Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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ob­schon un­se­re an die bio­gra­phi­sche Seu­che ge­wöhn­te Zeit an­ders und statt­li­cher über die Wür­de des Men­schen zu den­ken scheint –; wer, wie Scho­pen­hau­er, auf den »Hö­hen der in­di­schen Lüf­te« das hei­li­ge Wort von dem mo­ra­li­schen Wert­he des Da­seins ge­hört hat, der wird schwer da­von ab­zu­hal­ten sein, eine höchst an­thro­po­mor­phi­sche Me­ta­pher zu ma­chen und jene schwer­müthi­ge Leh­re aus der Be­schrän­kung auf das Men­schen­le­ben her­aus­zu­zie­hen und sie auf den all­ge­mei­nen Cha­rak­ter al­les Da­seins, durch Über­tra­gung, an­zu­wen­den. Es mag nicht lo­gisch sein, ist aber je­den­falls recht mensch­lich, und über­dies recht im Sti­le des frü­her ge­schil­der­ten phi­lo­so­phi­schen Sprin­gens, jetzt mit Ana­xi­man­der al­les Wer­den wie eine straf­wür­di­ge Eman­ci­pa­ti­on vom ewi­gen Sein an­zu­sehn, als ein Un­recht, das mit dem Un­ter­gan­ge zu bü­ßen ist. Al­les, was ein­mal ge­wor­den ist, ver­geht auch wie­der, ob wir nun da­bei an das Men­schen­le­ben oder an das Was­ser oder an Warm und Kalt den­ken: über­all, wo be­stimm­te Ei­gen­schaf­ten wahr­zu­neh­men sind, dür­fen wir auf den Un­ter­gang die­ser Ei­gen­schaf­ten, nach ei­nem un­ge­heu­ren Er­fah­rungs-Be­weis, pro­phe­zei­en. Nie kann also ein We­sen, das be­stimm­te Ei­gen­schaf­ten be­sitzt und aus ih­nen be­steht, Ur­sprung und Prin­cip der Din­ge sein; das wahr­haft Sei­en­de, schloß Ana­xi­man­der, kann kei­ne be­stimm­ten Ei­gen­schaf­ten be­sit­zen, sonst wür­de es, wie alle an­dern Din­ge, ent­stan­den sein und zu Grun­de gehn müs­sen. Da­mit das Wer­den nicht auf­hört, muß das Ur­we­sen un­be­stimmt sein. Die Uns­terb­lich­keit und Ewig­keit des Ur­we­sens liegt nicht in ei­ner Unend­lich­keit und Unaus­schöpf­bar­keit – wie ge­mein­hin die Er­klä­rer des Ana­xi­man­der an­neh­men –, son­dern dar­in, daß es der be­stimm­ten, zum Un­ter­gan­ge füh­ren­den Qua­li­tä­ten bar ist; wes­halb es auch sei­nen Na­men, als »das Un­be­stimm­te« trägt. Das so be­nann­te Ur­we­sen ist über das Wer­den er­ha­ben und ver­bürgt eben des­halb die Ewig­keit und den un­ge­hemm­ten Ver­lauf des Wer­dens. Die­se letz­te Ein­heit in je­nem »Un­be­stimm­ten«, der Mut­ter­schooß al­ler Din­ge, kann frei­lich von dem Men­schen nur ne­ga­tiv be­zeich­net wer­den, als Et­was, dem aus der vor­han­de­nen Welt des Wer­dens kein Prä­di­kat ge­ge­ben wer­den kann, und dürf­te des­halb dem kan­ti­schen »Ding an sich« als eben­bür­tig gel­ten.

      Wer sich frei­lich mit An­de­ren dar­über her­um­strei­ten kann, was das nun ei­gent­lich für ein Ur­stoff ge­we­sen sei, ob er etwa ein Mit­tel­ding zwi­schen Luft und Was­ser oder viel­leicht zwi­schen Luft und Feu­er sei, hat un­sern Phi­lo­so­phen gar nicht ver­stan­den: was eben­falls von Je­nen zu sa­gen ist, die sich ernst­haft fra­gen, ob Ana­xi­man­der sich sei­nen Ur­stoff als Mi­schung al­ler vor­han­de­nen Stof­fe ge­dacht habe. Viel­mehr dort­hin müs­sen wir den Blick rich­ten, wo wir ler­nen kön­nen, daß Ana­xi­man­der die Fra­ge nach der Her­kunft die­ser Welt be­reits nicht mehr rein phy­si­ka­lisch be­han­del­te, hin nach je­nem zu­erst an­ge­führ­ten la­pi­da­ri­schen Satz. Wenn er viel­mehr in der Viel­heit der ent­stan­de­nen Din­ge eine Sum­me von ab­zu­bü­ßen­den Un­ge­rech­tig­kei­ten schau­te, so hat er das Knäu­el des tief­sin­nigs­ten ethi­schen Pro­blems mit küh­nem Grif­fe, als der ers­te Grie­che, er­hascht. Wie kann Et­was ver­ge­hen, was ein Recht hat zu sein! Wo­her je­nes rast­lo­se Wer­den und Ge­bä­ren, wo­her je­ner Aus­druck von schmerz­haf­ter Ver­zer­rung auf dem An­ge­sich­te der Na­tur, wo­her die nie en­den­de Tod­ten­kla­ge in al­len Rei­chen des Da­seins? Aus die­ser Welt des Un­rech­tes, des fre­chen Ab­falls von der Ur-Ein­heit der Din­ge flüch­tet Ana­xi­man­der in eine me­ta­phy­si­sche Burg, aus der hin­aus­ge­lehnt er jetzt den Blick weit um­her rol­len läßt, um end­lich, nach nach­denk­li­chem Schwei­gen, an alle We­sen die Fra­ge zu rich­ten: »Was ist euer Da­sein werth? Und wenn es nichts werth ist, wozu seid ihr da? Durch eure Schuld, mer­ke ich, weilt ihr in die­ser Exis­tenz. Mit dem Tode wer­det ihr sie bü­ßen müs­sen. Seht hin, wie eure Erde welkt; die Mee­re neh­men ab und trock­nen aus, die See­mu­schel auf dem Ge­bir­ge zeigt euch, wie weit sie schon ver­trock­net sind; das Feu­er zer­stört eure Welt be­reits jetzt, end­lich wird sie in Dunst und Rauch auf­gehn. Aber im­mer von Neu­em wie­der wird eine sol­che Welt der Ver­gäng­lich­keit sich bau­en: wer ver­möch­te euch vom Flu­che des Wer­dens zu er­lö­sen?«

      Ei­nem Man­ne, der sol­che Fra­gen stellt, des­sen auf­schwe­ben­des Den­ken fort­wäh­rend die em­pi­ri­schen Stri­cke zer­riß, um so­fort den höchs­ten su­per­lu­na­ri­schen Auf­schwung zu neh­men, mag nicht jede Art des Le­bens will­kom­men ge­we­sen sein. Wir glau­ben es ger­ne der Über­lie­fe­rung, daß er in be­son­ders ehr­wür­di­ger Klei­dung ein­her­gieng und einen wahr­haft tra­gi­schen Stolz in sei­nen Ge­bär­den und Le­bens­ge­wohn­hei­ten zeig­te. Er leb­te, wie er schrieb; er sprach so fei­er­lich als er sich klei­de­te; er er­hob die Hand und setz­te den Fuß, als ob die­ses Da­sein eine Tra­gö­die sei, in der er, als Held, mit­zu­spie­len ge­bo­ren sei. In Al­le­dem war er das große Vor­bild des Em­pe­do­kles. Sei­ne Mit­bür­ger er­wähl­ten ihn, eine aus­wan­dern­de Ko­lo­nie an­zu­füh­ren – viel­leicht freu­ten sie sich ihn zu­gleich eh­ren und los­wer­den zu kön­nen. Auch sein Ge­dan­ke zog aus und grün­de­te Ko­lo­ni­en: in Ephe­sus und in Elea wur­de man ihn nicht los, und wenn man sich nicht ent­schlie­ßen konn­te, an der Stel­le zu blei­ben, wo er stand, so wuß­te man doch, daß man dort­hin von ihm ge­führt wor­den sei, von wo man jetzt, ohne ihn, wei­ter­zu­schrei­ten sich an­schick­te.

      Tha­les zeigt das Be­dürf­niß, das Reich der Viel­heit zu sim­pli­fi­ci­ren und zu ei­ner blo­ßen Ent­fal­tung oder Ver­klei­dung der einen al­lein vor­han­de­nen Qua­li­tät, des Was­sers, her­ab­zu­set­zen. Über ihn geht Ana­xi­man­der mit zwei Schrit­ten hin­aus. Er fragt sich ein­mal: »Wie ist doch, wenn es über­haupt eine ewi­ge Ein­heit giebt, jene Viel­heit mög­lich?« und ent­nimmt die Ant­wort aus dem wi­der­spruchs­vol­len, sich selbst auf­zeh­ren­den und ver­nei­nen­den Cha­rak­ter die­ser Viel­heit. Die Exis­tenz der­sel­ben wird ihm zu ei­nem mo­ra­li­schen Phä­no­men, sie ist nicht ge­recht­fer­tigt, son­dern büßt sich fort­wäh­rend durch den Un­ter­gang ab. Aber dann fällt ihm die Fra­ge ein: »Wa­rum ist denn nicht schon längst al­les Ge­w­ord­ne zu Grun­de ge­gan­gen, da doch be­reits eine gan­ze Ewig­keit von Zeit vor­über ist? Wo­her der im­mer er­neu­te Strom des Wer­dens?« Er weiß sich nur durch mys­ti­sche Mög­lich­kei­ten vor die­ser Fra­ge zu ret­ten: das ewi­ge Wer­den kann sei­nen Ur­sprung nur im ewi­gen Sein ha­ben, die Be­din­gun­gen zu dem Ab­fall von je­nem Sein zu ei­nem Wer­den in Un­ge­rech­tig­keit sind im­mer die glei­chen, die Con­stel­la­ti­on der Din­ge ist nun ein­mal so be­schaf­fen, daß kein Ende für je­nes Heraustre­ten des Ein­zel­we­sens aus dem Schooß des »Un­be­stimm­ten« ab­zu­set­zen ist. Hier­bei blieb Ana­xi­man­der: das heißt er blieb in den tie­fen Schat­ten, die wie rie­sen­haf­te Ge­s­pens­ter auf dem Ge­bir­ge ei­ner sol­chen Welt­be­trach­tung la­gen. Je mehr man dem Pro­ble­me sich na­hen woll­te, wie über­haupt aus dem Un­be­stimm­ten je das Be­stimm­te, aus dem Ewi­gen das Zeit­li­che, aus dem Ge­rech­ten die Un­ge­rech­tig­keit, durch Ab­fall ent­ste­hen kön­ne, um so grö­ßer wur­de die Nacht.

      5.

      Mit­ten auf die­se mys­ti­sche Nacht, in die Ana­xi­man­der’s Pro­blem vom Wer­den gehüllt war, trat Hera­klit aus Ephe­sus zu und er­leuch­te­te sie durch einen gött­li­chen Blitz­schlag. »Das Wer­den schaue ich an, ruft


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