Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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      Bei Wa­gner steht im An­fang die Hal­lu­ci­na­ti­on: nicht von Tö­nen, son­dern von Ge­bär­den. Zu ih­nen sucht er erst die Ton-Se­mio­tik. Will man ihn be­wun­dern, so sehe man ihn hier an der Ar­beit: wie er hier trennt, wie er klei­ne Ein­hei­ten ge­winnt, wie er die­se be­lebt, her­aus­treibt, sicht­bar macht. Aber dar­an er­schöpft sich sei­ne Kraft: der Rest taugt Nichts. Wie arm­se­lig, wie ver­le­gen, wie lai­en­haft ist sei­ne Art zu "ent­wi­ckeln", sein Ver­such, Das, was nicht aus­ein­an­der ge­wach­sen ist, we­nigs­tens durch­ein­an­der zu ste­cken! Sei­ne Ma­nie­ren da­bei er­in­nern an die auch sonst für Wa­gner’s Stil her­an­zieh­ba­ren fréres de Gon­court: man hat eine Art Er­bar­men mit so­viel Noth­stand. Dass Wa­gner sei­ne Un­fä­hig­keit zum or­ga­ni­schen Ge­stal­ten in ein Prin­cip ver­klei­det hat, dass er einen dra­ma­ti­schen Stil" sta­tu­irt, wo wir bloss sein Un­ver­mö­gen zum Stil über­haupt sta­tu­i­ren, ent­spricht ei­ner küh­nen Ge­wohn­heit, die Wa­gnern durch­’s gan­ze Le­ben be­glei­tet hat: er setzt ein Prin­cip an, wo ihm ein Ver­mö­gen fehlt (– sehr ver­schie­den hier­in, an­bei ge­sagt, vom al­ten Kant, der eine and­re Kühn­heit lieb­te: näm­lich über­all, wo ihm ein Prin­cip fehl­te, ein "Ver­mö­gen" da­für im Men­schen an­zu­set­zen … ). Noch­mals ge­sagt: be­wun­de­rungs­wür­dig, lie­bens­wür­dig ist Wa­gner nur in der Er­fin­dung des Kleins­ten, in der Aus­dich­tung des De­tails, – man hat al­les Recht auf sei­ner Sei­te, ihn hier als einen Meis­ter ers­ten Ran­ges zu pro­kla­mi­ren, als un­sern gröss­ten Mi­nia­tu­ris­ten der Mu­sik, der in den kleins­ten Raum eine Unend­lich­keit von Sinn und Süs­se drängt. Sein Reicht­hum an Far­ben, an Halb­schat­ten, an Heim­lich­kei­ten ab­ster­ben­den Lichts ver­wöhnt der­ge­stalt, dass Ei­nem hin­ter­drein fast alle an­dern Mu­si­ker zu ro­bust vor­kom­men. – Will man mir glau­ben, so hat man den höchs­ten Be­griff Wa­gner nicht aus dem zu ent­neh­men, was heu­te von ihm ge­fällt. Das ist zur Über­re­dung von Mas­sen er­fun­den, da­vor springt Un­ser­eins wie vor ei­nem all­zu­fre­chen Affres­co zu­rück. Was geht uns die agaçan­te Bru­ta­li­tät der Tann­häu­ser-Ou­ver­tü­re an? Oder der Cir­cus Wal­kü­re? Al­les, was von Wa­gner’s Mu­sik auch ab­seits vom Thea­ter po­pu­lär ge­wor­den ist, ist zwei­fel­haf­ten Ge­schmacks und verdirbt den Ge­schmack. Der Tann­häu­ser-Marsch scheint mir der Bie­der­män­ne­rei ver­däch­tig; die Ou­ver­tü­re zum flie­gen­den Hol­län­der ist ein Lärm um Nichts; das Lo­hen­grin-Vor­spiel gab das ers­te, nur zu ver­fäng­li­che, nur zu gut ge­rat­he­ne Bei­spiel da­für, wie man auch mit Mu­sik hyp­no­ti­sirt (– ich mag alle Mu­sik nicht, de­ren Ehr­geiz nicht wei­ter geht als die Ner­ven zu über­re­den). Aber vom Ma­gnéti­seur und Affres­co-Ma­ler Wa­gner ab­ge­sehn giebt es noch einen Wa­gner, der klei­ne Kost­bar­kei­ten bei Sei­te legt: un­sern gröss­ten Me­lan­cho­li­ker der Mu­sik, voll von Bli­cken, Zärt­lich­kei­ten und Trost­wor­ten, die ihm Kei­ner vor­weg­ge­nom­men hat, den Meis­ter in Tö­nen ei­nes schwer­müthi­gen und schläf­ri­gen Glücks … Ein Le­xi­kon der in­tims­ten Wor­te Wa­gner’s, lau­ter kur­ze Sa­chen von fünf bis fünf­zehn Tak­ten, lau­ter Mu­sik, die Nie­mand kennt … Wa­gner hat­te die Tu­gend der dé­ca­dents, das Mit­lei­den – – –

      – Sehr gut! Aber wie kann man sei­nen Ge­schmack an die­sen dé­ca­dent ver­lie­ren, wenn man nicht zu­fäl­lig ein Mu­si­ker, wenn man nicht zu­fäl­lig selbst ein dé­ca­dent ist?" – Um­ge­kehrt! Wie kann man’s nicht! Ver­su­chen Sie’s doch! – Sie wis­sen nicht, wer Wa­gner ist: ein ganz gros­ser Schau­spie­ler! Giebt es über­haupt eine tiefe­re, eine schwe­re­re Wir­kung im Thea­ter? Se­hen Sie doch die­se Jüng­lin­ge – er­starrt, blass, athem­los! Das sind Wa­gne­ria­ner: das ver­steht Nichts von Mu­sik, – und trotz­dem wird Wa­gner über sie Herr … Wa­gner’s Kunst drückt mit hun­dert At­mo­sphä­ren: bücken Sie sich nur, man kann nicht an­ders … Der Schau­spie­ler Wa­gner ist ein Ty­rann, sein Pa­thos wirft je­den Ge­schmack, je­den Wi­der­stand über den Hau­fen. – Wer hat die­se Über­zeu­gungs­kraft der Ge­bär­de, wer sieht so be­stimmt, so zu al­ler­erst die Ge­bär­de! Dies Athem-An­hal­ten des Wa­gne­ri­schen Pa­thos, dies Nicht-mehr-los­las­sen-Wol­len ei­nes ex­tre­men Ge­fühls, die­se Schre­cken ein­flös­sen­de Län­ge in Zu­stän­den, wo der Au­gen­blick schon er­wür­gen will! – –

      War Wa­gner über­haupt ein Mu­si­ker? je­den­falls war er et­was An­de­res mehr: näm­lich ein un­ver­gleich­li­cher Histrio, der gröss­te Mime, das er­staun­lichs­te Thea­ter-Ge­nie, das die Deut­schen ge­habt ha­ben, un­ser Sce­ni­ker par ex­cel­lence. Er ge­hört wo an­ders­hin als in die Ge­schich­te der Mu­sik: mit de­ren gros­sen Ech­ten soll man ihn nicht ver­wech­seln. Wa­gner und Beetho­ven – das ist eine Blas­phe­mie – und zu­letzt ein Un­recht selbst ge­gen Wa­gner … Er war auch als Mu­si­ker nur Das, was er über­haupt war: er wur­de Mu­si­ker, er wur­de Dich­ter, weil der Ty­rann in ihm, sein Schau­spie­ler-Ge­nie ihn dazu zwang. Man er­räth Nichts von Wa­gner, so lan­ge man nicht sei­nen do­mi­ni­ren­den In­stinkt er­rieth.

      Wa­gner war nicht Mu­si­ker von In­stinkt. Dies be­wies er da­mit, dass er alle Ge­setz­lich­keit und, be­stimm­ter ge­re­det, al­len Stil in der Mu­sik preis­gab, um aus ihr zu ma­chen, was er nö­thig hat­te, eine Thea­ter-Rhe­to­rik, ein Mit­tel des Aus­drucks, der Ge­bär­den-Ver­stär­kung, der Sug­ge­s­ti­on, des Psy­cho­lo­gisch-Pit­to­res­ken. Wa­gner dürf­te uns hier als Er­fin­der und Neue­rer ers­ten Ran­ges gel­ten – er hat das Sprach­ver­mö­gen der Mu­sik in’s Uner­mess­li­che ver­mehrt –: er ist der Vic­tor Hugo der Mu­sik als Spra­che. Im­mer vor­aus­ge­setzt, dass man zu­erst gel­ten lässt, Mu­sik dür­fe un­ter Um­stän­den nicht Mu­sik, son­dern Spra­che, son­dern Werk­zeug, son­dern an­cil­la dra­ma­tur­gi­ca sein. Wa­gner’s Mu­sik, nicht vom Thea­ter-Ge­schma­cke, ei­nem sehr to­le­ran­ten Ge­schma­cke, in Schutz ge­nom­men, ist ein­fach schlech­te Mu­sik, die schlech­tes­te über­haupt, die viel­leicht ge­macht wor­den ist. Wenn ein Mu­si­ker nicht mehr bis drei zäh­len kann, wird er "dra­ma­tisch", wird er "Wa­gne­risch" …

      Wa­gner hat bei­na­he ent­deckt, wel­che Ma­gie selbst noch mit ei­ner auf­ge­lös­ten und gleich­sam ele­men­ta­risch ge­mach­ten Mu­sik aus­ge­übt wer­den kann. Sein Be­wusst­sein da­von geht bis in’s Un­heim­li­che, wie sein In­stinkt, die hö­he­re Ge­setz­lich­keit, den Stil gar nicht nö­thig zu ha­ben. Das Ele­men­ta­ri­sche ge­nügt – Klang, Be­we­gung, Far­be, kurz die Sinn­lich­keit der Mu­sik. Wa­gner rech­net nie als Mu­si­ker, von ir­gend ei­nem Mu­si­ker-Ge­wis­sen aus: er will die Wir­kung, er will Nichts als die Wir­kung. Und er kennt das, wor­auf er zu wir­ken hat! – Er hat dar­in die Un­be­denk­lich­keit, die Schil­ler hat­te, die je­der Thea­ter­mensch hat, er hat auch des­sen Ver­ach­tung der Welt, die er sich zu Füs­sen legt! … Man ist Schau­spie­ler da­mit, dass man Eine Ein­sicht vor dem Rest der Men­schen vor­aus hat: was als wahr wir­ken soll, darf nicht wahr sein. Der Satz ist von Tal­ma for­mu­lirt: er ent­hält die gan­ze Psy­cho­lo­gie des Schau­spie­lers, er ent­hält – zwei­feln wir nicht dar­an! – auch des­sen Moral. Wa­gner’s Mu­sik ist nie­mals wahr.

      – Aber man hält sie da­für: und so ist es in Ord­nung. –

      So lang man noch kind­lich ist und Wa­gne­ria­ner dazu, hält man Wa­gner selbst für reich, selbst für einen Aus­bund von Ver­schwen­der, selbst für einen Gross­grund­be­sit­zer im Reich des Klangs. Man be­wun­dert an ihm, was jun­ge Fran­zo­sen an Vic­tor


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