Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


Скачать книгу
In­stink­te ver­rat­hen, der, auch in der reifs­ten Fül­le ih­rer Ge­sit­tung und Men­sch­lich­keit, nicht auf­hör­te, aus er­ze­nem Mun­de sol­che Wor­te aus­zu­ru­fen: »dem Sie­ger ge­hört der Be­sieg­te, mit Weib und Kind, Gut und Blut. Die Ge­walt giebt das ers­te Recht, und es giebt kein Recht, das nicht in sei­nem Fun­da­men­te An­ma­ßung Usur­pa­ti­on Ge­walt­t­hat ist.«

      Hier se­hen wir wie­der­um, mit wel­cher mit­leid­lo­sen Starr­heit die Na­tur, um zur Ge­sell­schaft zu kom­men, sich das grau­sa­me Werk­zeug des Staa­tes schmie­det – näm­lich je­nen Ero­be­rer mit der ei­ser­nen Hand, der Nichts als die Ob­jek­ti­va­ti­on des be­zeich­ne­ten In­stink­tes ist. An der un­de­fi­nir­ba­ren Grö­ße und Macht sol­cher Ero­be­rer spürt der Be­trach­ter, daß sie nur Mit­tel ei­ner in ih­nen sich of­fen­ba­ren­den und doch vor ih­nen sich ver­ber­gen­den Ab­sicht sind. Gleich als ob ein ma­gi­scher Wil­le von ih­nen aus­gien­ge, so räth­sel­haft schnell schlie­ßen sich die schwä­che­ren Kräf­te an sie an, so wun­der­bar ver­wan­deln sie sich, bei dem plötz­li­chen An­schwel­len je­ner Ge­walt­la­wi­ne, un­ter dem Zau­ber je­nes schöp­fe­ri­schen Ker­nes, zu ei­ner bis da­hin nicht vor­han­de­nen Af­fi­ni­tät.

      Wenn wir nun se­hen, wie we­nig sich als­bald die Un­ter­wor­fe­nen um den ent­setz­li­chen Ur­sprung des Staa­tes be­küm­mern, so daß im Grun­de über kei­ne Art von Er­eig­nis­sen uns die His­to­rie schlech­ter un­ter­rich­tet als über das Zu­stan­de­kom­men je­ner plötz­li­chen ge­walt­sa­men blu­ti­gen und min­des­tens an ei­nem Punk­te un­er­klär­li­chen Usur­pa­tio­nen: wenn viel­mehr der Ma­gie des wer­den­den Staa­tes die Her­zen un­will­kür­lich ent­ge­gen­schwel­len, mit der Ah­nung ei­ner un­sicht­bar tie­fen Ab­sicht, dort wo der rech­nen­de Ver­stand nur eine Ad­di­ti­on von Kräf­ten zu se­hen be­fä­higt ist: wenn jetzt so­gar der Staat mit In­brunst als Ziel und Gip­fel der Auf­op­fe­run­gen und Pf­lich­ten des Ein­zel­nen be­trach­tet wird: so spricht aus Al­le­dem die un­ge­heu­re No­thwen­dig­keit des Staa­tes, ohne den es der Na­tur nicht ge­lin­gen möch­te, durch die Ge­sell­schaft zu ih­rer Er­lö­sung im Schei­ne, im Spie­gel des Ge­ni­us, zu kom­men. Was für Er­kennt­nis­se über­win­det nicht die in­stink­ti­ve Lust am Staa­te! Man soll­te doch den­ken, daß ein We­sen, wel­ches in die Ent­ste­hung des Staa­tes hin­ein­schaut, für­der­hin nur in schau­er­vol­ler Ent­fer­nung von ihm sein Heil su­chen wer­de; und wo kann man nicht die Denk­ma­le sei­ner Ent­ste­hung se­hen, ver­wüs­te­te Län­der, zer­stör­te Städ­te, ver­wil­der­te Men­schen, ver­zeh­ren­den Völ­ker­haß! Der Staat, von schmäh­li­cher Ge­burt, für die meis­ten Men­schen eine fort­wäh­ren­de flie­ßen­de Quel­le der Müh­sal, in häu­fig wie­der­kom­men­den Pe­ri­oden die fres­sen­de Fa­ckel des Men­schen­ge­schlechts – und den­noch ein Klang, bei dem wir uns ver­ges­sen, ein Schlacht­ruf, der zu zahl­lo­sen wahr­haft he­ro­i­schen Tha­ten be­geis­tert hat, viel­leicht der höchs­te und ehr­wür­digs­te Ge­gen­stand für die blin­de und egois­ti­sche Mas­se, die auch nur in den un­ge­heu­ren Mo­men­ten des Staats­le­bens den be­fremd­li­chen Aus­druck von Grö­ße auf ih­rem Ge­sich­te hat!

      Die Grie­chen aber ha­ben wir uns, im Hin­blick auf die ein­zi­ge Son­nen­hö­he ih­rer Kunst, schon a prio­ri als die »po­li­ti­schen Men­schen an sich« zu con­strui­ren; und wirk­lich kennt die Ge­schich­te kein zwei­tes Bei­spiel ei­ner so furcht­ba­ren Ent­fes­se­lung des po­li­ti­schen Trie­bes, ei­ner so un­be­ding­ten Hinop­fe­rung al­ler an­de­ren In­ter­es­sen im Diens­te die­ses Staa­ten­in­stink­tes – höchs­tens daß man ver­glei­chungs­wei­se und aus ähn­li­chen Grün­den die Men­schen der Re­naissance in Ita­li­en mit ei­nem glei­chen Ti­tel aus­zeich­nen könn­te. So über­la­den ist bei den Grie­chen je­ner Trieb, daß er im­mer von Neu­em wie­der ge­gen sich selbst zu wüthen an­fängt und die Zäh­ne in das eig­ne Fleisch schlägt. Die­se blu­ti­ge Ei­fer­sucht von Stadt auf Stadt, von Par­tei auf Par­tei, die­se mör­de­ri­sche Gier je­ner klei­nen Krie­ge, der ti­ger­ar­ti­ge Tri­umph auf dem Leich­nam des er­leg­ten Fein­des, kurz die un­abläs­si­ge Er­neue­rung je­ner tro­ja­ni­schen Kampf- und Greu­el­sce­nen, in de­ren An­blick Ho­mer lust­voll ver­sun­ken, als ech­ter Hel­le­ne, vor uns steht – wo­hin deu­tet die­se nai­ve Bar­ba­rei des grie­chi­schen Staa­tes, wo­her nimmt er sei­ne Ent­schul­di­gung vor dem Richter­stuh­le der ewi­gen Ge­rech­tig­keit? Stolz und ru­hig tritt der Staat vor ihn hin: und an der Hand führt er das herr­lich blü­hen­de Weib, die grie­chi­sche Ge­sell­schaft. Für die­se He­le­na fühl­te er jene Krie­ge – wel­cher grau­bär­ti­ge Rich­ter dürf­te hier ver­urt­hei­len? –

      Bei die­sem ge­heim­niß­vol­len Zu­sam­men­hang, den wir hier zwi­schen Staat und Kunst, po­li­ti­scher Gier und künst­le­ri­scher Zeu­gung, Schlacht­feld und Kunst­werk ah­nen, ver­ste­hen wir, wie ge­sagt, un­ter Staat nur die ei­ser­ne Klam­mer, die den Ge­sell­schaftspro­ceß er­zwingt: wäh­rend ohne Staat, im na­tür­li­chen bel­lum om­ni­um con­tra om­nes, die Ge­sell­schaft über­haupt nicht in grö­ße­rem Maße und über das Be­reich der Fa­mi­lie hin­aus Wur­zel schla­gen kann. Jetzt, nach der all­ge­mein ein­ge­tre­te­nen Staa­ten­bil­dung, con­cen­trirt sich je­ner Trieb des bel­lum om­ni­um con­tra om­nes von Zeit zu Zeit zum schreck­li­chen Kriegs­ge­wölk der Völ­ler und ent­la­det sich gleich­sam in selt­ne­ren, aber um so stär­ke­ren Schlä­gen und Wet­ter­strah­len. In den Zwi­schen­pau­sen aber ist der Ge­sell­schaft doch Zeit ge­las­sen, un­ter der nach in­nen ge­wen­de­ten zu­sam­men­ge­dräng­ten Wir­kung je­nes bel­lum, al­ler­orts zu kei­men und zu grü­nen, um, so­bald es ei­ni­ge wär­me­re Tage giebt, die leuch­ten­den Blüthen des Ge­ni­us her­vor­sprie­ßen zu las­sen.

      An­ge­sichts der po­li­ti­schen Welt der Hel­le­nen will ich nicht ver­ber­gen, in wel­chen Er­schei­nun­gen der Ge­gen­wart ich ge­fähr­li­che, für Kunst und Ge­sell­schaft gleich be­denk­li­che Ver­küm­me­run­gen der po­li­ti­schen Sphä­re zu er­ken­nen glau­be. Wenn es Men­schen ge­ben soll­te, die durch Ge­burt gleich­sam au­ßer­halb der Volks- und Staa­ten­in­stink­te ge­stellt sind, die so­mit den Staat nur so weit gel­ten zu las­sen ha­ben, als sie ihn in ih­rem ei­ge­nen In­ter­es­se be­grei­fen: so wer­den der­ar­ti­ge Men­schen nothwen­dig als das letz­te staat­li­che Ziel sich das mög­lichst un­ge­stör­te Ne­ben­ein­an­der­le­ben großer po­li­ti­scher Ge­mein­sam­kei­ten vor­stel­len, in de­nen den ei­ge­nen Ab­sich­ten nach­zu­ge­hen ih­nen vor Al­len ohne Be­schrän­kung er­laubt sein dürf­te. Mit die­ser Vor­stel­lung im Kop­fe wer­den sie die Po­li­tik för­dern, die die­sen Ab­sich­ten die größ­te Si­cher­heit bie­tet, wäh­rend es un­denk­bar ist, daß sie ge­gen ihre Ab­sich­ten, etwa durch einen un­be­wuß­ten In­stinkt ge­lei­tet, der Staats­ten­denz sich zum Op­fer brin­gen soll­ten, un­denk­bar, weil sie eben je­nes In­stink­tes er­man­geln. Alle an­de­ren Bür­ger des Staa­tes sind über Das, was die Na­tur mit ih­rem Staats­in­stink­te bei ih­nen be­ab­sich­tigt, im Dun­keln und fol­gen blind­lings; nur jene au­ßer­halb die­ses In­stink­tes Ste­hen­den wis­sen, was sie vom Staa­te wol­len und was ih­nen der Staat ge­wäh­ren soll. Des­halb ist es ge­ra­de­zu un­ver­meid­lich, daß sol­che Men­schen einen großen Ein­fluß auf den Staat ge­win­nen, weil sie ihn als Mit­tel be­trach­ten dür­fen, wäh­rend alle an­de­ren un­ter der Macht je­ner un­be­wuß­ten Ab­sich­ten des Staa­tes selbst nur Mit­tel des Staats­zwecks sind. Um nun, durch das Mit­tel


Скачать книгу