Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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re­den wir fünf Wor­te un­ter uns. Es ist leich­ter, schlech­te Mu­sik zu ma­chen als gute. Wie? wenn es aus­ser­dem auch noch vort­heil­haf­ter wäre? wir­kungs­vol­ler, über­re­den­der, be­geis­tern­der, zu­ver­läs­si­ger? wag­ne­ri­scher? … Pulchrum est pau­corum ho­mi­num. Schlimm ge­nug! Wir ver­stehn La­tein, wir ver­stehn viel­leicht auch un­sern Vort­heil. Das Schö­ne hat sei­nen Ha­ken: wir wis­sen das. Wozu also Schön­heit? Wa­rum nicht lie­ber das Gros­se, das Er­hab­ne, das Gi­gan­ti­sche, Das, was die Mas­sen be­wegt? – Und noch­mals: es ist leich­ter, gi­gan­tisch zu sein als schön; wir wis­sen das …

      Wir ken­nen die Mas­sen, wir ken­nen das Thea­ter. Das Bes­te, was dar­in sitzt, deut­sche Jüng­lin­ge, ge­hörn­te Sieg­frie­de und and­re Wa­gne­ria­ner, be­darf des Er­ha­be­nen, des Tie­fen, des Über­wäl­ti­gen­den. So viel ver­mö­gen wir noch. Und das And­re, das auch noch dar­in sitzt, die Bil­dungs-Cre­tins, die klei­nen Bla­sir­ten, die Ewig-Weib­li­chen, die Glück­lich-Ver­dau­en­den, kurz das Volk – be­darf eben­falls des Er­ha­be­nen, des Tie­fen, des Über­wäl­ti­gen­den. Das hat Al­les ei­ner­lei Lo­gik. "Wer uns um­wirft, der ist stark; wer uns er­hebt, der ist gött­lich; wer uns ah­nen macht, der ist tief." – Ent­sch­lies­sen wir uns, mei­ne Herrn Mu­si­ker: wir wol­len sie um­wer­fen, wir wol­len sie er­he­ben, wir wol­len sie ah­nen ma­chen. So viel ver­mö­gen wir noch.

      Was das Ah­nen-ma­chen be­trifft: so nimmt hier un­ser Be­griff "Stil" sei­nen Aus­gangs­punkt. Vor Al­lem kein Ge­dan­ke! Nichts ist com­pro­mit­ti­ren­der als ein Ge­dan­ke! Son­dern der Zu­stand vor dem Ge­dan­ken, das Ge­dräng der noch nicht ge­bo­re­nen Ge­dan­ken, das Ver­spre­chen zu­künf­ti­ger Ge­dan­ken, die Welt, wie sie war, be­vor Gott sie schuf, – eine Re­cru­de­scenz des Cha­os … Das Cha­os macht ah­nen …

      In der Spra­che des Meis­ters ge­re­det: Unend­lich­keit, aber ohne Me­lo­die.

      Was, zu­zweit, das Um­wer­fen an­geht, so ge­hört dies zum Theil schon in die Phy­sio­lo­gie. Stu­di­ren wir vor Al­lem die In­stru­men­te. Ei­ni­ge von ih­nen über­re­den selbst noch die Ein­ge­wei­de (– sie öff­nen die Tho­re, mit Hän­del zu re­den), and­re be­zau­bern das Rücken­mark. Die Far­be des Klangs ent­schei­det hier; was er­klingt, ist bei­na­he gleich­gül­tig. Raf­fi­ni­ren wir in die­se in Punk­te! Wozu uns sonst ver­schwen­den? Sei­en wir im Klang cha­rak­te­ris­tisch bis zur Narr­heit! Man rech­net es un­serm Geis­te zu, wenn wir mit Klän­gen viel zu rat­hen ge­ben! Agaçi­ren wir die Ner­ven, schla­gen wir sie todt, hand­ha­ben wir Blitz und Don­ner, – das wirft um …

      Vor Al­lem aber wirft die Lei­den­schaft um. – Ver­ste­hen wir uns über die Lei­den­schaft. Nichts ist wohl­fei­ler als die Lei­den­schaft! Man kann al­ler Tu­gen­den des Con­tra­punk­tes ent­rat­hen, man braucht Nichts ge­lernt zu ha­ben, – die Lei­den­schaft kann man im­mer! Die Schön­heit ist schwie­rig: hü­ten wir uns vor der Schön­heit! … Und gar die Me­lo­die! Ver­leum­den wir, mei­ne Freun­de, ver­leum­den wir, wenn an­ders es uns ernst ist mit dem Idea­le, ver­leum­den wir die Me­lo­die! Nichts ist ge­fähr­li­cher als eine schö­ne Me­lo­die! Nichts verdirbt si­che­rer den Ge­schmack! Wir sind ver­lo­ren, mei­ne Freun­de, wenn man wie­der schö­ne Me­lo­di­en liebt! …

      Grund­satz: die Me­lo­die ist un­mo­ra­lisch. Be­weis: Pa­le­stri­na. Nutz­an­wen­dung: Par­si­fal. Der Man­gel an Me­lo­die hei­ligt selbst …

      Und dies ist die De­fi­ni­ti­on der Lei­den­schaft. Lei­den­schaft – oder die Gym­nas­tik des Häss­li­chen auf dem Sei­le der En­har­mo­nik. – Wa­gen wir es, mei­ne Freun­de, häss­lich zu sein! Wa­gner hat es ge­wagt! Wäl­zen wir un­ver­zagt den Schlamm der wid­rigs­ten Har­mo­ni­en vor uns her! Scho­nen wir uns­re Hän­de nicht! Erst da­mit wer­den wir na­tür­lich…

      Ei­nen letz­ten Rath! Vi­el­leicht fasst er Al­les in Eins. – Sei­en wir Idea­lis­ten! – Dies ist, wenn nicht das Klügs­te, so doch das Wei­ses­te, was wir thun kön­nen. Um die Men­schen zu er­he­ben, muss man selbst er­ha­ben sein. Wan­deln wir über Wol­ken, ha­ran­gui­ren wir das Unend­li­che, stel­len wir die gros­sen Sym­bo­le um uns her­um! Sur­sum! Bum­bum! – es giebt kei­nen bes­se­ren Rath. Der "ge­ho­be­ne Bu­sen" sei un­ser Ar­gu­ment, das "schö­ne Ge­fühl" un­ser Für­spre­cher. Die Tu­gend be­hält Recht noch ge­gen den Con­tra­punkt. "Wer uns ver­bes­sert, wie soll­te der nicht selbst gut sein?" so hat die Mensch­heit im­mer ge­schlos­sen. Ver­bes­sern wir also die Mensch­heit! – da­mit wird man gut (da­mit wird man selbst "Klas­si­ker": – Schil­ler wur­de "Klas­si­ker"). Das Ha­schen nach nie­de­rem Sin­nes­reiz, nach der so­ge­nann­ten Schön­heit hat den Ita­liä­ner ent­nervt: blei­ben wir deutsch! Selbst Mo­zar­t’s Ver­hält­niss zur Mu­sik – Wa­gner hat es uns zum Trost ge­sagt! – war im Grun­de fri­vol … Las­sen wir nie­mals zu, dass die Mu­sik "zur Er­ho­lung die­ne"; dass sie "er­hei­te­re"; dass sie "Ver­gnü­gen ma­che". Ma­chen wir nie Ver­gnü­gen! – wir sind ver­lo­ren, wenn man von der Kunst wie­der he­do­nis­tisch denkt … Das ist schlech­tes acht­zehn­tes Jahr­hun­dert … Nichts da­ge­gen dürf­te räth­li­cher sein, bei Sei­te ge­sagt, als eine Do­sis – Mu­cker thum, sit ve­nia ver­bo. Das giebt Wür­de. – Und wäh­len wir die Stun­de, wo es sich schickt, schwarz zu bli­cken, öf­fent­lich zu seuf­zen, christ­lich zu seuf­zen, das gros­se christ­li­che Mit­lei­den zur Schau zu stel­len. Der Mensch ist ver­derbt: wer er­löst ihn? "was er­löst ihn?" – Ant­wor­ten wir nicht. Sei­en wir vor­sich­tig. Be­kämp­fen wir un­sern Ehr­geiz, wel­cher Re­li­gio­nen stif­ten möch­te. Aber Nie­mand darf zwei­feln, dass wir ihn er­lö­sen, dass uns­re Mu­sik al­lein er­löst … (Wa­gner’s Auf­satz "Re­li­gi­on und Kunst".)

      Ge­nug! Ge­nug! Man wird, fürch­te ich, zu deut­lich nur un­ter mei­nen hei­tern Stri­chen die si­nis­tre Wirk­lich­keit wie­der­er­kannt ha­ben – das Bild ei­nes Ver­falls der Kunst, ei­nes Ver­falls auch der Künst­ler. Der letz­te­re, ein Cha­rak­ter-Ver­fall, käme viel­leicht mit die­ser For­mel zu ei­nem vor­läu­fi­gen Aus­druck: der Mu­si­ker wird jetzt zum Schau­spie­ler, sei­ne Kunst ent­wi­ckelt sich im­mer mehr als ein Ta­lent zu lü­gen. Ich wer­de eine Ge­le­gen­heit ha­ben (in ei­nem Ca­pi­tel mei­nes Haupt­werks, das den Ti­tel führt "Zur Phy­sio­lo­gie der Kunst"), des Nä­he­ren zu zei­gen, wie die­se Ge­sammt­ver­wand­lung der Kunst in’s Schau­spie­le­ri­sche eben so be­stimmt ein Aus­druck phy­sio­lo­gi­scher De­ge­ne­re­scenz (ge­nau­er, eine Form des Hys­te­ris­mus) ist, wie jede ein­zel­ne Ver­derb­niss und Ge­brech­lich­keit der durch Wa­gner in­au­gur­ir­ten Kunst: zum Bei­spiel die Un­ru­he ih­rer Op­tik, die dazu nö­thigt, in je­dem Au­gen­blick die Stel­lung vor ihr zu wech­seln. Man ver­steht Nichts von Wa­gner, so lan­ge man in ihm nur ein Na­tur­spiel, eine Will­kür und Lau­ne, eine Zu­fäl­lig­keit sieht. Er war kein "lücken­haf­tes", kein "ver­un­glück­tes", kein "con­tra­dik­to­ri­sches" Ge­nie, wie man wohl ge­sagt hat. Wa­gner war et­was Voll­komm­nes, ein ty­pi­scher dé­ca­dent, bei dem je­der "freie Wil­le" fehlt, je­der Zug No­thwen­dig­keit hat. Wenn ir­gend Et­was in­ter­essant ist an Wa­gner, so ist es die Lo­gik, mit der ein phy­sio­lo­gi­scher Miss­stand als Prak­tik und Pro­ze­dur, als Neue­rung in den Prin­ci­pi­en, als Kri­sis des Ge­schmacks Schluss für Schluss, Schritt für Schritt macht.

      Ich hal­te mich dies Mal nur bei der Fra­ge des Stils auf. – Wo­mit kenn­zeich­net sich jede lit­te­ra­ri­sche dé­ca­dence? Da­mit, dass das Le­ben nicht mehr im Gan­zen wohnt.


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