Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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und gleich­sam die Richt­stät­te al­ler Ver­damm­ten sein?«

      Aus die­ser In­tui­ti­on ent­nahm Hera­klit zwei zu­sam­men­hän­gen­de Ver­nei­nun­gen, die erst durch die Ver­glei­chung mit den Lehr­sät­zen sei­nes Vor­gän­gers in das hel­le Licht ge­rückt wer­den. Ein­mal leug­ne­te er die Zwei­heit ganz di­ver­ser Wel­ten, zu de­ren An­nah­me Ana­xi­man­der ge­drängt wor­den war; er schied nicht mehr eine phy­si­sche Welt von ei­ner me­ta­phy­si­schen, ein Reich der be­stimm­ten Qua­li­tä­ten von ei­nem Reich der un­de­fi­nir­ba­ren Un­be­stimmt­heit ab. Jetzt, nach die­sem ers­ten Schrit­te, konn­te er auch nicht mehr von ei­ner weit grö­ße­ren Kühn­heit des Ver­nei­nens zu­rück­ge­hal­ten wer­den: er leug­ne­te über­haupt das Sein. Denn die­se eine Welt, die er üb­rig be­hielt – um­schirmt von ewi­gen un­ge­schrie­be­nen Ge­set­zen, auf- und nie­der­flu­thend im eher­nen Schla­ge des Rhyth­mus –, zeigt nir­gends ein Ver­har­ren, eine Un­zer­stör­bar­keit, ein Boll­werk im Stro­me. Lau­ter als Ana­xi­man­der rief Hera­klit es aus: »Ich sehe nichts als Wer­den. Laßt euch nicht täu­schen! In eu­rem kur­z­en Blick liegt es, nicht im We­sen der Din­ge, wenn ihr ir­gend­wo fes­tes Land im Mee­re des Wer­dens und Ver­ge­hens zu se­hen glaubt. Ihr ge­braucht Na­men der Din­ge, als ob sie eine star­re Dau­er hät­ten: aber selbst der Strom, in den ihr zum zwei­ten Male steigt, ist nicht der­sel­be als bei dem ers­ten Male.«

      Hera­klit hat als sein kö­nig­li­ches Be­sitz­t­hum die höchs­te Kraft der in­tui­ti­ven Vor­stel­lung; wäh­rend er ge­gen die and­re Vor­stel­lungs­art, die in Be­grif­fen und lo­gi­schen Kom­bi­na­tio­nen voll­zo­gen wird, also ge­gen die Ver­nunft, sich kühl, un­emp­find­lich, ja feind­lich zeigt und ein Ver­gnü­gen zu emp­fin­den scheint, wenn er ihr mit ei­ner in­tui­tiv ge­won­ne­nen Wahr­heit wi­der­spre­chen kann: und dies thut er in Sät­zen wie »Al­les hat je­der­zeit das Ent­ge­gen­ge­setz­te an sich« so un­ge­scheut, daß Ari­sto­te­les ihn des höchs­ten Ver­bre­chens vor dem Tri­bu­na­le der Ver­nunft zeiht, ge­gen den Satz vom Wi­der­spruch ge­sün­digt zu ha­ben. Die in­tui­ti­ve Vor­stel­lung aber um­faßt zwei­er­lei: ein­mal die ge­gen­wär­ti­ge, in al­len Er­fah­run­gen an uns her­an sich drän­gen­de bun­te und wech­seln­de Welt, so­dann die Be­din­gun­gen, durch die jede Er­fah­rung von die­ser Welt erst mög­lich wird, Zeit und Raum. Denn die­se kön­nen, wenn sie auch ohne be­stimm­ten In­halt sind, un­ab­hän­gig von je­der Er­fah­rung und rein an sich in­tui­tiv per­ci­pirt, also an­ge­schaut wer­den. Wenn nun Hera­klit in die­ser Wei­se die Zeit, los­ge­löst von al­len Er­fah­run­gen be­trach­tet, so hat­te er an ihr das be­leh­rends­te Mo­no­gramm al­les Des­sen, was über­haupt un­ter das Be­reich der in­tui­ti­ven Vor­stel­lung fällt. So wie er die Zeit er­kann­te, er­kann­te sie zum Bei­spiel auch Scho­pen­hau­er, als wel­cher von ihr wie­der­holt aus­sagt: daß in ihr je­der Au­gen­blick nur ist, so­fern er den vor­her­ge­hen­den, sei­nen Va­ter, ver­tilgt hat, um selbst eben­so schnell wie­der ver­tilgt zu wer­den; daß Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft so nich­tig als ir­gend ein Traum sind, Ge­gen­wart aber nur die aus­deh­nungs- und be­stand­lo­se Gren­ze zwi­schen bei­den sei; daß aber, wie die Zeit, so der Raum, und wie die­ser, so auch Al­les, was in ihm und der Zeit zu­gleich ist, nur ein re­la­ti­ves Da­sein hat, nur durch und für ein An­de­res, ihm Gleich­ar­ti­ges, d. h. wie­der nur eben­so Be­ste­hen­des, sei. Dies ist eine Wahr­heit von der höchs­ten un­mit­tel­ba­ren, Je­der­mann zu­gäng­li­chen An­schau­lich­keit und eben dar­um be­griff­lich und ver­nünf­tig sehr schwer zu er­rei­chen. Wer sie vor Au­gen hat, muß aber auch so­fort zu der he­ra­kli­ti­schen Con­se­quenz wei­ter­ge­hen und sa­gen, daß das gan­ze We­sen der Wirk­lich­keit eben nur Wir­ken ist und daß es für sie kei­ne an­de­re Art Sein giebt; wie dies eben­falls Scho­pen­hau­er dar­ge­stellt hat (Welt als Wil­le und Vor­stel­lung Band I, ers­tes Buch § 4): »Nur als wir­kend füllt sie den Raum, füllt sie die Zeit: ihre Ein­wir­kung auf das un­mit­tel­ba­re Ob­jekt be­dingt die An­schau­ung, in der sie al­lein existirt: die Fol­ge der Ein­wir­kung je­des an­dern ma­te­ri­el­len Ob­jekts auf ein an­de­res wird nur er­kannt, so­fern das Letz­te­re jetzt an­ders als zu­vor auf das un­mit­tel­ba­re Ob­jekt ein­wirkt, be­steht nur dar­in. Ur­sa­che und Wir­kung ist also das gan­ze We­sen der Ma­te­rie: ihr Sein ist ihr Wir­ken. Höchst tref­fend ist des­halb im Deut­schen der In­be­griff al­les Ma­te­ri­el­len Wirk­lich­keit ge­nannt, wel­ches Wort viel be­zeich­nen­der ist als Rea­li­tät. Das, wor­auf sie wirkt, ist al­le­mal wie­der Ma­te­rie: ihr gan­zes Sein und We­sen be­steht also nur in der ge­setz­mä­ßi­gen Ver­än­de­rung, die ein Theil der­sel­ben im an­de­ren her­vor­bringt, ist folg­lich gänz­lich re­la­tiv, nach ei­ner nur in­ner­halb ih­rer Gren­zen gel­ten­den Re­la­ti­on, also eben wie die Zeit, eben wie der Raum.«

      Das ewi­ge und al­lei­ni­ge Wer­den, die gänz­li­che Un­be­stän­dig­keit al­les Wirk­li­chen, das fort­wäh­rend nur wirkt und wird und nicht ist, wie dies Hera­klit lehrt, ist eine furcht­ba­re und be­täu­ben­de Vor­stel­lung und in ih­rem Ein­flus­se am nächs­ten der Emp­fin­dung ver­wandt, mit der Je­mand, bei ei­nem Erd­be­ben, das Zu­trau­en zu der fest­ge­grün­de­ten Erde ver­liert. Es ge­hör­te eine er­staun­li­che Kraft dazu, die­se Wir­kung in das Ent­ge­gen­ge­setz­te, in das Er­hab­ne und das be­glück­te Er­stau­nen zu über­tra­gen. Dies er­reich­te Hera­klit durch eine Beo­b­ach­tung über den ei­gent­li­chen Her­gang je­des Wer­dens und Ver­ge­hens, wel­chen er un­ter der Form der Po­la­ri­tät be­griff, als das Aus­ein­an­der­tre­ten ei­ner Kraft in zwei qua­li­ta­tiv ver­schied­ne, ent­ge­gen­ge­setz­te und zur Wie­der­ver­ei­ni­gung stre­ben­de Thä­tig­kei­ten. Fort­wäh­rend ent­zweit sich eine Qua­li­tät mit sich selbst und schei­det sich in ihre Ge­gen­sät­ze: fort­wäh­rend stre­ben die­se Ge­gen­sät­ze wie­der zu ein­an­der hin. Das Volk meint zwar, et­was Star­res, Fer­ti­ges, Be­har­ren­des zu er­ken­nen; in Wahr­heit ist in je­dem Au­gen­blick Licht und Dun­kel, Bit­ter und Süß bei ein­an­der und an ein­an­der ge­hef­tet, wie zwei Rin­gen­de, von de­nen bald der eine bald der and­re die Ob­macht be­kommt. Der Ho­nig ist, nach Hera­klit, zu­gleich bit­ter und süß, und die Welt selbst ist ein Misch­krug, der be­stän­dig um­ge­rührt wer­den muß. Aus dem Krieg des Ent­ge­gen­ge­setz­ten ent­steht al­les Wer­den: die be­stimm­ten als an­dau­ernd uns er­schei­nen­den Qua­li­tä­ten drücken nur das mo­men­ta­ne Über­ge­wicht des einen Kämp­fers aus, aber der Krieg ist da­mit nicht zu Ende, das Rin­gen dau­ert in Ewig­keit fort. Al­les ge­schieht ge­mäß die­sem Strei­te, und ge­ra­de die­ser Streit of­fen­bart die ewi­ge Ge­rech­tig­keit. Es ist eine wun­der­vol­le, aus dem reins­ten Bor­ne des Hel­le­ni­schen ge­schöpf­te Vor­stel­lung, wel­che den Streit als das fort­wäh­ren­de Wal­ten ei­ner ein­heit­li­chen, stren­gen, an ewi­ge Ge­set­ze ge­bun­de­nen Ge­rech­tig­keit be­trach­tet. Nur ein Grie­che war im Stan­de, die­se Vor­stel­lung als Fun­da­ment ei­ner Kos­mo­di­cee zu fin­den; es ist die gute Eris He­sio­d’s zum Welt­prin­cip ver­klärt, es ist der Wett­kampf­ge­dan­ke der ein­zel­nen Grie­chen und des grie­chi­schen Staa­tes, aus den Gym­na­si­en und Pa­lästren, aus den künst­le­ri­schen Ago­nen, aus dem Rin­gen der po­li­ti­schen Par­tei­en und der Städ­te mit ein­an­der in’s All­ge­meins­te über­tra­gen, so daß jetzt das Rä­der­werk des Kos­mos in ihm sich dreht. Wie je­der Grie­che kämpft, als ob er al­lein im Recht sei, und ein un­end­lich si­che­res Maaß des rich­ter­li­chen Urt­heils in je­dem Au­gen­blick be­stimmt, wo­hin der Sieg sich neigt, so rin­gen die Qua­li­tä­ten


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