Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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aber zu­gleich ihre Fol­gen zu tra­gen im­mer von Neu­em wie­der ver­urt­heilt?

      7.

      Je­nes ge­fähr­li­che Wort, Hy­bris, ist in der That der Prüf­stein für je­den Hera­kli­teer; hier mag er zei­gen, ob er sei­nen Meis­ter ver­stan­den oder ver­kannt hat. Giebt es Schuld, Un­ge­rech­tig­keit, Wi­der­spruch, Leid in die­ser Welt?

      Ja, ruft Hera­klit, aber nur für den be­schränk­ten Men­schen, der aus­ein­an­der und nicht zu­sam­men schaut, nicht für den con­tui­ti­ven Gott; für ihn läuft al­les Wi­der­stre­ben­de in eine Har­mo­nie zu­sam­men, un­sicht­bar zwar für das ge­wöhn­li­che Men­schen­au­ge, doch Dem ver­ständ­lich, der, wie Hera­klit, dem be­schau­li­chen Got­te ähn­lich ist. Vor sei­nem Feu­er­blick bleibt kein Trop­fen von Un­ge­rech­tig­keit in der um ihn aus­ge­goss­nen Welt zu­rück; und selbst je­ner car­di­na­le An­stoß, wie das rei­ne Feu­er in so un­rei­ne For­men ein­zie­hen kön­ne, wird von ihm durch ein er­hab­nes Gleich­niß über­wun­den. Ein Wer­den und Ver­ge­hen, ein Bau­en und Zer­stö­ren, ohne jede mo­ra­li­sche Zu­rech­nung, in ewig glei­cher Un­schuld, hat in die­ser Welt al­lein das Spiel des Künst­lers und des Kin­des. Und so, wie das Kind und der Künst­ler spielt, spielt das ewig le­ben­di­ge Feu­er, baut auf und zer­stört, in Un­schuld – und die­ses Spiel spielt der Neon mit sich. Sich ver­wan­delnd in Was­ser und Erde, thürmt er wie ein Kind Sand­hau­fen am Mee­re, thürmt auf und zer­trüm­mert: von Zeit zu Zeit fängt er das Spiel von Neu­em an. Ein Au­gen­blick der Sät­ti­gung: dann er­greift ihn von Neu­em das Be­dürf­niß, wie den Künst­ler zum Schaf­fen das Be­dürf­niß zwingt. Nicht Fre­vel­muth, son­dern der im­mer neu er­wa­chen­de Spiel­trieb ruft and­re Wel­ten in’s Le­ben. Das Kind wirft ein­mal das Spiel­zeug weg: bald aber fängt es wie­der an, in un­schul­di­ger Lau­ne. So­bald es aber baut, knüpft, fügt und formt es ge­setz­mä­ßig und nach in­ne­ren Ord­nun­gen.

      So schaut nur der äs­the­ti­sche Mensch die Welt an, der an dem Künst­ler und an dem Ent­ste­hen des Kunst­werks er­fah­ren hat, wie der Streit der Viel­heit doch in sich Ge­setz und Recht tra­gen kann, wie der Künst­ler be­schau­lich über und wir­kend in dem Kunst­werk steht, wie No­thwen­dig­keit und Spiel, Wi­der­streit und Har­mo­nie sich zur Zeu­gung des Kunst­wer­kes paa­ren müs­sen.

      Wer wird nun von ei­ner sol­chen Phi­lo­so­phie noch eine Ethik, mit den nö­thi­gen Im­pe­ra­ti­ven »Du sollst« ver­lan­gen oder gar einen sol­chen Man­gel dem Hera­klit zum Vor­wurf ma­chen! Der Mensch ist bis in sei­ne letz­te Fa­ser hin­ein No­thwen­dig­keit und ganz und gar »un­frei«, – wenn man un­ter Frei­heit den när­ri­schen An­spruch, sei­ne es­sen­tia nach Will­kür wie ein Kleid wech­seln zu kön­nen, ver­steht, einen An­spruch, den jede erns­te Phi­lo­so­phie bis­her mit dem ge­büh­ren­den Hoh­ne zu­rück­ge­wie­sen hat. Daß so we­nig Men­schen mit Be­wußt­sein in dem Lo­gos und in Ge­mäß­heit des Al­les über­schau­en­den Künst­lerau­ges le­ben, das rührt da­her, daß ihre See­len naß sind und daß des Men­schen Au­gen und Ohren, über­haupt ihr In­tel­lekt ein schlech­ter Zeu­ge ist, wenn »feuch­ter Schlamm ihre See­len ein­nimmt«. Wa­rum das so ist, wird nicht ge­fragt, eben­so we­nig, warum Feu­er zu Was­ser und Erde wird, Hera­klit hat ja kei­nen Grund, nach­wei­sen zu müs­sen (wie ihn Leib­niz hat­te), daß die­se Welt so­gar die al­ler­bes­te sei, es ge­nügt ihm, daß sie das schö­ne un­schul­di­ge Spiel des Aeon ist. Der Mensch gilt ihm so­gar im All­ge­mei­nen als ein un­ver­nünf­ti­ges We­sen: wo­mit nicht strei­tet, daß sich in al­lem sei­nem We­sen das Ge­setz der all­wal­ten­den Ver­nunft er­füllt. Er nimmt gar nicht eine be­son­ders be­vor­zug­te Stel­lung in der Na­tur ein, de­ren höchs­te Er­schei­nung das Feu­er, zum Bei­spiel als Gestirn, ist, aber nicht der ein­fäl­ti­ge Mensch. Hat die­ser am Feu­er einen Ant­heil durch die No­thwen­dig­keit er­hal­ten, so ist er et­was ver­nünf­ti­ger, so­weit er aus Was­ser und Erde be­steht, steht es schlimm mit sei­ner Ver­nunft. Eine Ver­pflich­tung, daß er den Lo­gos er­ken­nen müs­se, weil er Mensch sei, existirt nicht. Wa­rum giebt es aber Was­ser, warum giebt es Erde? Dies ist für Hera­klit ein viel erns­te­res Pro­blem, als zu fra­gen, warum die Men­schen so dumm und schlecht sei­en. In dem höchs­ten und in dem ver­kehr­tes­ten Men­schen of­fen­bart sich die glei­che im­ma­nen­te Ge­setz­mä­ßig­keit und Ge­rech­tig­keit. Wenn man aber Hera­klit die Fra­ge vor­rücken woll­te: warum ist das Feu­er nicht im­mer Feu­er, warum ist es jetzt Was­ser, jetzt Erde?, so wür­de er eben nur ant­wor­ten »es ist ein Spiel, nehm­t’s nicht zu pa­the­tisch, und vor Al­lem nicht mo­ra­lisch!« Hera­klit be­schreibt nur die vor­hand­ne Welt und hat an ihr das be­schau­li­che Wohl­ge­fal­len, mit dem der Künst­ler auf sein wer­den­des Werk schaut. Düs­ter, schwer­müthig, thrä­nen­reich, fins­ter, schwarz­gal­lig, pes­si­mis­tisch und über­haupt has­sens­wür­dig fin­den ihn nur Die, wel­che mit sei­ner Na­tur­be­schrei­bung des Men­schen nicht zu­frie­den zu sein Ur­sa­che ha­ben. Die­se aber wür­de er, sammt ih­ren An­ti­pa­thi­en und Sym­pa­thi­en, ih­rem Haß und ih­rer Lie­be, für gleich­gül­tig hal­ten und ih­nen etwa mit sol­chen Be­leh­run­gen die­nen »die Hun­de bel­len Je­den an, den sie nicht ken­nen« oder »dem Esel ist Spreu lie­ber als Gold«.

      Von sol­chen Un­zu­fried­nen rüh­ren auch die zahl­rei­chen Kla­gen über die Dun­kel­heit des he­ra­kli­ti­schen Stils her: wahr­schein­lich hat nie ein Mensch hel­ler und leuch­ten­der ge­schrie­ben. Frei­lich sehr kurz, und des­halb al­ler­dings für die le­sen­den Schnell­läu­fer dun­kel. Wie aber ein Phi­lo­soph un­deut­lich, mit Ab­sicht, schrei­ben soll­te – was man Hera­klit nach­zu­sa­gen pflegt – ist völ­lig un­er­klär­lich: falls er nicht Grund hat, Ge­dan­ken zu ver­ber­gen, oder Schelm ge­nug ist, sei­ne Ge­dan­ken­lo­sig­keit un­ter Wor­ten zu ver­ste­cken. Muß man doch so­gar, wie Scho­pen­hau­er sagt, in An­ge­le­gen­hei­ten des ge­wöhn­li­chen prak­ti­schen Le­bens sorg­fäl­tig, durch Deut­lich­keit, mög­li­chen Miß­ver­ständ­nis­sen vor­beu­gen; wie denn soll­te man im schwie­rigs­ten, ab­stru­ses­ten, kaum er­reich­ba­ren Ge­gen­stan­de des Den­kens, den Auf­ga­ben der Phi­lo­so­phie, sich un­be­stimmt, ja räth­sel­haft aus­drücken dür­fen? Was aber die Kür­ze an­be­trifft, so giebt Jean Paul eine gute Leh­re. »Im Gan­zen ist es recht, wenn al­les Gro­ße – von vie­lem Sinn für einen selt­nen Sinn – nur kurz und (da­her) dun­kel aus­ge­spro­chen wird, da­mit der kah­le Geist es lie­ber für Un­sinn er­klä­re, als in sei­nen Leer­sinn über­set­ze. Denn die ge­mei­nen Geis­ter ha­ben eine häß­li­che Ge­schick­lich­keit, im tiefs­ten und reichs­ten Spruch nichts zu se­hen als ihre eig­ne all­täg­li­che Mei­nung«. Üb­ri­gens und trotz­dem ist Hera­klit den »kah­len Geis­tern« nicht ent­gan­gen; be­reits die Stoi­ker ha­ben ihn in’s Fla­che um­ge­deu­tet und sei­ne äs­the­ti­sche Grund­per­cep­ti­on vom Spiel der Welt zu der ge­mei­nen Rück­sicht auf Zweck­mä­ßig­kei­ten der Welt und zwar für die Vort­hei­le der Men­schen her­ab­ge­zo­gen: so daß aus sei­ner Phy­sik, in je­nen Köp­fen, ein cru­der Op­ti­mis­mus, mit der fort­wäh­ren­den Auf­for­de­rung an Hinz und Kunz zum plau­di­te ami­ci, ge­wor­den ist.

      8.

      Hera­klit war stolz: und wenn es bei ei­nem Phi­lo­so­phen zum Stolz kommt, dann giebt es einen großen Stolz. Sein Wir­ken weist ihn nie auf ein »Pub­li­kum«, auf den Bei­fall der Mas­sen und den zu­jauch­zen­den Cho­rus der Zeit­ge­nos­sen hin. Ein­sam die Stra­ße zu ziehn ge­hört zum We­sen des Phi­lo­so­phen. Sei­ne Be­ga­bung ist die sel­tens­te, in ei­nem ge­wis­sen


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