Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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über die Au­gen und Sin­ne der Men­schen le­gend, täuscht sich also über den Werth des Da­seins, da­durch, daß er über das Er­ken­nen selbst die schmei­chel­haf­tes­te Wert­h­schät­zung in sich trägt. Sei­ne all­ge­meins­te Wir­kung ist Täu­schung – aber auch die ein­zels­ten Wir­kun­gen tra­gen Et­was von glei­chem Cha­rak­ter an sich.

      Der In­tel­lekt, als ein Mit­tel zur Er­hal­tung des In­di­vi­du­ums, ent­fal­tet sei­ne Haupt­kräf­te in der Ver­stel­lung: denn die­se ist das Mit­tel, durch das die schwä­che­ren, we­ni­ger ro­bus­ten In­di­vi­du­en sich er­hal­ten, als wel­chen einen Kampf um die Exis­tenz mit Hör­nern oder schar­fem Raubt­hier-Ge­biß zu füh­ren ver­sagt ist. Im Men­schen kommt die­se Ver­stel­lungs­kunst auf ih­ren Gip­fel: hier ist die Täu­schung, das Schmei­cheln, Lü­gen und Trü­gen, das Hin­ter-dem-Rücken-Re­den, das Re­prä­sen­ti­ren, das im er­borg­ten Glan­ze Le­ben, das Mas­kirt­sein, die ver­hül­len­de Con­ven­ti­on, das Büh­nen­spiel vor An­de­ren und vor sich selbst, kurz das fort­wäh­ren­de He­rum­flat­tern um die eine Flam­me Ei­tel­keit so sehr die Re­gel und das Ge­setz, daß fast Nichts un­be­greif­li­cher ist, als wie un­ter den Men­schen ein ehr­li­cher und rei­ner Trieb zur Wahr­heit auf­kom­men konn­te. Sie sind tief ein­ge­taucht in Il­lu­sio­nen und Traum­bil­der, ihr Auge glei­tet nur auf der Ober­flä­che der Din­ge her­um und sieht »For­men«, ihre Emp­fin­dung führt nir­gends in die Wahr­heit, son­dern be­gnügt sich, Rei­ze zu emp­fan­gen und gleich­sam ein tas­ten­des Spiel auf dem Rücken der Din­ge zu spie­len. Dazu läßt sich der Mensch Nachts, ein Le­ben hin­durch, im Trau­me be­lü­gen, ohne daß sein mo­ra­li­sches Ge­fühl dies je zu ver­hin­dern such­te: wäh­rend es Men­schen ge­ben soll, die durch star­ken Wil­len das Schnar­chen be­sei­tigt ha­ben. Was weiß der Mensch ei­gent­lich von sich selbst! Ja, ver­möch­te er auch nur sich ein­mal voll­stän­dig, hin­ge­legt wie in einen er­leuch­te­ten Glas­kas­ten, zu per­ci­pi­ren? Ver­schweigt die Na­tur ihm nicht das Al­ler­meis­te, selbst über sei­nen Kör­per, um ihn, ab­seits von den Win­dun­gen der Ge­där­me, dem ra­schen Fluß der Blut­strö­me, den ver­wi­ckel­ten Fa­ser­er­zit­te­run­gen, in ein stol­zes gauk­le­ri­sches Be­wußt­sein zu ban­nen und ein­zu­schlie­ßen! Sie warf den Schlüs­sel weg: und wehe der ver­häng­nis­vol­len Neu­be­gier, die durch eine Spal­te ein­mal aus dem Be­wußt­seins­zim­mer her­aus und hin­ab zu se­hen ver­möch­te, und die jetzt ahn­te, daß auf dem Er­bar­mungs­lo­sen, dem Gie­ri­gen, dem Uner­sätt­li­chen, dem Mör­de­ri­schen der Mensch ruht, in der Gleich­gül­tig­keit sei­nes Nicht­wis­sens, und gleich­sam auf dem Rücken ei­nes Ti­gers in Träu­men hän­gend. Wo­her, in al­ler Welt, bei die­ser Kon­stel­la­ti­on der Trieb zur Wahr­heit!

      So­weit das In­di­vi­du­um sich, ge­gen­über an­dern In­di­vi­du­en, er­hal­ten will, be­nutzt es in ei­nem na­tür­li­chen Zu­stand der Din­ge den In­tel­lekt zu­meist nur zur Ver­stel­lung: weil aber der Mensch zu­gleich aus Noth und Lan­ge­wei­le ge­sell­schaft­lich und he­er­den­wei­se existiren will, braucht er einen Frie­dens­schluß und trach­tet dar­nach, daß we­nigs­tens das aller­größ­te bel­lum om­ni­um con­tra om­nes aus sei­ner Welt ver­schwin­de. Die­ser Frie­dens­schluß bringt Et­was mit sich, was wie der ers­te Schritt zur Er­lan­gung je­nes räth­sel­haf­ten Wahr­heits­trie­bes aus­sieht. Jetzt wird näm­lich Das fi­xirt, was von nun an »Wahr­heit« sein soll, das heißt es wird eine gleich­mä­ßig gül­ti­ge und ver­bind­li­che Be­zeich­nung der Din­ge er­fun­den und die Ge­setz­ge­bung der Spra­che giebt auch die ers­ten Ge­set­ze der Wahr­heit: denn es ent­steht hier zum ers­ten Male der Con­trast von Wahr­heit und Lüge. Der Lüg­ner ge­braucht die gül­ti­gen Be­zeich­nun­gen, die Wor­te, um das Un­wirk­li­che als wirk­lich er­schei­nen zu ma­chen; er sagt zum Bei­spiel: »ich bin reich«, wäh­rend für sei­nen Zu­stand ge­ra­de »arm« die rich­ti­ge Be­zeich­nung wäre. Er miß­braucht die fes­ten Kon­ven­tio­nen durch be­lie­bi­ge Ver­tau­schun­gen oder gar Um­keh­run­gen der Na­men. Wenn er dies in ei­gen­nüt­zi­ger und üb­ri­gens Scha­den brin­gen­der Wei­se thut, so wird ihm die Ge­sell­schaft nicht mehr trau­en und ihn da­durch von sich aus­schlie­ßen. Die Men­schen flie­hen da­bei das Be­tro­gen­wer­den nicht so sehr, als das Be­schä­digt­wer­den durch Be­trug: sie has­sen, auch auf die­ser Stu­fe, im Grun­de nicht die Täu­schung, son­dern die schlim­men, feind­se­li­gen Fol­gen ge­wis­ser Gat­tun­gen von Täu­schun­gen. In ei­nem ähn­li­chen be­schränk­ten Sin­ne will der Mensch auch nur die Wahr­heit: er be­gehrt die an­ge­neh­men, Le­ben er­hal­ten­den Fol­gen der Wahr­heit, ge­gen die rei­ne fol­gen­lo­se Er­kennt­niß ist er gleich­gül­tig, ge­gen die viel­leicht schäd­li­chen und zer­stö­ren­den Wahr­hei­ten so­gar feind­lich ge­stimmt. Und über­dies: wie steht es mit je­nen Con­ven­tio­nen der Spra­che? Sind sie viel­leicht Er­zeug­nis­se der Er­kennt­niß, des Wahr­heits­sin­nes, de­cken sich die Be­zeich­nun­gen und die Din­ge? Ist die Spra­che der ad­äqua­te Aus­druck al­ler Rea­li­tä­ten?

      Nur durch die Ver­geß­lich­keit kann der Mensch je dazu kom­men zu wäh­nen, er be­sit­ze eine »Wahr­heit« in dem eben be­zeich­ne­ten Gra­de. Wenn er sich nicht mit der Wahr­heit in der Form der Tau­to­lo­gie, das heißt mit lee­ren Hül­sen be­gnü­gen will, so wird er ewig Il­lu­sio­nen für Wahr­hei­ten ein­han­deln. Was ist ein Wort? Die Ab­bil­dung ei­nes Ner­ven­rei­zes in Lau­ten. Von dem Ner­ven­reiz aber wei­ter­zu­schlie­ßen auf eine Ur­sa­che au­ßer uns, ist be­reits das Re­sul­tat ei­ner falschen und un­be­rech­tig­ten An­wen­dung des Sat­zes vom Grun­de. Wie dürf­ten wir, wenn die Wahr­heit bei der Ge­ne­sis der Spra­che, der Ge­sichts­punkt der Ge­wiß­heit bei den Be­zeich­nun­gen al­lein ent­schei­dend ge­we­sen wäre, wie dürf­ten wir doch sa­gen: der Stein ist hart: als ob uns »hart« noch sonst be­kannt wäre, und nicht nur als eine ganz sub­jek­ti­ve Rei­zung! Wir thei­len die Din­ge nach Ge­schlech­tern ein, wir be­zeich­nen den Baum als männ­lich, die Pflan­ze als weib­lich: wel­che will­kür­li­chen Über­tra­gun­gen! Wie weit hin­aus­ge­flo­gen über den Ka­non der Ge­wiß­heit! Wir re­den von ei­ner »Schlan­ge«: die Be­zeich­nung trifft Nichts als das Sich­win­den, könn­te also auch dem Wur­me zu­kom­men. Wel­che will­kür­li­chen Ab­gren­zun­gen, wel­che ein­sei­ti­gen Be­vor­zu­gun­gen bald der bald je­ner Ei­gen­schaft ei­nes Din­ges! Die ver­schie­de­nen Spra­chen, ne­ben ein­an­der ge­stellt, zei­gen, daß es bei den Wor­ten nie auf die Wahr­heit, nie auf einen ad­äqua­ten Aus­druck an­kommt: denn sonst gäbe es nicht so vie­le Spra­chen. Das »Ding an sich« (das wür­de eben die rei­ne fol­gen­lo­se Wahr­heit sein) ist auch dem Sprach­bild­ner ganz un­faß­lich und ganz und gar nicht er­stre­bens­werth. Er be­zeich­net nur die Re­la­tio­nen der Din­ge zu den Men­schen und nimmt zu de­ren Aus­dru­cke die kühns­ten Me­ta­phern zu Hül­fe. Ein Ner­ven­reiz, zu­erst über­tra­gen in ein Bild! Ers­te Me­ta­pher. Das Bild wie­der nach­ge­formt in einen Laut! Zwei­te Me­ta­pher. Und je­des­mal voll­stän­di­ges Über­sprin­gen der Sphä­re, mit­ten hin­ein in eine ganz and­re und neue. Man kann sich einen Men­schen den­ken, der ganz taub ist und nie eine Emp­fin­dung des To­nes und der Mu­sik ge­habt hat: wie die­ser etwa die chlad­ni’­schen Klang­fi­gu­ren im San­de an­staunt, ihre Ur­sa­chen im Er­zit­tern der Sai­te fin­det und nun dar­auf schwö­ren wird, jetzt müs­se er wis­sen, was die Men­schen den »Ton« nen­nen, so geht es uns Al­len mit der Spra­che. Wir glau­ben Et­was von den Din­gen selbst zu wis­sen, wenn wir von Bäu­men, Far­ben, Schnee und Blu­men re­den, und be­sit­zen doch Nichts als Me­ta­phern der Din­ge, die den ur­sprüng­li­chen We­sen­hei­ten ganz und gar nicht ent­spre­chen. Wie


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