Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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der Völ­ker lang­sam auf­zu­lö­sen. Die­sem Zwe­cke ent­spre­chen sie durch die all­ge­meins­te Ver­brei­tung der li­be­ral-op­ti­mis­ti­schen Welt­be­trach­tung, wel­che ihre Wur­zeln in den Leh­ren der fran­zö­si­schen Auf­klä­rung und Re­vo­lu­ti­on, das heißt in ei­ner gänz­lich un­ger­ma­ni­schen, acht ro­ma­nisch fla­chen und un­me­ta­phy­si­schen Phi­lo­so­phie hat. Ich kann nicht um­hin, in der ge­gen­wär­tig herr­schen­den Na­tio­na­li­tä­ten­be­we­gung und der gleich­zei­ti­gen Ver­brei­tung des all­ge­mei­nen Stimm­rechts vor Al­lem die Wir­kun­gen der Kriegs­furcht zu se­hen, ja im Hin­ter­grün­de die­ser Be­we­gun­gen, als die ei­gent­lich Fürch­ten­den, jene wahr­haft in­ter­na­tio­na­len Hei­mat­lo­sen Geld­ein­sied­ler zu er­bli­cken, die, bei ih­rem na­tür­li­chen Man­gel des staat­li­chen In­stink­tes, es ge­lernt ha­ben, die Po­li­tik zum Mit­tel der Bör­se und Staat und Ge­sell­schaft als Be­rei­che­rungs­ap­pa­ra­te ih­rer selbst zu miß­brau­chen. Ge­gen die von die­ser Sei­te zu be­fürch­ten­de Ablen­kung der Staats­ten­denz zur Geld­ten­denz ist das ein­zi­ge Ge­gen­mit­tel der Krieg und wie­der­um der Krieg: in des­sen Er­re­gun­gen we­nigs­tens doch so­viel klar wird, daß der Staat nicht auf der Furcht vor dem Kriegs­dä­mon, als Schutz­an­stalt egois­ti­scher Ein­zel­ner, ge­grün­det ist, son­dern in Va­ter­lands- und Fürs­ten­lie­be einen ethi­schen Schwung aus sich er­zeugt, der auf eine viel hö­he­re Be­stim­mung hin­weist. Wenn ich also als ge­fähr­li­ches Cha­rak­te­ris­ti­kum der po­li­ti­schen Ge­gen­wart die Ver­wen­dung der Re­vo­lu­ti­ons­ge­dan­ken im Diens­te ei­ner ei­gen­süch­ti­gen staat­lo­sen Gelda­ri­sto­kra­tie be­zeich­ne, wenn ich die un­ge­heu­re Ver­brei­tung des li­be­ra­len Op­ti­mis­mus zu­gleich als Re­sul­tat der in son­der­ba­re Hän­de ge­rat­he­nen mo­der­nen Geld­wirth­schaft be­grei­fe und alle Übel der so­cia­len Zu­stän­de, sammt dem nothwen­di­gen Ver­fall der Küns­te, ent­we­der aus je­ner Wur­zel ent­keimt oder mit ihr ver­wach­sen sehe: so wird man mir einen ge­le­gent­lich an­zu­stim­men­den Päan auf den Krieg zu gute hal­ten müs­sen. Fürch­ter­lich er­klingt sein sil­ber­ner Bo­gen: und kommt er gleich da­her wie die Nacht, so ist er doch Apol­lo, der rech­te Wei­he- und Rei­ni­gungs­gott des Staa­tes. Zu­erst aber, wie es im Be­gin­ne der Ili­as heißt, schnellt er den Pfeil auf die Maul­thie­re und Hun­de. So­dann trifft er die Men­schen selbst, und über­all lo­dern die Holz­sto­ße mit Leich­na­men. So sei es denn aus­ge­spro­chen, daß der Krieg für den Staat eine eben­sol­che No­thwen­dig­keit ist, wie der Skla­ve für die Ge­sell­schaft: und wer möch­te sich die­sen Er­kennt­nis­sen ent­ziehn kön­nen, wenn er sich ehr­lich nach den Grün­den der un­er­reich­ten grie­chi­schen Kunst­vollen­dung fragt?

      Wer den Krieg und sei­ne uni­for­mir­te Mög­lich­keit, den Sol­da­ten­stand, in Be­zug auf das bis­her ge­schil­der­te We­sen des Staa­tes be­trach­tet, muß zu der Ein­sicht kom­men, daß durch den Krieg und im Sol­da­ten­stan­de uns ein Ab­bild, oder gar viel­leicht das Ur­bild des Staa­tes vor Au­gen ge­stellt wird. Hier se­hen wir, als all­ge­meins­te Wir­kung der Kriegs­ten­denz, eine so­for­ti­ge Schei­dung und Zert­hei­lung der chao­ti­schen Mas­se in mi­li­tä­ri­sche Kas­ten, aus de­nen sich py­ra­mi­den­för­mig, auf ei­ner al­ler­brei­tes­ten skla­ven­ar­ti­gen un­ters­ten Schicht, der Bau der »krie­ge­ri­schen Ge­sell­schaft« er­hebt. Der un­be­wuß­te Zweck der gan­zen Be­we­gung zwingt je­den Ein­zel­nen un­ter sein Joch und er­zeugt auch bei he­te­ro­ge­nen Na­tu­ren eine gleich­sam che­mi­sche Ver­wand­lung ih­rer Ei­gen­schaf­ten, bis sie mit je­nem Zwe­cke in Af­fi­ni­tät ge­bracht sind. In den hö­he­ren Kas­ten spürt man schon et­was mehr, um was es sich, bei die­sem in­ner­li­chen Pro­ces­se, im Grun­de han­delt, näm­lich um die Er­zeu­gung des mi­li­tä­ri­schen Ge­ni­us – den wir als den ur­sprüng­li­chen Staa­ten­grün­der ken­nen ge­lernt ha­ben. An man­chen Staa­ten z. B. an der ly­kur­gi­schen Ver­fas­sung Spar­ta’s kann man deut­lich den Ab­druck je­ner Grun­di­dee des Staa­tes, der Er­zeu­gung des mi­li­tä­ri­schen Ge­ni­us, wahr­neh­men. Den­ken wir uns jetzt den mi­li­tä­ri­schen Ur­staat in leb­haf­tes­ter Reg­sam­keit, in sei­ner ei­gent­li­chen »Ar­beit«, und füh­ren wir uns die gan­ze Tech­nik des Kriegs vor Au­gen, so kön­nen wir uns nicht ent­bre­chen, un­se­re über­all­her ein­ge­so­gnen Be­grif­fe von der »Wür­de des Men­schen« und der »Wür­de der Ar­beit« durch die Fra­ge zu cor­ri­gi­ren, ob denn auch zu der Ar­beit, die die Ver­nich­tung von »wür­de­vol­len« Men­schen zum Zwe­cke hat, ob auch zu dem Men­schen, der mit je­ner »wür­de­vol­len Ar­beit« be­traut ist, der Be­griff von Wür­de stimmt, oder ob nicht, in die­ser krie­ge­ri­schen Auf­ga­be des Staa­tes, jene Be­grif­fe, als un­ter ein­an­der wi­der­spruchs­vol­le, sich ge­gen­sei­tig auf­he­ben. Ich däch­te, der krie­ge­ri­sche Mensch wäre ein Mit­tel des mi­li­tä­ri­schen Ge­ni­us und sei­ne Ar­beit wie­der­um nur ein Mit­tel des­sel­ben Ge­ni­us; und nicht ihm, als ab­so­lu­tem Men­schen und Nicht­ge­ni­us, son­dern ihm als Mit­tel des Ge­ni­us – der auch sei­ne Ver­nich­tung als Mit­tel des krie­ge­ri­schen Kunst­werks be­lie­ben kann – kom­me ein Grad von Wür­de zu, je­ner Wür­de näm­lich, zum Mit­tel des Ge­ni­us ge­wür­digt zu sein. Was aber hier an ei­nem ein­zel­nen Bei­spiel ge­zeigt ist, gilt im all­ge­meins­ten Sin­ne: je­der Mensch, mit sei­ner ge­samm­ten Thä­tig­keit, hat nur so­viel Wür­de, als er, be­wußt oder un­be­wußt, Werk­zeug des Ge­ni­us ist; wor­aus so­fort die ethi­sche Con­se­quenz zu er­schlie­ßen ist, daß der »Mensch an sich«, der ab­so­lu­te Mensch, we­der Wür­de, noch Rech­te, noch Pf­lich­ten be­sitzt: nur als völ­lig de­ter­mi­nir­tes, un­be­wuß­ten Zwe­cken die­nen­des We­sen kann der Mensch sei­ne Exis­tenz ent­schul­di­gen.

      Der voll­komm­ne Staat Pla­to’s ist nach die­sen Be­trach­tun­gen ge­wiß noch et­was Grö­ße­res als selbst die Warm­blü­ti­gen un­ter sei­nen Ver­eh­rern glau­ben, gar nicht zu re­den von der lä­cheln­den Über­le­gen­heits­mie­ne, mit der uns­re »his­to­risch« Ge­bil­de­ten eine sol­che Frucht des Al­ter­thums ab­zu­leh­nen wis­sen. Das ei­gent­li­che Ziel des Staa­tes, die olym­pi­sche Exis­tenz und im­mer er­neu­te Zeu­gung und Vor­be­rei­tung des Ge­ni­us, dem ge­gen­über al­les An­de­re nur Werk­zeu­ge, Hülfs­mit­tel und Er­mög­li­chun­gen sind, ist hier durch eine dich­te­ri­sche In­tui­ti­on ge­fun­den und mit Derb­heit hin­ge­malt. Pla­to sah durch die schreck­lich ver­wüs­te­te Her­me des da­ma­li­gen Staats­le­bens hin­durch und ge­wahr­te auch jetzt noch et­was Gött­li­ches in ih­rem In­ne­ren. Er glaub­te dar­an, daß man dies Göt­ter­bild her­aus­neh­men kön­ne und daß die grim­mi­ge und bar­ba­risch ver­zerr­te Au­ßen­sei­te nicht zum We­sen des Staa­tes ge­hö­re: die gan­ze In­brunst und Er­ha­ben­heit sei­ner po­li­ti­schen Lei­den­schaft warf sich auf je­nen Glau­ben, auf je­nen Wunsch – an die­ser Gluth ver­brann­te er. Daß er in sei­nem voll­kom­men Staa­te nicht den Ge­ni­us in sei­nem all­ge­mei­nen Be­griff an die Spit­ze stell­te, son­dern nur den Ge­ni­us der Weis­heit und des Wis­sens, daß er die ge­nia­len Künst­ler aber über­haupt aus sei­nem Staa­te aus­schloß, das war eine star­re Con­se­quenz des so­kra­ti­schen Urt­heils über die Kunst, das Pla­to, im Kamp­fe ge­gen sich selbst, zu dem sei­ni­gen ge­macht hat­te. Die­se mehr äu­ßer­li­che und bei­na­he zu­fäl­li­ge Lücke darf uns nicht hin­dern, in der Ge­sammt­con­cep­ti­on des pla­to­ni­schen Staa­tes die wun­der­bar große Hie­ro­gly­phe ei­ner tief­sin­ni­gen und ewig zu deu­ten­den Ge­heim­leh­re


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