Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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durch Gleich­set­zen des Nicht­glei­chen. So ge­wiß nie ein Blatt ei­nem an­dern ganz gleich ist, so ge­wiß ist der Be­griff Blatt durch be­lie­bi­ges Fal­len­las­sen die­ser in­di­vi­du­el­len Ver­schie­den­hei­ten, durch ein Ver­ges­sen des Un­ter­schei­den­den ge­bil­det und er­weckt nun die Vor­stel­lung, als ob es in der Na­tur au­ßer den Blät­tern Et­was gäbe, das »Blatt« wäre, etwa eine Ur­form, nach der alle Blät­ter ge­webt, ge­zeich­net, ab­ge­zir­kelt, ge­färbt, ge­kräu­selt, be­malt wä­ren, aber von un­ge­schick­ten Hän­den, so daß kein Exem­plar cor­rekt und zu­ver­läs­sig als treu­es Ab­bild der Ur­form aus­ge­fal­len wäre. Wir nen­nen einen Men­schen »ehr­lich«; warum hat er heu­te so ehr­lich ge­han­delt? fra­gen wir. Un­se­re Ant­wort pflegt zu lau­ten: sei­ner Ehr­lich­keit we­gen. Die Ehr­lich­keit! Das heißt wie­der: das Blatt ist die Ur­sa­che der Blät­ter. Wir wis­sen ja gar nichts von ei­ner we­sen­haf­ten Qua­li­tät, die »die Ehr­lich­keit« hie­ße, wohl aber von zahl­rei­chen in­di­vi­dua­li­sir­ten, so­mit un­glei­chen Hand­lun­gen, die wir durch Weglas­sen des Un­glei­chen gleich­set­zen und jetzt als ehr­li­che Hand­lun­gen be­zeich­nen; zu­letzt for­mu­li­ren wir aus ih­nen eine qua­li­tas oc­cul­ta, mit dem Na­men: »die Ehr­lich­keit«. Das Über­se­hen des In­di­vi­du­el­len und Wirk­li­chen giebt uns den Be­griff, wie es uns auch die Form giebt, wo­hin­ge­gen die Na­tur kei­ne For­men und Be­grif­fe, also auch kei­ne Gat­tun­gen kennt, son­dern nur ein für uns un­zu­gäng­li­ches und un­de­fi­nir­ba­res X. Denn auch un­ser Ge­gen­satz von In­di­vi­du­um und Gat­tung ist an­thro­po­mor­phisch und ent­stammt nicht dem We­sen der Din­ge, wenn wir auch nicht zu sa­gen wa­gen, daß er ihm nicht ent­spricht: das wäre näm­lich eine dog­ma­ti­sche Be­haup­tung und als sol­che eben­so un­er­weis­lich wie ihr Ge­gent­heil.

      Was ist also Wahr­heit? Ein be­weg­li­ches Heer von Me­ta­phern, Met­ony­mi­en, An­thro­po­mor­phis­men, kurz eine Sum­me von mensch­li­chen Re­la­tio­nen, die, poe­tisch und rhe­to­risch ge­stei­gert, über­tra­gen, ge­schmückt wur­den, und die nach lan­gem Ge­brauch ei­nem Vol­ke fest, ka­no­nisch und ver­bind­lich dün­ken: die Wahr­hei­ten sind Il­lu­sio­nen, von de­nen man ver­ges­sen hat, daß sie wel­che sind, Me­ta­phern, die ab­ge­nutzt und sinn­lich kraft­los ge­wor­den sind, Mün­zen, die ihr Bild ver­lo­ren ha­ben und nun als Me­tall, nicht mehr als Mün­zen, in Be­tracht kom­men.

      Wir wis­sen im­mer noch nicht, wo­her der Trieb zur Wahr­heit stammt: denn bis jetzt ha­ben wir nur von der Ver­pflich­tung ge­hört, die die Ge­sell­schaft, um zu existiren, stellt: wahr­haft zu sein, das heißt die usu­el­len Me­ta­phern zu brau­chen, also mo­ra­lisch aus­ge­drückt: von der Ver­nich­tung, nach ei­ner fes­ten Con­ven­ti­on zu lü­gen, he­er­den­wei­se in ei­nem für Alle ver­bind­li­chen Sti­le zu lü­gen. Nun ver­gißt frei­lich der Mensch, daß es so mit ihm steht; er lügt also in der be­zeich­ne­ten Wei­se un­be­wußt und nach hun­dert­jäh­ri­gen Ge­wöh­nun­gen – und kommt eben durch die­se Un­be­wußt­heit, eben durch dies Ver­ges­sen zum Ge­fühl der Wahr­heit. An dem Ge­fühl ver­pflich­tet zu sein, ein Ding als »roth«, ein an­de­res als »kalt«, ein drit­tes als »stumm« zu be­zeich­nen, er­wacht eine mo­ra­li­sche auf Wahr­heit sich be­zie­hen­de Re­gung: aus dem Ge­gen­satz des Lüg­ners, dem Nie­mand traut, den Alle aus­schlie­ßen, de­mons­trirt sich der Mensch das Ehr­wür­di­ge, Zu­trau­li­che und Nütz­li­che der Wahr­heit. Er stellt jetzt sein Han­deln als » ver­nünf­ti­ges« We­sen un­ter die Herr­schaft der Abstrak­tio­nen; er lei­det es nicht mehr, durch die plötz­li­chen Ein­drücke, durch die An­schau­un­gen fort­ge­ris­sen zu wer­den, er ver­all­ge­mei­nert alle die­se Ein­drücke erst zu ent­färb­te­ren, küh­le­ren Be­grif­fen, um an sie das Fahr­zeug sei­nes Le­bens und Han­delns an­zu­knüp­fen. Al­les, was den Men­schen ge­gen das Thier ab­hebt, hängt von die­ser Fä­hig­keit ab, die an­schau­li­chen Me­ta­phern zu ei­nem Sche­ma zu ver­flüch­ti­gen, also ein Bild in einen Be­griff auf­zu­lö­sen. Im Be­reich je­ner Sche­ma­ta näm­lich ist Et­was mög­lich, was nie­mals un­ter den an­schau­li­chen ers­ten Ein­drücken ge­lin­gen möch­te: eine py­ra­mi­da­le Ord­nung nach Kas­ten und Gra­den auf­zu­bau­en, eine neue Welt von Ge­set­zen, Pri­vi­le­gi­en, Un­ter­ord­nun­gen, Grenz­be­stim­mun­gen zu schaf­fen, die nun der an­dern an­schau­li­chen Welt der ers­ten Ein­drücke ge­gen­über­tritt, als das Fes­te­re, All­ge­mei­ne­re, Be­kann­te­re, Men­sch­li­che­re und da­her als das Re­gu­li­ren­de und Im­pe­ra­ti­vi­sche. Wäh­rend jede An­schau­ungs­me­ta­pher in­di­vi­du­ell und ohne ih­res Glei­chen ist und des­halb al­lem Ru­bri­ci­ren im­mer zu ent­flie­hen weiß, zeigt der große Bau der Be­grif­fe die star­re Re­gel­mä­ßig­keit ei­nes rö­mi­schen Co­lum­ba­ri­ums und ath­met in der Lo­gik jene Stren­ge und Küh­le aus, die der Ma­the­ma­tik zu ei­gen ist. Wer von die­ser Küh­le an­ge­haucht wird, wird es kaum glau­ben, daß auch der Be­griff, knö­chern und acht­e­ckig wie ein Wür­fel und ver­setz­bar wie je­ner, doch nur als das Re­si­du­um ei­ner Me­ta­pher üb­rig bleibt, und daß die Il­lu­si­on der künst­le­ri­schen Über­tra­gung ei­nes Ner­ven­rei­zes in Bil­der, wenn nicht die Mut­ter, so doch die Groß­mut­ter ei­nes je­den Be­griffs ist. In­ner­halb die­ses Wür­fel­spiels der Be­grif­fe heißt aber »Wahr­heit«, je­den Wür­fel so zu ge­brau­chen, wie er be­zeich­net ist, ge­nau sei­ne Au­gen zu zäh­len, rich­ti­ge Ru­bri­ken zu bil­den und nie ge­gen die Kas­ten­ord­nung und ge­gen die Rei­hen­fol­ge der Rang­klas­sen zu ver­sto­ßen. Wie die Rö­mer und Etrus­ker sich den Him­mel durch star­ke ma­the­ma­ti­sche Li­ni­en zer­schnit­ten und in einen sol­cher­ma­ßen ab­ge­grenz­ten Raum, als in ein templum, einen Gott bann­ten, so hat je­des Volk über sich einen sol­chen ma­the­ma­tisch zert­heil­ten Be­griffs­him­mel und ver­steht nun un­ter der For­de­rung der Wahr­heit, daß je­der Be­griffs­gott nur in sei­ner Sphä­re ge­sucht wer­de. Man darf hier den Men­schen wohl be­wun­dern als ein ge­wal­ti­ges Bau­ge­nie, dem auf be­weg­li­chen Fun­da­men­ten und gleich­sam auf flie­ßen­dem Was­ser das Auft­hür­men ei­nes un­end­lich com­pli­cir­ten Be­griffs­do­mes ge­lingt: – frei­lich, um auf sol­chen Fun­da­men­ten Halt zu fin­den, muß es ein Bau wie aus Spin­ne­fä­den sein, so zart, um von der Wel­le mit fort­ge­tra­gen, so fest, um nicht von je­dem Win­de aus­ein­an­der ge­bla­sen zu wer­den. Als Bau­ge­nie hebt sich sol­cher­ma­ßen der Mensch weit über die Bie­ne: die­se baut aus Wachs, das sie aus der Na­tur zu­sam­men­holt, er aus dem weit zar­te­ren Stof­fe der Be­grif­fe, die er erst aus sich fa­bri­ci­ren muß. Er ist hier sehr zu be­wun­dern – aber nur nicht we­gen sei­nes Trie­bes zur Wahr­heit, zum rei­nen Er­ken­nen der Din­ge. Wenn Je­mand ein Ding hin­ter ei­nem Bu­sche ver­steckt, es ebendort wie­der sucht und auch fin­det, so ist an die­sem Su­chen und Fin­den nicht viel zu rüh­men: so aber steht es mit dem Su­chen und Fin­den der »Wahr­heit« in­ner­halb des Ver­nunft-Be­zir­kes. Wenn ich die De­fi­ni­ti­on des Säu­gethiers ma­che und dann er­klä­re, nach Be­sich­ti­gung ei­nes Ka­meels: »sie­he, ein Säu­gethier«, so wird da­mit eine Wahr­heit zwar an’s Licht ge­bracht, aber sie ist von be­grenz­tem Wert­he, ich mei­ne, sie ist durch und durch an­thro­po­mor­phisch und ent­hält kei­nen ein­zi­gen Punkt, der »wahr an sich«, wirk­lich und all­ge­mein­gül­tig, ab­ge­sehn von dem Men­schen, wäre. Der For­scher nach sol­chen Wahr­hei­ten sucht im Grun­de nur die Me­ta­mor­pho­se der Welt in den Men­schen, er ringt nach ei­nem Ver­ste­hen der Welt als ei­nes men­schen­ar­ti­gen Din­ges und er­kämpft sich bes­ten Fal­les das Ge­fühl ei­ner As­si­mi­la­ti­on. Ähn­lich wie der Astro­log die


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