Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Le­ben lang, an die Re­vo­lu­ti­on ge­glaubt, wie nur ir­gend ein Fran­zo­se an sie ge­glaubt hat. Er such­te nach ihr in der Ru­nen­schrift des My­thus, er glaub­te in Sieg­fried den ty­pi­schen Re­vo­lu­tio­när zu fin­den. – "Wo­her stammt al­les Un­heil in der Welt?" frag­te sich Wa­gner. Von "al­ten Ver­trä­gen": ant­wor­te­te er, gleich al­len Re­vo­lu­ti­ons-Ideo­lo­gen. Auf deutsch: von Sit­ten, Ge­set­zen, Mora­len, In­sti­tu­tio­nen, von Al­le­dem, wor­auf die alte Welt, die alte Ge­sell­schaft ruht. "Wie schafft man das Un­heil aus der Welt? Wie schafft man die alte Ge­sell­schaft ab?" Nur da­durch, dass man den "Ver­trä­gen" (dem Her­kom­men, der Moral) den Krieg er­klärt. Das thut Sieg­fried. Er be­ginnt früh da­mit, sehr früh: sei­ne Ent­ste­hung ist be­reits eine Kriegs­er­klä­rung an die Moral – er kommt aus Ehe­bruch, aus Blutschan­de zur Welt … Nicht die Sage, son­dern Wa­gner ist der Er­fin­der die­ses ra­di­ka­len Zugs; an die­sem Punk­te hat er die Sage cor­ri­girt … Sieg­fried fährt fort, wie er be­gon­nen hat: er folgt nur dem ers­ten Im­pul­se, er wirft al­les Ue­ber­lie­fer­te, alle Ehr­furcht, alle Furcht über den Hau­fen. Was ihm miss­fällt, sticht er nie­der. Er rennt al­ten Gott­hei­ten un­ehr­er­bie­tig wi­der den Leib. Sei­ne Haupt­un­ter­neh­mung aber geht da­hin, das Weib zu eman­ci­pi­ren – "Brünn­hil­de zu er­lö­sen" … Sieg­fried und Brünn­hil­de; das Sa­kra­ment der frei­en Lie­be; der Auf­gang des gold­nen Zeit­al­ters; die Göt­ter­däm­me­rung der al­ten Moral – das Ue­bel ist ab­ge­schafft … Wa­gner’s Schiff lief lan­ge Zeit lus­tig auf die­ser Bahn. Kein Zwei­fel, Wa­gner such­te auf ihr sein höchs­tes Ziel. – Was ge­sch­ah? Ein Un­glück. Das Schiff fuhr auf ein Riff; Wa­gner sass fest. Das Riff war die Scho­pen­haue­ri­sche Phi­lo­so­phie; Wa­gner sass auf ei­ner con­trä­ren Wel­t­an­sicht fest. Was hat­te er in Mu­sik ge­setzt? Den Op­ti­mis­mus. Wa­gner schäm­te sich. Noch dazu einen Op­ti­mis­mus, für den Scho­pen­hau­er ein bö­ses Bei­wort ge­schaf­fen hat­te – den ruch­lo­sen Op­ti­mis­mus. Er schäm­te sich noch ein­mal. Er be­sann sich lan­ge, sei­ne Lage schi­en ver­zwei­felt … End­lich däm­mer­te ihm ein Aus­weg: das Riff, an dem er schei­ter­te, wie? wenn er es als Ziel, als Hin­ter­ab­sicht, als ei­gent­li­chen Sinn sei­ner Rei­se in­ter­pre­tir­te? Hier zu schei­tern – das war auch ein Ziel. Bene na­vi­ga­vi, cum nauf­ra­gi­um feci … Und er über­setz­te den "Ring" in’s Scho­pen­haue­ri­sche. Al­les läuft schief, Al­les geht zu Grun­de, die neue Welt ist so schlimm, wie die alte: – das Nichts, die in­di­sche Cir­ce winkt … Brünn­hil­de, die nach der äl­tern Ab­sicht sich mit ei­nem Lie­de zu Ehren der frei­en Lie­be zu ver­ab­schie­den hat­te, die Welt auf eine so­cia­lis­ti­sche Uto­pie ver­trös­tend, mit der "Al­les gut wird", be­kommt jetzt et­was An­de­res zu thun. Sie muss erst Scho­pen­hau­er stu­di­ren; sie muss das vier­te Buch der "Welt als Wil­le und Vor­stel­lung" in Ver­se brin­gen. Wa­gner war er­löst … Al­len Erns­tes, dies war eine Er­lö­sung. Die Wohl­that, die Wa­gner Scho­pen­hau­ern ver­dankt, ist un­er­mess­lich. Erst der Phi­lo­soph der dé­ca­dence gab dem Künst­ler der dé­ca­dence sich selbst – –

      Dem Künst­ler der dé­ca­dence – da steht das Wort. Und da­mit be­ginnt mein Ernst. Ich bin fer­ne da­von, harm­los zu­zu­schau­en, wenn die­ser dé­ca­dent uns die Ge­sund­heit verdirbt – und die Mu­sik dazu! Ist Wa­gner über­haupt ein Mensch? Ist er nicht eher eine Krank­heit? Er macht Al­les krank, wor­an er rührt, – er hat die Mu­sik krank ge­macht –

      Ein ty­pi­scher dé­ca­dent, der sich nothwen­dig in sei­nem ver­derb­ten Ge­schmack fühlt, der mit ihm einen hö­he­ren Ge­schmack in An­spruch nimmt, der sei­ne Ver­derb­niss als Ge­setz, als Fort­schritt, als Er­fül­lung in Gel­tung zu brin­gen weiss.

      Und man wehrt sich nicht. Sei­ne Ver­füh­rungs­kraft steigt in’s Un­ge­heu­re, es qualmt um ihn von Weih­rauch, das Miss­ver­ständ­niss über ihn heisst sich "Evan­ge­li­um" – er hat durch­aus nicht bloss die Ar­men des Geis­tes zu sich über­re­det!

      Ich habe Lust, ein we­nig die Fens­ter auf­zu­ma­chen. Luft! Mehr Luft! – –

      Dass man sich in Deutsch­land über Wa­gner be­trügt, be­frem­det mich nicht. Das Ge­gent­heil wür­de mich be­frem­den. Die Deut­schen ha­ben sich einen Wa­gner zu­recht ge­macht, den sie ver­eh­ren kön­nen: sie wa­ren noch nie Psy­cho­lo­gen, sie sind da­mit dank­bar, dass sie miss­ver­stehn. Aber dass man sich auch in Pa­ris über Wa­gner be­trügt! wo man bei­na­he nichts Andres mehr ist als Psy­cho­log. Und in Sankt-Pe­ters­burg! wo man Din­ge noch er­räth, die selbst in Pa­ris nicht er­rat­hen wer­den. Wie ver­wandt muss Wa­gner der ge­samm­ten eu­ro­päi­schen dé­ca­dence sein, dass er von ihr nicht als dé­ca­dent emp­fun­den wird! Er ge­hört zu ihr: er ist ihr Pro­tago­nist, ihr grös­ster Name … Man ehrt sich, wenn man ihn in die Wol­ken hebt. – Denn dass man nicht ge­gen ihn sich wehrt, das ist selbst schon ein Zei­chen von dé­ca­dence. Der In­stinkt ist ge­schwächt. Was man zu scheu­en hät­te, das zieht an. Man setzt an die Lip­pen, was noch schnel­ler in den Ab­grund treibt. – Will man ein Bei­spiel? Aber man hat nur das ré­gime zu be­ob­ach­ten, das sich Anämi­sche oder Gich­ti­sche oder Dia­be­ti­ker selbst ver­ord­nen. De­fi­ni­ti­on des Ve­ge­ta­ri­ers: ein We­sen, das eine cor­ro­bor­i­ren­de Diät nö­thig hat. Das Schäd­li­che als schäd­lich emp­fin­den, sich et­was Schäd­li­ches ver­bie­ten kön­nen ist ein Zei­chen noch von Ju­gend, von Le­bens­kraft. Den Er­schöpf­ten lockt das Schäd­li­che: den Ve­ge­ta­ri­er das Ge­mü­se. Die Krank­heit selbst kann ein Sti­mu­lans des Le­bens sein: nur muss man ge­sund ge­nug für dies Sti­mu­lans sein! – Wa­gner ver­mehrt die Er­schöp­fung: des­halb zieht er die Schwa­chen und Er­schöpf­ten an. Oh über das Klap­per­schlan­gen-Glück des al­ten Meis­ters, da er ge­ra­de im­mer "die Kind­lein" zu sich kom­men sah! –

      Ich stel­le die­sen Ge­sichts­punkt vor­an: Wa­gner’s Kunst ist krank. Die Pro­ble­me, die er auf die Büh­ne bringt – lau­ter Hys­te­ri­ker-Pro­ble­me –, das Con­vul­si­vi­sche sei­nes Af­fekts, sei­ne über­reiz­te Sen­si­bi­li­tät, sein Ge­schmack, der nach im­mer schär­fern Wür­zen ver­lang­te, sei­ne In­sta­bi­li­tät, die er zu Prin­ci­pi­en ver­klei­de­te, nicht am we­nigs­ten die Wahl sei­ner Hel­den und Hel­din­nen, die­se als phy­sio­lo­gi­sche Ty­pen be­trach­tet (– eine Kran­ken-Ga­le­rie! –): Al­les zu­sam­men stellt ein Krank­heits­bild dar, das kei­nen Zwei­fel lässt. Wa­gner est une névro­se. Nichts ist viel­leicht heu­te bes­ser be­kannt, Nichts je­den­falls bes­ser stu­dirt als der Pro­teus-Cha­rak­ter der De­ge­ne­re­scenz, der hier sich als Kunst und Künst­ler ver­puppt. Uns­re Aerz­te und Phy­sio­lo­gen ha­ben in Wa­gner ih­ren in­ter­essan­tes­ten Fall, zum Min­des­ten einen sehr voll­stän­di­gen. Gera­de, weil Nichts mo­der­ner ist als die­se Ge­samm­ter­kran­kung, die­se Spät­heit und Über­reizt­heit der ner­vö­sen Ma­schi­ne­rie, ist Wa­gner der mo­der­ne Künst­ler par ex­cel­lence, der Cagliostro der Mo­der­ni­tät. In sei­ner Kunst ist auf die ver­füh­re­ri­sche­s­te Art ge­mischt, was heu­te alle Welt am nö­thigs­ten hat, – die drei gros­sen Sti­mu­lan­tia der Er­schöpf­ten, das Bru­ta­le, das Künst­li­che und das Un­schul­di­ge (Idio­ti­sche).

      Wa­gner ist ein gros­ser Ver­derb für die Mu­sik. Er hat in ihr das Mit­tel er­rat­hen, müde Ner­ven zu rei­zen, – er hat die Mu­sik da­mit krank ge­macht. Sei­ne Er­fin­dungs­ga­be ist kei­ne klei­ne in der Kunst, die Er­schöpf­tes­ten wie­der auf­zu­sta­cheln, die Halb­tod­ten in’s Le­ben zu ru­fen. Er ist der Meis­ter hyp­no­ti­scher Grif­fe, er wirft die Stärks­ten


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