de Qua­len und Zwei­fel. Er fühlt, daß er sich selbst nicht füh­ren, sich selbst nicht hel­fen kann: dann taucht er sich hoff­nungs­arm in die Welt des Ta­ges und der Ta­ges­ar­beit: die tri­vi­als­te Ge­schäf­tig­keit um­hüllt ihn, schlaff sin­ken sei­ne Glie­der. Plötz­lich wie­der rafft er sich auf: noch fühlt er die Kraft nicht er­lahmt, die ihn oben zu hal­ten ver­mag. Stol­ze und edle Ent­schlüs­se bil­den sich und wach­sen in ihm. Es er­schreckt ihn, in en­ger klein­li­cher Fach­mä­ßig­keit so frü­he zu ver­sin­ken; und nun greift er nach Stüt­zen und Pfei­lern, um nicht in jene Bahn ge­ris­sen zu wer­den. Um­sonst! die­se Stüt­zen wei­chen; denn er hat­te fehl­ge­grif­fen und an zer­brech­li­chem Roh­re sich fest­ge­hal­ten. In lee­rer und trost­lo­ser Stim­mung sieht er sei­ne Plä­ne ver­rau­chen: sein Zu­stand ist ab­scheu­lich und un­wür­dig: er wech­selt mit über­spann­ter Thä­tig­keit und me­lan­cho­li­scher Er­schlaf­fung. Dann ist er müde, faul, furcht­sam vor der Ar­beit, vor al­lem Gro­ßen er­schre­ckend und im Has­se ge­gen sich selbst. Er zer­glie­dert sei­ne Fä­hig­kei­ten und glaubt in hoh­le oder chao­tisch aus­ge­füll­te Räu­me zu se­hen. Dann wie­der stürzt er aus der Höhe der er­träum­ten Selbs­t­er­kennt­nis; in eine iro­ni­sche Skep­sis. Er ent­klei­det sei­ne Kämp­fe ih­rer Wich­tig­keit und fühlt sich be­reit zu je­der wirk­li­chen, wenn auch nied­ri­gen Nütz­lich­keit. Er sucht jetzt sei­nen Trost in ei­nem has­ti­gen un­abläs­si­gen Thun, um sich un­ter ihm vor sich selbst zu ver­ste­cken. Und so treibt ihn sei­ne Rath­lo­sig­keit und der Man­gel ei­nes Füh­rers zur Bil­dung aus ei­ner Da­seins­form in die and­re: Zwei­fel, Auf­schwung, Le­bens­noth, Hoff­nung, Ver­za­gen, Al­les wirft ihn hin und her, zum Zei­chen, daß alle Ster­ne über ihm er­lo­schen sind, nach de­nen er sein Schiff len­ken konn­te.

      Das ist das Bild je­ner ge­rühm­ten Selb­stän­dig­keit, je­ner aka­de­mi­schen Frei­heit, wie­der­ge­spie­gelt in den bes­ten und wahr­haft bil­dungs­be­dürf­ti­gen See­len: de­nen ge­gen­über jene ro­he­ren und un­be­küm­mer­ten Na­tu­ren nicht in Be­tracht kom­men, wel­che sich ih­rer Frei­heit im bar­ba­ri­schen Sin­ne freu­en. Denn die­se zei­gen in ih­rem nied­rig ge­ar­te­ten Be­ha­gen und in ih­rer fach­ge­mä­ßen zei­ti­gen Be­schränkt­heit, daß für sie ge­ra­de die­ses Ele­ment das Rech­te ist: wo­ge­gen gar nichts zu sa­gen ist. Ihr Be­ha­gen aber wiegt wahr­haf­tig nicht das Lei­den ei­nes ein­zi­gen zur Cul­tur hin­ge­trie­be­nen und der Füh­rung be­dürf­ti­gen Jüng­lings auf, der un­muthig end­lich die Zü­gel fal­len läßt und sich selbst zu ver­ach­ten be­ginnt. Dies ist der schuld­los un­schul­di­ge: denn wer hat ihm die un­er­träg­li­che Last auf­ge­bür­det, al­lein zu ste­hen? Wer hat ihn in ei­nem Al­ter zur Selb­stän­dig­keit an­ge­reizt, in dem Hin­ge­bung an große Füh­rer und be­geis­ter­tes Nach­wan­deln auf der Bahn des Meis­ters gleich­sam die na­tür­li­chen und nächs­ten Be­dürf­nis­se zu sein pfle­gen?

      Es hat et­was Un­heim­li­ches, den Wir­kun­gen nach­zu­den­ken, zu de­nen die ge­walt­sa­me Un­ter­drückung so ed­ler Be­dürf­nis­se füh­ren muß. Wer die ge­fähr­lichs­ten För­de­rer und Freun­de je­ner von mir so ge­haß­ten Pseu­do­cul­tur der Ge­gen­wart in der Nähe und mit durch­drin­gen­dem Auge mus­tert, fin­det nur zu häu­fig ge­ra­de un­ter ih­nen sol­che ent­ar­te­te und ent­gleis­te Bil­dungs­men­schen, durch eine in­ne­re De­s­pe­ra­ti­on in ein feind­se­li­ges Wüthen ge­gen die Cul­tur ge­trie­ben, zu der ih­nen Nie­mand den Zu­gang zei­gen woll­te. Es sind nicht die Schlech­tes­ten und die Ge­rings­ten, die wir dann als Jour­na­lis­ten und Zei­tungs­chrei­ber, in der Me­ta­mor­pho­se der Verzweif­lung wie­der­fin­den; ja, der Geist ge­wis­ser, jetzt sehr ge­pfleg­ter Lit­te­ra­tur­gat­tun­gen wäre ge­ra­de­zu zu cha­rak­te­ri­si­ren als de­spe­ra­tes Stu­den­tent­hum. Wie an­ders wäre zum Bei­spiel je­nes ehe­mals wohl­be­kann­te »jun­ge Deutsch­land« mit sei­nem bis zum Au­gen­blick fort­wu­chern­den Epi­gonen­t­hum zu ver­ste­hen! Hier ent­de­cken wir ein gleich­sam wild­ge­wor­de­nes Bil­dungs­be­dürf­niß, wel­ches sich end­lich selbst bis zu dem Schrei er­hitzt: ich bin die Bil­dung! Dort, vor den Tho­ren der Gym­na­si­en und der Uni­ver­si­tä­ten, treibt sich die aus ihm ent­lau­fe­ne und sich nun sou­ve­rän ge­bä­ren­de Cul­tur die­ser An­stal­ten her­um; frei­lich ohne ihre Ge­lehr­sam­keit: so daß zum Bei­spiel der Ro­man­schrei­ber Gutz­kow am Bes­ten als Eben­bild des mo­der­nen, be­reits lit­te­ra­ri­schen Gym­na­sias­ten zu fas­sen wäre.

      Es ist eine erns­te Sa­che um einen ent­ar­te­ten Bil­dungs­men­schen: und furcht­bar be­rührt es uns, zu be­ob­ach­ten, daß uns­re ge­samm­te ge­lehr­te und jour­na­lis­ti­sche Öf­fent­lich­keit das Zei­chen die­ser Ent­ar­tung an sich trägt, Wie will man sonst un­se­ren Ge­lehr­ten ge­recht wer­den, wenn sie un­ver­dros­sen bei dem Wer­ke der jour­na­lis­ti­schen Volks­ver­füh­rung zu­schau­en oder gar mit­hel­fen, wie an­ders, wenn nicht durch die An­nah­me, daß ihre Ge­lehr­sam­keit et­was Ähn­li­ches für sie sein möge, was für Jene die Ro­man­schrei­be­rei, näm­lich eine Flucht vor sich selbst, eine as­ke­ti­sche Er­töd­tung ih­res Bil­dungs­triebs, eine de­spe­ra­te Ver­nich­tung des In­di­vi­du­ums. Aus un­se­rer ent­ar­te­ten li­te­ra­ri­schen Kunst eben­so­wohl als aus der in’s Un­sin­ni­ge an­schwel­len­den Buch­ma­che­rei un­se­rer Ge­lehr­ten quillt der glei­che Seuf­zer her­vor: ach, daß wir uns selbst ver­ges­sen könn­ten! Es ge­lingt nicht: die Erin­ne­rung, durch gan­ze Ber­ge dar­über­ge­schüt­te­ten ge­druck­ten Pa­piers nicht er­stickt, sagt doch von Zeit zu Zeit wie­der: »ein ent­ar­te­ter Bil­dungs­mensch! Zur Bil­dung ge­bo­ren und zur Un­bil­dung er­zo­gen! Hül­flo­ser Bar­bar, Skla­ve des Ta­ges, an die Ket­te des Au­gen­blicks ge­legt und hun­gernd – ewig hun­gernd!«

      Oh der elen­den Ver­schul­det-Un­schul­di­gen! Denn ih­nen fehl­te Et­was, was Je­dem von ih­nen ent­ge­gen­kom­men muß­te, eine wah­re Bil­dungs­in­sti­tu­ti­on, die ih­nen Zie­le, Meis­ter, Metho­den, Vor­bil­der, Ge­nos­sen ge­ben konn­te und aus de­ren In­ne­rem der kräf­ti­gen­de und er­he­ben­de An­hauch des wah­ren deut­schen Geis­tes auf sie zu ström­te. So ver­küm­mern sie in der Wild­niß, so ent­ar­ten sie zu Fein­den je­nes im Grun­de ih­nen in­nig ver­wand­ten Geis­tes; so häu­fen sie Schuld auf Schuld, schwe­re­re als je eine and­re Ge­ne­ra­ti­on ge­häuft hat, das Rei­ne be­schmut­zend, das Hei­li­ge ent­wei­hend, das Fal­sche und Unech­te prä­co­ni­si­rend. An ih­nen mögt ihr über die Bil­dungs­traft un­se­rer Uni­ver­si­tä­ten zum Be­wußt­sein kom­men und euch die Fra­ge al­len Erns­tes vor­le­gen: Was för­dert ihr in ih­nen? Die deut­sche Ge­lehr­sam­keit, die deut­sche Er­find­sam­keit, den ehr­li­chen deut­schen Trieb zur Er­kennt­niß, den deut­schen der Auf­op­fe­rung fä­hi­gen Fleiß – schö­ne und herr­li­che Din­ge, um die euch and­re Na­tio­nen be­nei­den wer­den, ja die schöns­ten und herr­lichs­ten Din­ge der Welt, wenn über ih­nen Al­len je­ner wah­re deut­sche Geist als dunkle blit­zen­de be­fruch­ten­de seg­nen­de Wol­ke aus­ge­brei­tet läge. Vor die­sem Geis­te aber fürch­tet ihr euch und da­her hat sich eine and­re Dunst­schicht, schwül und schwer, über eu­ren Uni­ver­si­tä­ten


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