Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
Читать онлайн книгу.weiser werden. Man glaubte damit so reich an Macht zu werden, daß man abgeben konnte. Überall, wo angebetet worden ist, suchte man Einen, der abgeben kann.
Hier war irreführend die Erfahrung des Rausches, Dieser vermehrt im höchsten Grade das Gefühl der Macht, folglich, naiv beurtheilt, die Macht. Auf der höchsten Stufe der Macht mußte der Berauschteste stehn, der Ekstatische. (– Es giebt zwei Ausgangspunkte des Rausches: die übergroße Fülle des Lebens und einen Zustand von krankhafter Ernährung des Gehirns.)
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49.
Erworbene, nicht ererbte Erschöpfung: 1) unzureichende Ernährung, oft aus Unwissenheit über Ernährung, z. B. bei Gelehrten; 2) die erotische Präcocität: der Fluch vornehmlich der französischen Jugend, der Pariser voran: welche aus den Lyceen bereits verhunzt und beschmutzt in die Welt tritt – und nicht wieder von der Kette verächtlicher Neigungen loskommt, gegen sich selbst ironisch und schnöde – Galeerensklaven, mit aller Verfeinerung (– übrigens in den häufigsten Fällen bereits Symptom der Rassen- und Familien- décadence, wie alle Hyper-Reizbarkeit; insgleichen als Contagium des Milieu’s –: auch bestimmbar zu sein durch die Umgebung, gehört zur décadence –); 3) der Alkoholismus, nicht der Instinkt, sondern die Gewöhnung, die stupide Nachahmung, die feige oder eitle Anpassung an ein herrschendes régime: – Welche Wohlthat ist ein Jude unter Deutschen! Wie viel Stumpfheit, wie flächsern der Kopf, wie blau das Auge; der Mangel an esprit in Gesicht, Wort, Haltung; das faule Sich-strecken, das deutsche Erholungs-Bedürfnis;, das nicht aus Überarbeitung, sondern aus der widrigen Reizung und Überreizung durch Alkoholika herkommt …
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53.
Es giebt eine tiefe und vollkommen unbewußte Wirkung der décadence selbst auf die Ideale der Wissenschaft: unsere ganze Sociologie ist der Beweis für diesen Satz. Ihr bleibt vorzuwerfen, daß sie nur das Verfalls-Gebilde der Societät aus Erfahrung kennt und unvermeidlich die eigenen Verfalls-Instinkte als Norm des sociologischen Urtheils nimmt.
Das niedersinkende Leben im jetzigen Europa formulirt in ihnen seine Gesellschafts-Ideale: sie sehen alle zum Verwechseln dem Ideal alter überlebter Rassen ähnlich …
Der Heerdeninstinkt sodann – eine jetzt souverän gewordene Macht – ist etwas Grundverschiedenes vom Instinkt einer aristokratischen Societät: und es kommt auf den Werth der Einheiten an, was die Summe zu bedeuten hat … Unsre ganze Sociologie kennt gar keinen andern Instinkt als den der Heerde, d. h. der summirten Nullen, – wo jede Null »gleiche Rechte« hat, wo es tugendhaft ist, Null zu sein …
Die Werthung, mit der heute die verschiedenen Formen der Societät beurtheilt werden, ist ganz und gar Eins mit jener, welche dem Frieden einen höheren Werth zuertheilt als dem Krieg: aber dies Urtheil ist antibiologisch, ist selbst eine Ausgeburt der décadence des Lebens … Das Leben ist eine Folge des Kriegs, die Gesellschaft selbst ein Mittel zum Krieg … Herr Herbert Spencer ist als Biologe ein décadent, – er ist es auch als Moralist (er steht im Sieg des Altruismus etwas Wünschenswertes!!!).
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54.
Ich habe das Glück, nach ganzen Jahrtausenden der Verirrung und Verwirrung den Weg wiedergefunden zu haben, der zu einem Ja und einem Nein führt.
Ich lehre das Nein zu Allem, was schwach macht, – was erschöpft.
Ich lehre das Ja zu Allem, was stärkt, was Kraft aufspeichert, was das Gefühl der Kraft rechtfertigt.
Man hat weder das Eine noch das Andre bisher gelehrt: man hat Tugend, Entselbstung, Mitleiden, man hat selbst Verneinung des Lebens gelehrt. Dies Alles sind Werthe der Erschöpften.
Ein langes Nachdenken über die Physiologie der Erschöpfung zwang mich zu der Frage, wieweit die Urtheile Erschöpfter in die Welt der Werthe eingedrungen seien.
Mein Ergebniß war so überraschend wie möglich, selbst für mich, der in mancher fremden Welt schon zu Hause war: ich fand alle obersten Werthurtheile, alle, die Herr geworden sind über die Menschheit, mindestens zahm gewordene Menschheit, zurückführbar auf die Urtheile Erschöpfter.
Unter den heiligsten Namen zog ich die zerstörerischen Tendenzen heraus; man hat Gott genannt, was schwächt, Schwäche lehrt, Schwäche inficirt … ich fand, daß der »gute Mensch« eine Selbstbejahungsform der décadence ist.
Jene Tugend, von der noch Schopenhauer gelehrt hat, daß sie die oberste, die einzige und das Fundament aller Tugenden sei: eben jenes Mitleiden erkannte ich als gefährlicher, als irgend ein Laster. Die Auswahl in der Gattung, ihre Reinigung vom Abfall grundsätzlich kreuzen – das hieß bisher Tugend par excellence…
Man soll das Verhängnis; in Ehren halten; das Verhängnis;, das zum Schwachen sagt »geh zu Grunde!«…
Man hat es Gott genannt, daß man dem Verhängniß widerstrebte, – daß man die Menschheit verdarb und verfaulen machte… Man soll den Namen Gottes nicht unnützlich führen…
Die Rasse ist verdorben – nicht durch ihre Laster, sondern ihre Ignoranz: sie ist verdorben, weil sie die Erschöpfung nicht als Erschöpfung verstand: die physiologischen Verwechslungen sind die Ursache alles Übels…
Die Tugend ist unser großes Mißverständniß.
Problem: wie kamen die Erschöpften dazu, die Gesetze der Werthe zu machen? Anders gefragt: wie kamen Die zur Macht, die die Letzten sind?… Wie kam der Instinkt des Thieres Mensch auf den Kopf zu stehn?…
4. Die Krisis: Nihilismus und Wiederkunftsgedanke.
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55.
Extreme Positionen werden nicht durch ermäßigte abgelöst, sondern wiederum durch extreme, aber umgekehrte. Und so ist der Glaube an die absolute Immoralität der Natur, an die Zweck- und Sinnlosigkeit der psychologisch-nothwendige Affekt, wenn der Glaube an Gott und eine essentiell moralische Ordnung nicht mehr zu halten ist. Der Nihilismus erscheint jetzt, nicht weil die Unlust am Dasein größer wäre als früher, sondern weil man überhaupt gegen einen »Sinn« im Übel, ja im Dasein mißtrauisch geworden ist. Eine Interpretation gieng zu Grunde: weil sie aber als die Interpretation galt, erscheint