Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


Скачать книгу
eine ge­wis­se Über­rei­zung selbst der mo­ra­li­schen Emp­fin­dung,

      2) das Quan­tum Ver­bit­te­rung und Ver­düs­te­rung, das der Pes­si­mis­mus mit sich in die Veurt­hei­lung trägt: – bei­des zu­sam­men hat der ent­ge­gen­ge­setz­ten Vor­stel­lung, daß es schlecht mit uns­rer Mora­li­tät steht, zum Über­ge­wicht ver­hol­fen.

      Die That­sa­che des Cre­dits, des gan­zen Welt­han­dels, der Ver­kehrs­mit­tel – ein un­ge­heu­res mil­des Ver­trau­en auf den Men­schen drückt sich dar­in aus … Dazu trägt auch bei

      3) die Los­lö­sung der Wis­sen­schaft von mo­ra­li­schen und re­li­gi­ösen Ab­sich­ten: ein sehr gu­tes Zei­chen, das aber meis­tens falsch ver­stan­den ist.

      Ich ver­su­che auf mei­ne Wei­se eine Recht­fer­ti­gung der Ge­schich­te.

      *

      64.

      Der zwei­te Bud­dhis­mus. – Vor­zei­chen da­für: Das Über­hand­neh­men des Mit­leids. Die geis­ti­ge Über­mü­dung. Die Re­duk­ti­on der Pro­ble­me auf Lust- und Un­lust-Fra­gen. Die Kriegs-Glo­rie, wel­che einen Ge­gen­schlag her­vor­ruft. Eben­so wie die na­tio­na­le Ab­gren­zung eine Ge­gen­be­we­gung, die herz­lichs­te »Fra­ter­ni­tät«, her­vor­ruft. Die Un­mög­lich­keit der Re­li­gi­on, mit Dog­men und Fa­beln fort­ar­bei­ten zu kön­nen.

      Mit die­ser bud­dhis­ti­schen Cul­tur wird die ni­hi­lis­ti­sche Ka­ta­stro­phe ein Ende ma­chen.

      *

      65.

      Was heu­te am tiefs­ten an­ge­grif­fen ist, das ist der In­stinkt und der Wil­le der Tra­di­tion: alle In­sti­tu­tio­nen, die die­sem In­stinkt ihre Her­kunft ver­dan­ken, ge­hen dem mo­der­nen Geis­te wi­der den Ge­schmack … Im Grun­de denkt und thut man Nichts, was nicht den Zweck ver­folg­te, die­sen Sinn für Über­lie­fe­rung mit den Wur­zeln her­aus­zu­rei­ßen. Man nimmt die Tra­di­ti­on als Fa­ta­li­tät; man stu­dirt sie, man er­kennt sie an (als »Erb­lich­keit« –), aber man will sie nicht. Die An­span­nung ei­nes Wil­lens über lan­ge Zeit­fer­nen hin, die Aus­wahl der Zu­stän­de und Wer­thun­gen, wel­che es ma­chen, daß man über Jahr­hun­der­te der Zu­kunft ver­fü­gen kann – das ge­ra­de ist im höchs­ten Maa­ße an­ti­mo­dern. Woraus sich er­giebt, daß die des­or­ga­ni­si­ren­den Prin­ci­pi­en un­se­rem Zeit­al­ter den Cha­rak­ter ge­ben.

      *

      66.

      »Seid ein­fach« – eine Auf­for­de­rung an uns ver­wi­ckel­te und un­faß­ba­re Nie­ren­prü­fer, wel­che eine ein­fa­che Dumm­heit ist … Seid na­tür­lich: aber wie, wenn man eben »un­na­tür­lich« ist? …

      *

      67.

      Die ehe­ma­li­gen Mit­tel, gleich­ar­ti­ge, dau­ern­de We­sen durch lan­ge Ge­schlech­ter zu er­zie­len: un­ver­äu­ßer­li­cher Grund­be­sitz, Ver­eh­rung der Äl­te­ren (Ur­sprung des Göt­ter- und Hero­en-Glau­bens als der Ahn­her­ren).

      Jetzt ge­hört die Zer­split­te­rung des Grund­be­sit­zes in die ent­ge­gen­ge­setz­te Ten­denz. Eine Zei­tung an Stel­le der täg­li­chen Ge­be­te. Ei­sen­bahn, Te­le­graph. Cen­tra­li­sa­ti­on ei­ner un­ge­heu­ren Men­ge ver­schie­de­ner In­ter­es­sen in Ei­ner See­le: die da­zu sehr stark und ver­hand­lungs­fä­hig sein muß.

      *

      68.

      Wes­halb Al­les Schau­spie­le­rei wird. – Dem mo­der­nen Men­schen fehlt: der si­che­re In­stink­t (Fol­ge ei­ner lan­gen gleich­ar­ti­gen Thä­tig­keits­for­m ei­ner Art Mensch); die Un­fä­hig­keit, et­was Voll­komm­nes zu leis­ten, ist bloß die Fol­ge da­von: – man kann als Ein­zel­ner die Schu­le nie nach­ho­len.

      Das, was eine Moral, ein Ge­setz­buch schafft: der tie­fe In­stinkt da­für, daß erst der Au­to­ma­tis­mus die Voll­kom­men­heit mög­lich macht in Le­ben und Schaf­fen.

      Aber jetzt ha­ben wir den ent­ge­gen­ge­setz­ten Punkt er­reicht, ja, wir ha­ben ihn er­rei­chen ge­woll­t – die ex­trems­te Be­wußt­heit, die Selbst­durch­schau­ung des Men­schen und der Ge­schich­te: – da­mit sind wir prak­tisch am ferns­ten von der Voll­kom­men­heit in Sein, Thun und Wol­len: un­se­re Be­gier­de, un­ser Wil­le selbst zur Er­kennt­nis ist ein Sym­ptom ei­ner un­ge­heu­ren dé­ca­dence. Wir stre­ben nach dem Ge­gent­heil von Dem, was star­ke Ras­sen, star­ke Na­tu­ren wol­len, – das Be­grei­fen ist ein En­de

      Daß Wis­sen­schaft mög­lich ist in die­sem Sin­ne, wie sie heu­te ge­übt wird, ist der Be­weis da­für, daß alle ele­men­ta­ren In­stink­te, No­thwehr- und Schutz-In­stink­te des Le­bens nicht mehr fun­gi­ren. Wir sam­meln nicht mehr, wir ver­schwen­den die Ka­pi­ta­li­en der Vor­fah­ren, auch noch in der Art, wie wir er­ken­nen

      *

      69.

      Ni­hi­lis­ti­scher Zug

      a) in den Na­tur­wis­sen­schaf­ten (»Sinn­lo­sig­keit« –); Cau­sa­lis­mus, Mecha­nis­mus. Die »Ge­setz­mä­ßig­keit« ein Zwi­schen­akt, ein Über­bleib­sel.

      b) Ins­glei­chen in der Po­li­ti­k: es fehlt ei­nem der Glau­be an sein Recht, die Un­schuld; es herrscht die Lüg­ne­rei, die Au­gen­blicks-Die­ne­rei.

      c) Ins­glei­chen in der Volks­wirth­schaft: die Auf­he­bung der Skla­ve­rei: Man­gel ei­nes er­lö­sen­den Stan­des, ei­nes Recht­fer­ti­ger­s, – Her­auf­kom­men des An­ar­chis­mus. »Er­zie­hung«?

      d) Ins­glei­chen in der Ge­schich­te: der Fa­ta­lis­mus, der Dar­wi­nis­mus; die letz­ten Ver­su­che, Ver­nunft und Gött­lich­keit hin­ein­zu­deu­ten, miß­rat­hen. Sen­ti­men­ta­li­tät vor der Ver­gan­gen­heit; man er­trü­ge kei­ne Bio­gra­phie! – (Der Phä­no­me­na­lis­mus auch hier: Cha­rak­ter als Mas­ke; es giebt kei­ne That­sa­chen.)

      e) Ins­glei­chen in der Kunst: Ro­man­tik und ihr Ge­gen­schlag (Wi­der­wil­le ge­gen die ro­man­ti­schen Idea­le und Lü­gen). Letz­te­rer, mo­ra­lisch, als Sinn grö­ße­rer Wahr­haf­tig­keit, aber pes­si­mis­tisch. Die rei­nen »Ar­tis­ten« (gleich­gül­tig ge­gen den In­halt). (Beicht­va­ter-Psy­cho­lo­gie und Pu­ri­ta­ner-Psy­cho­lo­gie, zwei For­men der psy­cho­lo­gi­schen Ro­man­tik: aber auch noch ihr Ge­gen­schlag, der Ver­such sich rein ar­tis­tisch zum »Men­schen« zu stel­len, – auch da wird noch nicht die um­ge­kehr­te Wert­h­schät­zung ge­wag­t!)

      *

      70.

      Ge­gen die Leh­re vom Ein­fluß des Mi­lieu’s und der äu­ße­ren Ur­sa­chen: die in­ne­re Kraft ist un­end­lich über­le­gen; Vie­les, was wie Ein­fluß von Au­ßen aus­sieht, ist nur ihre An­pas­sung von In­nen her. Genau die­sel­ben Mi­lieu’s kön­nen ent­ge­gen­ge­setzt aus­ge­deu­tet und aus­genützt wer­den: es giebt kei­ne That­sa­chen. – Ein Ge­nie ist nicht er­klärt aus sol­chen Ent­ste­hungs-Be­din­gun­gen –

      *

      71.


Скачать книгу