Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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mit dem »Fin­ger Got­tes« zu ei­nem Wun­der von »Gna­de«, von »Vor­se­hung«, von »Heil­ser­fah­run­gen« zu­recht ma­chen! Der be­schei­dens­te Auf­wand von Geist, um nicht zu sa­gen von An­stand, muß­te die­se In­ter­pre­ten doch dazu brin­gen, sich des voll­kom­men Kin­di­schen und Un­wür­di­gen ei­nes sol­chen Miß­brauchs der gött­li­chen Fin­ger­fer­tig­keit zu über­füh­ren. Mit ei­nem noch so klei­nen Maa­ße von Fröm­mig­keit im Lei­be soll­te uns ein Gott, der zur rech­ten Zeit vom Schnup­fen cur­irt, oder der uns in ei­nem Au­gen­blick in die Kut­sche stei­gen heißt, wo ge­ra­de ein großer Re­gen los­bricht, ein so ab­sur­der Gott sein, daß man ihn ab­schaf­fen müß­te, selbst wenn er existir­te. Ein Gott als Dienst­bo­te, als Brief­trä­ger, als Ka­len­der­mann, – im Grun­de ein Wort für die dümms­te Art al­ler Zu­fäl­le … Die »gött­li­che Vor­se­hung«, wie sie heu­te noch un­ge­fähr je­der drit­te Mensch im »ge­bil­de­ten Deutsch­land« glaubt, wäre ein Ein­wand ge­gen Gott, wie er stär­ker gar nicht ge­dacht wer­den konn­te. Und in je­dem Fall ist er ein Ein­wand ge­gen Deut­sche! …

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      53.

      – Daß Mär­ty­rer Et­was für die Wahr­heit ei­ner Sa­che be­wei­sen, ist so we­nig wahr, daß ich leug­nen möch­te, es habe je ein Mär­ty­rer über­haupt Et­was mit der Wahr­heit zu thun ge­habt. In dem Tone, mit dem ein Mär­ty­rer sein Für-wahr-hal­ten der Welt an den Kopf wirft, drückt sich be­reits ein so nied­ri­ger Grad in­tel­lek­tu­el­ler Recht­schaf­fen­heit, eine sol­che Stumpf­heit für die Fra­ge »Wahr­heit« aus, daß man einen Mär­ty­rer nie zu wi­der­le­gen braucht. Die Wahr­heit ist Nichts, was Ei­ner hät­te und ein And­rer nicht hät­te: so kön­nen höchs­tens Bau­ern oder Bau­ern-Apos­tel nach Art Luther’s über die Wahr­heit den­ken. Man darf si­cher sein, daß je nach dem Gra­de der Ge­wis­sen­haf­tig­keit in Din­gen des Geis­tes die Be­schei­den­heit, die Be­schei­dung in die­sem Punk­te im­mer grö­ßer wird. In fünf Sa­chen wis­sen, und mit zar­ter Hand es ab­leh­nen, sonst zu wis­sen … »Wahr­heit«, wie das Wort je­der Pro­phet, je­der Sek­ti­rer, je­der Frei­geist, je­der So­cia­list, je­der Kir­chen­mann ver­steht, ist ein voll­komm­ner Be­weis da­für, daß auch noch nicht ein­mal der An­fang mit je­ner Zucht des Geis­tes und Selb­st­über­win­dung ge­macht ist, die zum Fin­den ir­gend ei­ner klei­nen, noch so klei­nen Wahr­heit noch thut. – Die Mär­ty­rer-Tode, an­bei ge­sagt, sind ein großes Un­glück in der Ge­schich­te ge­we­sen: sie ver­führ­ten … Der Schluß al­ler Idio­ten, Weib und Voll ein­ge­rech­net, daß es mit ei­ner Sa­che, für die Je­mand in den Tod geht (oder die gar, wie das ers­te Chris­tent­hum, tod­süch­ti­ge Epi­de­mi­en er­zeugt), Et­was auf sich habe, – die­ser Schluß ist der Prü­fung, dem Geist der Prü­fung und Vor­sicht un­säg­lich zum Hemm­schuh ge­wor­den. Die Mär­ty­rer scha­de­ten der Wahr­heit … Auch heu­te noch be­darf es nur ei­ner Cru­di­tät der Ver­fol­gung, um ei­ner an sich noch so gleich­gül­ti­gen Sek­ti­re­rei einen eh­ren­haf­ten Na­men zu schaf­fen. – Wie? än­dert es am Wert­he ei­ner Sa­che Et­was, daß Je­mand für sie sein Le­ben läßt? – Ein Irr­thum, der eh­ren­haft wird, ist ein Irr­thum, der einen Ver­füh­rungs­reiz mehr be­sitzt: glaubt ihr, daß wir euch An­laß ge­ben wür­den, ihr Herrn Theo­lo­gen, für eure Lüge die Mär­ty­rer zu ma­chen? – Man wi­der­legt eine Sa­che, in­dem man sie ach­tungs­voll auf­’s Eis legt, – eben­so wi­der­legt man auch Theo­lo­gen… Gera­de Das war die wel­this­to­ri­sche Dumm­heit al­ler Ver­fol­ger, daß sie der geg­ne­ri­schen Sa­che den An­schein des Ehren­haf­ten ga­ben, – daß sie ihr die Fas­ci­na­ti­on des Mar­ty­ri­ums zum Ge­schenk mach­ten… Das Weib liegt heu­te noch auf den Kni­en vor ei­nem Irr­thum, weil man ihm ge­sagt hat, daß Je­mand da­für am Kreu­ze starb. Ist denn das Kreuz ein Ar­gu­ment? – – Aber über alle die­se Din­ge hat Ei­ner al­lein das Wort ge­sagt, das man seit Jahr­tau­sen­den nö­thig ge­habt hät­te, – Za­ra­thustra.

      *

      Blut­zei­chen schrie­ben sie auf den Weg, den sie gien­gen, und ihre Thor­heit lehr­te, daß man mit Blut Wahr­heit be­wei­se.

      Aber Blut ist der schlech­tes­te Zeu­ge der Wahr­heit; Blut ver­gif­tet die reins­te Leh­re noch zu Wahn und Haß der Her­zen.

      Und wenn Ei­ner durch­’s Feu­er gien­ge für sei­ne Leh­re, – was be­weist dies! Mehr ist’s wahr­lich, daß aus eig­nem Bran­de die eig­ne Leh­re kommt. (VI, 134.)

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      54.

      Man las­se sich nicht ir­re­füh­ren: große Geis­ter sind Skep­ti­ker. Za­ra­thustra ist ein Skep­ti­ker. Die Stär­ke, die Frei­heit aus der Kraft und Über­kraft des Geis­tes be­weist sich durch Skep­sis. Men­schen der Über­zeu­gung kom­men für al­les Grund­sätz­li­che von Werth und Un­werth gar nicht in Be­tracht. Über­zeu­gun­gen sind Ge­fäng­nis­se. Das sieht nicht weit ge­nug, das sieht nicht un­ter sich: aber um über Werth und Un­werth mit­re­den zu dür­fen, muß man fünf­hun­dert Über­zeu­gun­gen un­ter sich sehn, – hin­ter sich sehn … Ein Geist der Gro­ßes will, der auch die Mit­tel dazu will, ist mit No­thwen­dig­keit Skep­ti­ker. Die Frei­heit von je­der Art Über­zeu­gun­gen ge­hört zur Stär­ke, das Frei-Bli­cken- kön­nen… Die große Lei­den­schaft, der Grund und die Macht sei­nes Seins, noch auf­ge­klär­ter, noch des­po­ti­scher, als er selbst es ist, nimmt sei­nen gan­zen In­tel­lekt in Dienst; sie macht un­be­denk­lich; sie giebt ihm Muth so­gar zu un­hei­li­gen Mit­teln; sie gönnt ihm un­ter Um­stän­den Über­zeu­gun­gen. Die Über­zeu­gung als Mit­tel: Vie­les er­reicht man nur mit­telst ei­ner Über­zeu­gung. Die große Lei­den­schaft braucht, ver­braucht Über­zeu­gun­gen, sie un­ter­wirft sich ih­nen nicht, – sie weiß sich sou­ver­ain. – Um­ge­kehrt: das Be­dürf­niß nach Glau­ben, nach ir­gend et­was Un­be­ding­tem von Ja und Nein, der Car­ly­lis­mus, wenn man mir dies Wort nach­sehn will, ist ein Be­dürf­niß der Schwä­che. Der Mensch des Glau­bens, der »Gläu­bi­ge« je­der Art ist nothwen­dig ein ab­hän­gi­ger Mensch, – ein sol­cher, der sich nicht als Zweck, der von sich aus über­haupt nicht Zwe­cke an­set­zen kann. Der »Gläu­bi­ge« ge­hört sich nicht, er kann nur Mit­tel sein, er muß ver­braucht wer­den, er hat Je­mand nö­thig, der ihn ver­braucht. Sein In­stinkt giebt ei­ner Moral der Ent­selbs­tung die höchs­te Ehre: zu ihr über­re­det ihn Al­les, sei­ne Klug­heit, sei­ne Er­fah­rung, sei­ne Ei­tel­keit. Jede Art Glau­be ist selbst ein Aus­druck von Ent­selbs­tung, von Selbst-Ent­frem­dung… Er­wägt man, wie nothwen­dig den Al­ler­meis­ten ein Re­gu­la­tiv ist, das sie von au­ßen her bin­det und fest macht, wie der Zwang, in ei­nem hö­he­ren Sinn die Skla­ve­rei, die ein­zi­ge und letz­te Be­din­gung ist, un­ter der der wil­lens­schwä­che­re Mensch, zu­mal das Weib, ge­deiht: so ver­steht man auch die Über­zeu­gung, den »Glau­ben«. Der Mensch der Über­zeu­gung hat in ihr sein Rück­grat. Vie­le Din­ge nicht sehn, in kei­nem Punk­te un­be­fan­gen sein, Par­tei sein durch und durch, eine stren­ge und not­wen­di­ge Op­tik in al­len Wert­hen ha­ben – das al­lein be­dingt es, daß eine sol­che Art Mensch über­haupt be­steht. Aber da­mit ist sie der Ge­gen­satz, der Ant­ago­nist des Wahr­haf­ti­gen, – der Wahr­heit … Dem Gläu­bi­gen steht es nicht frei, für die Fra­ge »wahr« und »un­wahr« über­haupt ein Ge­wis­sen zu ha­ben: recht­schaf­fen sein an die­ser Stel­le wäre so­fort sein Un­ter­gang. Die pa­tho­lo­gi­sche Be­dingt­heit sei­ner Op­tik macht aus dem Über­zeug­ten den Fa­na­ti­ker – Sa­vo­na­ro­la, Luther, Rous­seau, Ro­be­spi­er­re, Saint-Si­mon –, den Ge­gen­satz-Ty­pus des star­ken, des frei­ge­w­ord­nen Geis­tes.


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