Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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wäre, wer weiss, wie ich’s nen­nen wür­de! Vi­el­leicht Selb­st­über­win­dung. – Aber der Phi­lo­soph liebt die Mora­lis­ten nicht … er liebt auch die schö­nen Wor­te nicht….

      Was ver­langt ein Phi­lo­soph am ers­ten und letz­ten von sich? Sei­ne Zeit in sich zu über­win­den, "zeit­los" zu wer­den. Wo­mit also hat er sei­nen här­tes­ten Strauss zu be­stehn? Mit dem, worin ge­ra­de er das Kind sei­ner Zeit ist. Wohl­an! Ich bin so gut wie Wa­gner das Kind die­ser Zeit, will sa­gen ein dé­ca­dent: nur dass ich das be­griff, nur dass ich mich da­ge­gen wehr­te. Der Phi­lo­soph in mir wehr­te sich da­ge­gen.

      Was mich am tiefs­ten be­schäf­tigt hat, das ist in der That das Pro­blem der dé­ca­dence, – ich habe Grün­de dazu ge­habt. "Gut und Böse" ist nur eine Spiel­art je­nes Pro­blems. Hat man sich für die Ab­zei­chen des Nie­der­gangs ein Auge ge­macht, so ver­steht man auch die Moral, – man ver­steht, was sich un­ter ih­ren hei­ligs­ten Na­men und Wert­h­for­meln ver­steckt: das ver­arm­te Le­ben, der Wil­le zum Ende, die gros­se Mü­dig­keit. Moral ver­neint das Le­ben … Zu ei­ner sol­chen Auf­ga­be war mir eine Selbst­dis­ci­plin von Nö­then: – Par­tei zu neh­men ge­gen al­les Kran­ke an mir, ein­ge­rech­net Wa­gner, ein­ge­rech­net Scho­pen­hau­er, ein­ge­rech­net die gan­ze mo­der­ne "Men­sch­lich­keit". – Eine tie­fe Ent­frem­dung, Er­käl­tung, Er­nüch­te­rung ge­gen al­les Zeit­li­che, Zeit­ge­mäs­se: und als höchs­ten Wunsch das Auge Za­ra­thustra’s, ein Auge, das die gan­ze That­sa­che Mensch aus un­ge­heu­rer Fer­ne über­sieht, – un­ter sich sieht … Ei­nem sol­chen Zie­le – wel­ches Op­fer wäre ihm nicht ge­mä­ss? wel­che "Selbst-Über­win­dung"! wel­che "Selbst-Ver­leug­nung"!

      Mein gröss­tes Er­leb­niss war eine Ge­ne­sung. Wa­gner ge­hört bloss zu mei­nen Krank­hei­ten.

      Nicht dass ich ge­gen die­se Krank­heit un­dank­bar sein möch­te. Wenn ich mit die­ser Schrift den Satz auf­recht hal­te, dass Wa­gner schäd­lich ist, so will ich nicht we­ni­ger auf­recht hal­ten, wem er trotz­dem un­ent­behr­lich ist – dem Phi­lo­so­phen. Sonst kann man viel­leicht ohne Wa­gner aus­kom­men: dem Phi­lo­so­phen aber steht es nicht frei, Wa­gner’s zu ent­rat­hen. Er hat das schlech­te Ge­wis­sen sei­ner Zeit zu sein, – dazu muss er de­ren bes­tes Wis­sen ha­ben. Aber wo fän­de er für das La­by­rinth der mo­der­nen See­le einen ein­ge­weih­teren Füh­rer, einen be­red­te­ren See­len­kün­di­ger als Wa­gner? Durch Wa­gner re­det die Mo­der­ni­tät ihre in­tims­te Spra­che: sie ver­birgt we­der ihr Gu­tes, noch ihr Bö­ses, sie hat alle Scham vor sich ver­lernt. Und um­ge­kehrt: man hat bei­na­he eine Abrech­nung über den Werth des Mo­der­nen ge­macht, wenn man über Gut und Böse bei Wa­gner mit sich im Kla­ren ist. – Ich ver­ste­he es voll­kom­men, wenn heut ein Mu­si­ker sagt "ich has­se Wa­gner, aber ich hal­te kei­ne and­re Mu­sik mehr aus". Ich wür­de aber auch einen Phi­lo­so­phen ver­stehn, der er­klär­te: "Wa­gner re­sü­mirt die Mo­der­ni­tät. Es hilft nichts, man muss erst Wa­gne­ria­ner sein … "

      Tu­ri­ner Brief vom Mai 1888.

      Ri­den­do di­ce­re se­ver­um…

      Ich hör­te ges­tern – wer­den Sie es glau­ben? – zum zwan­zigs­ten Male Bi­zet’s Meis­ter­stück. Ich harr­te wie­der mit ei­ner sanf­ten An­dacht aus, ich lief wie­der nicht da­von. Die­ser Sieg über mei­ne Un­ge­duld über­rascht mich. Wie ein sol­ches Werk ver­voll­komm­net! Man wird selbst da­bei zum "Meis­ter­stück". – Und wirk­lich schi­en ich mir je­des Mal, dass ich Car­men hör­te, mehr Phi­lo­soph, ein bes­se­rer Phi­lo­soph, als ich sonst mir schei­ne: so lang­müthig ge­wor­den, so glück­lich, so in­disch, so sess­haft … Fünf Stun­den Sit­zen: ers­te Etap­pe der Hei­lig­keit! – Darf ich sa­gen, dass Bi­zet’s Or­che­s­ter­klang fast der ein­zi­ge ist, den ich noch aus­hal­te? Je­ner an­de­re Or­che­s­ter­klang, der jetzt oben­auf ist, der Wa­gne­ri­sche, bru­tal, künst­lich und "un­schul­dig" zu­gleich und da­mit zu den drei Sin­nen der mo­der­nen See­le auf Ein­mal re­dend, – wie nacht­hei­lig ist mir die­ser Wa­gne­ri­sche Or­che­s­ter­klang! Ich heis­se ihn Sci­roc­co. Ein ver­driess­li­cher Sch­weiss bricht an mir aus. Mit mei­nem gu­ten Wet­ter ist es vor­bei.

      Die­se Mu­sik scheint mir voll­kom­men. Sie kommt leicht, bieg­sam, mit Höf­lich­keit da­her. Sie ist lie­bens­wür­dig, sie schwitzt nicht. "Das Gute ist leicht, al­les Gött­li­che läuft auf zar­ten Füs­sen": ers­ter Satz mei­ner Aes­the­tik. Die­se Mu­sik ist böse, raf­fi­nirt, fa­ta­lis­tisch: sie bleibt da­bei po­pu­lär – sie hat das Raf­fi­ne­ment ei­ner Ras­se, nicht ei­nes Ein­zel­nen. Sie ist reich. Sie ist prä­cis. Sie baut, or­ga­ni­sirt, wird fer­tig: da­mit macht sie den Ge­gen­satz zum Po­ly­pen in der Mu­sik, zur "un­end­li­chen Me­lo­die". Hat man je schmerz­haf­te­re tra­gi­sche Ac­cen­te auf der Büh­ne ge­hört? Und wie wer­den die­sel­ben er­reicht! Ohne Gri­mas­se! Ohne Falsch­mün­ze­rei! Ohne die Lüge des gros­sen Stils! – End­lich: die­se Mu­sik nimmt den Zu­hö­rer als in­tel­li­gent, selbst als Mu­si­ker, – sie ist auch da­mit das Ge­gen­stück zu Wa­gner, der, was im­mer sonst, je­den­falls das un­höf­lichs­te Ge­nie der Welt war (Wa­gner nimmt uns gleich­sam als ob – –, er sagt Ein Ding so oft, bis man ver­zwei­felt, – bis man’s glaubt).

      Und noch­mals: ich wer­de ein bes­se­rer Mensch, wenn mir die­ser Bi­zet zu­re­det. Auch ein bes­se­rer Mu­si­kant, ein bes­se­rer Zu­hö­rer. Kann man über­haupt noch bes­ser zu­hö­ren? – Ich ver­gra­be mei­ne Ohren noch un­ter die­se Mu­sik, ich höre de­ren Ur­sa­che. Es scheint mir, dass ich ihre Ent­ste­hung er­le­be – ich zit­te­re vor Ge­fah­ren, die ir­gend ein Wa­g­niss be­glei­ten, ich bin ent­zückt über Glücks­fäl­le, an de­nen Bi­zet un­schul­dig ist. – Und selt­sam! im Grun­de den­ke ich nicht dar­an, oder weiss es nicht, wie sehr ich dar­an den­ke. Denn ganz an­de­re Ge­dan­ken lau­fen mir wäh­rend dem durch den Kopf … Hat man be­merkt, dass die Mu­sik den Geist frei macht? dem Ge­dan­ken Flü­gel giebt? dass man um so mehr Phi­lo­soph wird, je mehr man Mu­si­ker wird? – Der graue Him­mel der Abstrak­ti­on wie von Blit­zen durch­zuckt; das Licht stark ge­nug für al­les Fi­li­gran der Din­ge; die gros­sen Pro­ble­me nahe zum Grei­fen; die Welt wie von ei­nem Ber­ge aus über­blickt. – Ich de­fi­nir­te eben das phi­lo­so­phi­sche Pa­thos. – Und un­ver­se­hens fal­len mir Ant­wor­ten in den Schooss, ein klei­ner Ha­gel von Eis und Weis­heit, von ge­lös­ten Pro­ble­men … Wo bin ich? – Bi­zet macht mich frucht­bar. Al­les Gute macht mich frucht­bar. Ich habe kei­ne and­re Dank­bar­keit, ich habe auch kei­nen an­dern Be­weis da­für, was gut ist. –

      Auch dies Werk er­löst; nicht Wa­gner al­lein ist ein "Er­lö­ser". Mit ihm nimmt man Ab­schied vom feuch­ten Nor­den, von al­lem Was­ser­dampf des Wa­gne­ri­schen Ideals. Schon die Hand­lung er­löst da­von. Sie hat von Mérimée noch die Lo­gik in der Pas­si­on, die kür­zes­te Li­nie, die har­te No­thwen­dig­keit; sie hat vor Al­lem, was zur heis­sen Zone ge­hört, die Tro­cken­heit der Luft, die lim­pi­dez­za in der Luft, Hier ist in je­dem Be­tracht das Kli­ma ver­än­dert. Hier re­det eine and­re Sinn­lich­keit, eine and­re Sen­si­bi­li­tät, eine and­re Hei­ter­keit. Die­se Mu­sik ist hei­ter; aber nicht von ei­ner fran­zö­si­schen oder deut­schen Hei­ter­keit. Ihre Hei­ter­keit ist afri­ka­nisch; sie hat das Ver­häng­niss über sich, ihr Glück ist kurz, Plötz­lich, ohne Par­don. Ich


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