Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
Читать онлайн книгу.mir, an dieser Stelle noch einige Sätze aus einer ungedruckten Abhandlung mitzutheilen, welche zum Mindesten über meinen Ernst in dieser Sache keinen Zweifel lassen. Jene Abhandlung ist betitelt: Was Wagner uns kostet.
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Ein dunkles Gefühl hierüber ist auch heute noch vorhanden. Auch der Erfolg Wagner’s, sein Sieg, riss dies Gefühl nicht in der Wurzel aus. Aber ehemals war es stark, war es furchtbar, war es wie ein düsterer Hass – fast drei Viertheile von Wagner’s Leben hindurch. Jener Widerstand, den er bei uns Deutschen fand, kann nicht hoch genug geschätzt und zu Ehren gebracht werden. Man wehrte sich gegen ihn wie gegen eine Krankheit, nicht mit Gründen – man widerlegt keine Krankheit sondern mit Hemmung, Misstrauen, Verdrossenheit, Ekel, mit einem finsteren Ernste, als ob in ihm eine grosse Gefahr herumschliche. Die Herren Aesthetiker haben sich blossgestellt, als sie, aus drei Schulen der deutschen Philosophie heraus, Wagner’s Principien mit "wenn" und "denn" einen absurden Krieg machten – was lag ihm an Principien, selbst den eigenen! – Die Deutschen selbst haben genug Vernunft im Instinkt gehabt, um hier sich jedes "wenn" und "denn" zu verbieten. Ein Instinkt ist geschwächt, wenn er sich rationalisirt: denn damit, dass er sich rationalisirt, schwächt er sich. Wenn es Anzeichen dafür giebt, dass, trotz dem Gesammt-Charakter der europäischen décadence, noch ein Grad Gesundheit, noch eine Instinkt-Witterung für Schädliches und Gefahrdrohendes im deutschen Wesen wohnt, so möchte ich unter ihnen am wenigsten diesen dumpfen Widerstand gegen Wagner unterschätzt wissen. Er macht uns Ehre, er erlaubt selbst zu hoffen: so viel Gesundheit hätte Frankreich nicht mehr aufzuwenden. Die Deutschen, die Verzögerer par excellence in der Geschichte, sind heute das zurückgebliebenste Culturvolk Europa’s: dies hat seinen Vortheil, – eben damit sind sie relativ das jüngste.
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Die Deutschen haben eine Art Furcht vor ihm vor ganz Kurzem erst verlernt, – die Lust, ihn loszusein, kam ihnen bei jeder Gelegenheit.1 – Erinnert man sich eines curiosen Umstandes noch, bei dem, ganz zuletzt, ganz unerwartet, jenes alte Gefühl wieder zum Vorschein kam? Es geschah beim Begräbnisse Wagner’s, dass der erste deutsche Wagner-Verein, der Münchener, an seinem Grabe einen Kranz niederlegte, dessen Inschrift sofort berühmt wurde. "Erlösung dem Erlöser!" – lautete sie. Jedermann bewunderte die hohe Inspiration, die diese Inschrift diktirt hatte, Jedermann einen Geschmack, auf den die Anhänger Wagner’s ein Vorrecht haben; Viele aber auch (es war seltsam genug!) machten an ihr dieselbe kleine Correctur: "Erlösung vom Erlöser!" – Man athmete auf. –
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Messen wir sie an ihrer Wirkung auf die Cultur. Wen hat eigentlich seine Bewegung in den Vordergrund gebracht? Was hat sie immer mehr in’s Grosse gezüchtet? – Vor Allem die Anmaassung des Laien, des Kunst-Idioten. Das organisirt jetzt Vereine, das will seinen "Geschmack" durchsetzen, das möchte selbst in rebus musicis et musicantibus den Richter machen. Zuzweit: eine immer grössere Gleichgültigkeit gegen jede strenge, vornehme, gewissenhafte Schulung im Dienste der Kunst; an ihre Stelle gerückt den Glauben an das Genie, auf deutsch: den frechen Dilettantismus (– die Formel dafür steht in den Meistersingern). Zudritt und zuschlimmst: die Theatrokratie –, den Aberwitz eines Glaubens an den Vorrang des Theaters, an ein Recht auf Herrschaft des Theaters über die Künste, über die Kunst … Aber man soll es den Wagnerianern hundert Mal in’s Gesicht sagen, was das Theater ist: immer nur ein Unterhalb der Kunst, immer nur etwas Zweites, etwas Vergröbertes, etwas für die Massen Zurechtgebogenes, Zurechtgelogenes! Daran hat auch Wagner Nichts verändert: Bayreuth ist grosse Oper – und nicht einmal gute Oper … Das Theater ist eine Form der Demolatrie in Sachen des Geschmacks, das Theater ist ein Massen-Aufstand, ein Plebiscit gegen den guten Geschmack … Dies eben beweist der Fall Wagner: er gewann die Menge, – er verdarb den Geschmack, er verdarb selbst für die Oper unsren Geschmack! –
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Was macht sie aus dem Geist? befreit Wagner den Geist? – Ihm eignet jede Zweideutigkeit, jeder Doppelsinn, Alles überhaupt, was die Ungewissen überredet, ohne ihnen zum Bewusstsein zu bringen, wofür sie überredet sind. Damit ist Wagner ein Verführer grossen Stils. Es giebt nichts Müdes, nichts Abgelebtes, nichts Lebensgefährliches und Weltverleumderisches in Dingen des Geistes, das von seiner Kunst nicht heimlich in Schutz genommen würde – es ist der schwärzeste Obskurantismus, den er in die Lichthüllen des Ideals verbirgt. Er schmeichelt jedem nihilistischen (– buddhistischen) Instinkte und verkleidet ihn in Musik, er schmeichelt jeder Christlichkeit, jeder religiösen Ausdrucksform der décadence. Man mache seine Ohren auf: Alles, was je auf dem Boden des verarmten Lebens aufgewachsen ist, die ganze Falschmünzerei der Transscendenz und des Jenseits, hat in Wagner’s Kunst ihren sublimsten Fürsprecher – nicht in Formeln: Wagner ist zu klug für Formeln – sondern in einer Überredung der Sinnlichkeit, die ihrerseits wieder den Geist mürbe und müde macht. Die Musik als Circe … Sein letztes Werk ist hierin sein grösstes Meisterstück. Der Parsifal wird in der Kunst der Verführung ewig seinen Rang behalten, als der Geniestreich der Verführung … Ich bewundere dies Werk, ich möchte es selbst gemacht haben; in Ermangelung davon verstehe ich es … Wagner war nie besser inspirirt als am Ende. Das Raffinement im Bündniss von Schönheit und Krankheit geht hier so weit, dass es über Wagner’s frühere Kunst gleichsam Schatten legt: – sie erscheint zu hell, zu gesund. Versteht ihr das? Die Gesundheit, die Helligkeit als Schatten wirkend? als Einwand beinahe? … So weit sind wir schon reine Thoren … Niemals gab es einen grösseren Meister in dumpfen hieratischen Wohlgerüchen, – nie lebte ein gleicher Kenner alles kleinen Unendlichen, alles Zitternden und Überschwänglichen, aller Femininismen aus dem Idiotikon des Glücks! – Trinkt nur, meine Freunde, die Philtren dieser Kunst! Ihr findet nirgends eine angenehmere Art, euren Geist zu entnerven, eure Männlichkeit unter einem Rosengebüsche zu vergessen … Ah dieser alte Zauberer! Dieser Klingsor aller Klingsore! Wie er uns damit den Krieg macht! uns, den freien Geistern! Wie er jeder Feigheit der modernen Seele mit Zaubermädchen-Tönen zu Willen redet! – Es gab nie einen solchen Todhass auf die Erkenntniss! – Man muss Cyniker sein, um hier nicht verführt zu werden, man muss beissen können, um hier nicht anzubeten. Wohlan, alter Verführer! Der Cyniker warnt dich – cave canem …
Die Anhängerschaft an Wagner zahlt sich theuer. Ich beobachte die Jünglinge, die lange seiner Infektion ausgesetzt waren. Die nächste, relativ unschuldige Wirkung ist die <Verderbniss> des Geschmacks. Wagner wirkt wie ein fortgesetzter Gebrauch von Alkohol.