Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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für ihn der Satz »Al­les ist Was­ser« be­stä­tigt wäre. Der Ge­dan­ke des Tha­les hat viel­mehr ge­ra­de dar­in sei­nen Werth – auch nach der Er­kennt­niß, daß er un­be­weis­bar ist –, daß er je­den­falls un­my­thisch und unal­le­go­risch ge­meint war. Die Grie­chen, un­ter de­nen Tha­les plötz­lich so be­merk­bar wur­de, wa­ren dar­in das Ge­gen­stück al­ler Rea­lis­ten, als sie ei­gent­lich nur an die Rea­li­tät von Men­schen und Göt­tern glaub­ten und die gan­ze Na­tur gleich­sam nur als Ver­klei­dung, Mas­ke­ra­de und Me­ta­mor­pho­se die­ser Göt­ter-Men­schen be­trach­te­ten. Der Mensch war ih­nen die Wahr­heit und der Kern der Din­ge, al­les And­re nur Er­schei­nung und täu­schen­des Spiel. Eben­des­halb mach­te es ih­nen un­glaub­li­che Be­schwer­de, die Be­grif­fe als Be­grif­fe zu fas­sen: und um­ge­kehrt wie bei den Neue­ren auch das Per­sön­lichs­te sich zu Abstrak­tio­nen sub­li­mirt, rann bei ih­nen das Abstrak­tes­te im­mer wie­der zu ei­ner Per­son zu­sam­men. Tha­les aber sag­te: »nicht der Mensch, son­dern das Was­ser ist die Rea­li­tät der Din­ge«, er fängt an, der Na­tur zu glau­ben, so­fern er doch we­nigs­tens an das Was­ser glaubt. Als Ma­the­ma­ti­ker und Astro­nom hat­te er sich ge­gen al­les My­thi­sche und Al­le­go­ri­sche er­käl­tet, und wenn es ihm nicht ge­lang, bis zu der rei­nen Abstrak­ti­on »Al­les ist Eins« er­nüch­tert zu wer­den, und er bei ei­nem phy­si­ka­li­schen Aus­dru­cke ste­hen blieb, so war er doch, un­ter den Grie­chen sei­ner Zeit, eine be­fremd­li­che Sel­ten­heit. Vi­el­leicht be­sa­ßen die höchst auf­fäl­li­gen Or­phi­ker die Fä­hig­keit, Abstrak­tio­nen zu fas­sen und un­elas­tisch zu den­ken, in ei­nem noch hö­he­ren Gra­de als er: nur daß ih­nen der Aus­druck der­sel­ben al­lein in der Form der Al­le­go­rie ge­lang. Auch Phe­reky­des aus Sy­ros, der Tha­les in der Zeit und in man­chen phy­si­ka­li­schen Con­cep­tio­nen nahe steht, schwebt mit sei­nem Aus­dru­cke der­sel­ben in je­ner Mit­tel­re­gi­on, in der der My­thus sich mit der Al­le­go­rie gat­tet: so daß er zum Bei­spiel wagt, die Erde mit ei­ner ge­flü­gel­ten Ei­che zu ver­glei­chen, die mit aus­ge­brei­te­ten Fit­ti­gen in der Luft hängt und der Zeus, nach Über­wäl­ti­gung des Kro­nos, ein pracht­vol­les Ehren­ge­wand um­legt, in das er mit eig­ner Hand die Län­der, Was­ser und Flüs­se ein­ge­stickt hat. Sol­chem kaum in’s Schau­ba­re zu über­set­zen­den düs­ter-al­le­go­ri­schen Phi­lo­so­phi­ren ge­gen­über ist Tha­les ein schöp­fe­ri­scher Meis­ter, der ohne phan­tas­ti­sche Fa­be­lei der Na­tur in ihre Tie­fen zu se­hen be­gann. Wenn er da­bei die Wis­sen­schaft und das Be­weis­ba­re zwar be­nutz­te, aber bald über­sprang, so ist dies eben­falls ein ty­pi­sches Merk­mal des phi­lo­so­phi­schen Kop­fes. Das grie­chi­sche Wort, wel­ches den »Wei­sen« be­zeich­net, ge­hört ety­mo­lo­gisch zu s­a­pio ich schme­cke, s­a­pi­ens der Schme­cken­de, si­sy­phos der Mann des schärfs­ten Ge­schmacks; ein schar­fes Heraus­schme­cken und -er­ken­nen, ein be­deu­ten­des Un­ter­schei­den macht also, nach dem Be­wußt­sein des Vol­kes, die ei­gent­hüm­li­che Kunst des Phi­lo­so­phen aus. Er ist nicht klug, wenn man klug Den nennt, der in sei­nen eig­nen An­ge­le­gen­hei­ten das Gute her­aus­fin­det; Ari­sto­te­les sagt mit Recht: »Das, was Tha­les und Ana­xa­go­ras wis­sen, wird man un­ge­wöhn­lich, er­staun­lich, schwie­rig, gött­lich nen­nen, aber un­nütz, weil es ih­nen nicht um die mensch­li­chen Gü­ter zu thun war.« Durch die­ses Aus­wäh­len und Aus­schei­den des Un­ge­wöhn­li­chen, Er­staun­li­chen, Schwie­ri­gen, Gött­li­chen grenzt sich die Phi­lo­so­phie ge­gen die Wis­sen­schaft eben­so ab, wie sie durch das Her­vor­he­ben des Un­nüt­zen sich ge­gen die Klug­heit ab­grenzt. Die Wis­sen­schaft stürzt sich, ohne sol­ches Aus­wäh­len, ohne sol­chen Fein­ge­schmack, auf al­les Wiß­ba­re, in der blin­den Be­gier­de, Al­les um je­den Preis er­ken­nen zu wol­len; das phi­lo­so­phi­sche Den­ken da­ge­gen ist im­mer auf der Fähr­te der Wis­sens­wür­digs­ten Din­ge, der großen und wich­tigs­ten Er­kennt­nis­se, Nun ist der Be­griff der Grö­ße wan­del­bar, so­wohl im mo­ra­li­schen als äs­the­ti­schen Be­rei­che: so be­ginnt die Phi­lo­so­phie mit ei­ner Ge­setz­ge­bung der Grö­ße, ein Na­men­ge­ben ist mit ihr ver­bun­den. »Das ist groß« sagt sie und da­mit er­hebt sie den Men­schen über das blin­de un­ge­bän­dig­te Be­geh­ren sei­nes Er­kennt­niß­trie­bes. Durch den Be­griff der Grö­ße bän­digt sie die­sen Trieb: und am meis­ten da­durch, daß sie die größ­te Er­kennt­niß, vom We­sen und Kern der Din­ge, als er­reich­bar und als er­reicht be­trach­tet. Wenn Tha­les sagt »Al­les ist Was­ser«, so zuckt der Mensch em­por aus dem wur­mar­ti­gen Be­tas­ten und He­rum­krie­chen der ein­zel­nen Wis­sen­schaf­ten, er ahnt die letz­te Lö­sung der Din­ge und über­win­det, durch die­se Ah­nung, die ge­mei­ne Be­fan­gen­heit der nie­de­ren Er­kennt­niß­gra­de. Der Phi­lo­soph sucht den Ge­sammt­klang der Welt, in sich nach­tö­nen zu las­sen und ihn aus sich her­aus­zu­stel­len in Be­grif­fen: wäh­rend er be­schau­lich ist wie der bil­den­de Künst­ler, mit­lei­dend wie der Re­li­gi­öse, nach Zwe­cken und Cau­sa­li­tä­ten spä­hend wie der wis­sen­schaft­li­che Mensch, wäh­rend er sich zum Ma­kro­kos­mos auf­schwel­len fühlt, be­hält er da­bei die Be­son­nen­heit, sich, als den Wie­der­schein der Welt, kalt zu be­trach­ten, jene Be­son­nen­heit, die der dra­ma­ti­sche Künst­ler be­sitzt, wenn er sich in and­re Lei­ber ver­wan­delt, aus ih­nen re­det und doch die­se Ver­wand­lung nach au­ßen hin, in ge­schrie­be­nen Ver­sen zu pro­ji­ci­ren weiß. Was hier der Vers für den Dich­ter ist, ist für den Phi­lo­so­phen das dia­lek­ti­sche Den­ken: nach ihm greift er, um sich sei­ne Ver­zau­be­rung fest­zu­hal­ten, um sie zu pe­tri­fi­ci­ren. Und wie für den Dra­ma­ti­ker Wort und Vers mir das Stam­meln in ei­ner frem­den Spra­che sind, um in ihr zu sa­gen, was er leb­te und schau­te und was er di­rekt nur durch die Ge­bär­de und die Mu­sik ver­kün­den kann, so ist der Aus­druck je­der tie­fen phi­lo­so­phi­schen In­tui­ti­on durch Dia­lek­tik und wis­sen­schaft­li­ches Re­flek­ti­ren zwar ei­ner­seits das ein­zi­ge Mit­tel, um das Ge­schau­te mit­zut­hei­len, aber ein küm­mer­li­ches Mit­tel, ja im Grun­de eine me­ta­pho­ri­sche, ganz und gar un­ge­treue Über­tra­gung in eine ver­schie­de­ne Sphä­re und Spra­che. So schau­te Tha­les die Ein­heit des Sei­en­den: und wie er sich mit­t­hei­len woll­te, re­de­te er vom Was­ser!

      4.

      Wäh­rend der all­ge­mei­ne Ty­pus des Phi­lo­so­phen an dem Bil­de des Tha­les sich nur wie aus Ne­beln her­aus­hebt, spricht schon das Bild sei­nes großen Nach­fol­gers viel deut­li­cher zu uns. Ana­xi­man­der aus Mi­let, der ers­te phi­lo­so­phi­sche Schrift­stel­ler der Al­ten, schreibt so, wie der ty­pi­sche Phi­lo­soph eben schrei­ben wird, so lan­ge ihm noch nicht durch be­frem­den­de An­for­de­run­gen die Un­be­fan­gen­heit und die Nai­ve­tät ge­raubt sind: in groß­sti­li­sir­ter Stein­schrift, Satz für Satz Zeu­ge ei­ner neu­en Er­leuch­tung und Aus­druck des Ver­wei­lens in er­ha­be­nen Con­tem­pla­tio­nen. Der Ge­dan­ke und sei­ne Form sind Mei­len­stei­ne auf dem Pfa­de zu je­ner höchs­ten Weis­heit. In sol­cher la­pi­da­ri­schen Ein­dring­lich­keit sagt Ana­xi­man­der ein­mal: »Wo­her die Din­ge ihre Ent­ste­hung ha­ben, da­hin müs­sen sie auch zu Grun­de ge­hen, nach der No­thwen­dig­keit; denn sie müs­sen Buße zah­len und für ihre Un­ge­rech­tig­kei­ten ge­rich­tet wer­den, ge­mäß der Ord­nung der Zeit«, Räth­sel­haf­ter Auss­pruch ei­nes wah­ren Pes­si­mis­ten, Ora­ke­lauf­schrift am Grenz­stei­ne grie­chi­scher Phi­lo­so­phie, wie wer­den wir dich deu­ten?

      Der ein­zi­ge ernst­ge­sinn­te


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