Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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strei­tig ma­chen kön­nen, daß je­nes Ge­fühl beim An­hö­ren die­ser Mu­sik nur des­halb nicht zum schrei­en­den Aus­druck kommt, weil wir, durch die Mu­sik für Bild und Wort völ­lig de­po­ten­zirt, be­reits gar nichts von dem Ge­dich­te Schil­ler’s hö­ren? Al­ler je­ner edle Schwung, ja die Er­ha­ben­heit der Schil­ler’­schen Ver­se wirkt schon ne­ben der wahr­haft naiv-un­schul­di­gen Volks­me­lo­die der Freu­de stö­rend, be­un­ru­hi­gend, selbst roh und be­lei­di­gend: nur daß man sie nicht hört, bei der im­mer vol­le­ren Ent­fal­tung des Chor­ge­san­ges und der Or­che­s­ter­mas­sen, hält jene Emp­fin­dung der In­con­gru­enz von uns fern. Was sol­len wir also von je­nem un­ge­heu­er­li­chen äs­the­ti­schen Aber­glau­ben hal­ten, daß Beetho­ven mit je­nem vier­ten Satz der Neun­ten selbst ein fei­er­li­ches Be­kennt­nis über die Gren­zen der ab­so­lu­ten Mu­sik ab­ge­ge­ben, ja mit ihm die Pfor­ten ei­ner neu­en Kunst ge­wis­ser­ma­ßen ent­rie­gelt habe, in der die Mu­sik so­gar das Bild und den Be­griff dar­zu­stel­len be­fä­higt und da­mit dem »be­wuß­ten Geis­te« er­schlos­sen wor­den sei? Und was sagt uns Beetho­ven selbst, in­dem er die­sen Chor­ge­sang durch ein Re­ci­ta­tiv ein­füh­ren läßt: »Ach Freun­de, nicht die­se Töne, son­dern laßt uns an­ge­neh­me­re an­stim­men und freu­den­vol­le­re«! An­ge­neh­me­re und freu­den­vol­le­re! Dazu brauch­te er den über­zeu­gen­den Ton der Men­schen­stim­me, dazu brauch­te er die Un­schulds­wei­se des Volks­ge­san­ges. Nicht nach dem Wort, aber nach dem »an­ge­neh­me­ren« Laut, nicht nach dem Be­griff, aber nach dem in­nig-freu­den­reichs­ten Tone griff der er­ha­be­ne Meis­ter in der Sehn­sucht nach dem see­len­volls­ten Ge­sammt­klan­ge sei­nes Or­che­s­ters. Und wie konn­te man ihn miß­ver­stehn! Viel­mehr gilt von die­sem Sat­ze ge­nau das­sel­be, was Richard Wa­gner in Be­treff der großen Mis­sa so­lem­nis sagt, die er »ein rein sym­pho­ni­sches Werk des ech­tes­ten Beetho­ven’­schen Geis­tes« nennt. (Beetho­ven, S. 47.) »Die Ge­sang­stim­men sind hier ganz im Sin­ne wie mensch­li­che In­stru­men­te be­han­delt, wel­chen Scho­pen­hau­er die­sen sehr rich­tig auch nur zu­ge­spro­chen wis­sen woll­te: der ih­nen un­ter­ge­leg­te Text wird von uns, ge­ra­de in die­sen großen Kir­chen­com­po­si­tio­nen, – nicht sei­ner be­griff­li­chen Be­deu­tung nach auf­ge­faßt, son­dern er dient, im Sin­ne des mu­si­ka­li­schen Kunst­wer­kes, le­dig­lich als Ma­te­ri­al für den Stimm­ge­sang und ver­hält sich nur des­we­gen nicht stö­rend zu uns­rer mu­si­ka­lisch be­stimm­ten Emp­fin­dung, weil er uns kei­nes­wegs Ver­nunft­vor­stel­lun­gen an­regt, son­dern, wie dies auch sein kirch­li­cher Cha­rak­ter be­dingt, uns nur mit dem Ein­dru­cke wohl­be­kann­ter sym­bo­li­scher Glau­bens­for­meln be­rührt.« Üb­ri­gens zweifle ich nicht, daß Beetho­ven, falls er die pro­jek­tir­te zehn­te Sym­pho­nie ge­schrie­ben hät­te – zu der noch Skiz­zen vor­lie­gen –, eben die zehn­te Sym­pho­nie ge­schrie­ben ha­ben wür­de.

      Na­hen wir uns jetzt, nach die­sen Vor­be­rei­tun­gen, der Be­spre­chung der Oper, um von ihr nach­her zu ih­rem Ge­gen­bild in der grie­chi­schen Tra­gö­die fort­ge­hen zu kön­nen. Was wir im letz­ten Sat­ze der Neun­ten, also auf den höchs­ten Gip­feln der mo­der­nen Mu­si­k­ent­wick­lung, zu be­ob­ach­ten hat­ten, daß der Wor­tin­halt un­ge­hört in dem all­ge­mei­nen Klang­mee­re un­ter­geht, ist nichts Ve­rein­zel­tes und Ab­son­der­li­ches, son­dern die all­ge­mei­ne und ewig gül­ti­ge Norm in der Vo­kal­mu­sik al­ler Zeit, die dem Ur­sprun­ge des ly­ri­schen Lie­des ein­zig ge­mäß ist. Der dio­ny­sisch er­reg­te Mensch hat eben­so­we­nig wie die or­gias­ti­sche Volks­mas­se einen Zu­hö­rer, dem er Et­was mit­zut­hei­len hät­te: wie ihn al­ler­dings der epi­sche Er­zäh­ler und über­haupt der apol­li­ni­sche Künst­ler vor­aus­setzt. Es liegt viel­mehr im We­sen der dio­ny­si­schen Kunst, daß sie die Rück­sicht auf den Zu­hö­rer nicht kennt: der be­geis­ter­te Dio­ny­sus­die­ner wird, wie ich an ei­ner frü­he­ren Stel­le sag­te, nur von Sei­nes­glei­chen ver­stan­den. Den­ken wir uns aber einen Zu­hö­rer bei je­nen en­de­mi­schen Aus­brü­chen der dio­ny­si­schen Er­re­gung, so müß­ten wir ihm ein Schick­sal weis­sa­gen, wie es Pentheus, der ent­deck­te Lau­scher, er­litt: näm­lich von den Mä­na­den zer­ris­sen zu wer­den. Der Ly­ri­ker singt »wie der Vo­gel singt«, al­lein, aus in­ners­ter Nö­thi­gung und muß ver­stum­men, wenn ihm der Zu­hö­rer for­dernd ent­ge­gen­tritt. Des­halb wür­be es durch­aus un­na­tür­lich sein, vom Ly­ri­ker zu ver­lan­gen, daß man auch die Text­wor­te sei­nes Lie­des ver­stün­de, un­na­tür­lich, weil hier der Zu­hö­rer for­dert, der über­haupt bei dem ly­ri­schen Er­guß kein Recht be­an­spru­chen darf. Nun fra­ge man sich ein­mal auf­rich­tig, mit den Dich­tun­gen der großen an­ti­ken Ly­ri­ker in der Hand, ob sie auch nur dar­an ge­dacht ha­ben kön­nen, der um­her­ste­hen­den lau­schen­den Volks­men­ge mit ih­rer Bil­der- und Ge­dan­ken­welt deut­lich zu wer­den: man be­ant­wor­te sich die­se ernst­haf­te Fra­ge, mit dem Blick auf Pin­dar und die äschy­lei­schen Chor­ge­sän­ge. Die­se kühns­ten und dun­kels­ten Ver­schlin­gun­gen des Ge­dan­kens, die­ser un­ge­stüm sich neu ge­ba­ren­de Bil­der­stru­del, die­ser Ora­kel­ton des Gan­zen, den wir, ohne die Ablen­kung durch Mu­sik und Or­che­s­tik, bei an­ge­spann­tes­ter Auf­merk­sam­keit so oft nicht durch­drin­gen kön­nen – die­se gan­ze Welt von Mi­ra­keln soll­te der grie­chi­schen Men­ge durch­sich­tig wie Glas, ja eine bild­lich-be­griff­li­che In­ter­pre­ta­ti­on der Mu­sik ge­we­sen sein? Und mit sol­chen Ge­dan­ken­mys­te­ri­en, wie sie Pin­dar ent­hält, hat­te der wun­der­ba­re Dich­ter die an sich ein­dring­lich deut­li­che Mu­sik noch ver­deut­li­chen wol­len? Soll­te man hier nicht zur Ein­sicht in Das kom­men müs­sen, was der Ly­ri­ker ist, näm­lich der künst­le­ri­sche Mensch, der die Mu­sik sich durch die Sym­bo­lik der Bil­der und Af­fek­te deu­ten muß, der aber dem Zu­hö­rer Nichts mit­zut­hei­len hat: der so­gar, in völ­li­ger Ent­rückt­heit, ver­gißt, wer gie­rig lau­schend in sei­ner Nähe steht. Und wie der Ly­ri­ker sei­nen Hym­nus, so singt das Volk das Volks­lied, für sich, aus in­ne­rem Dran­ge, un­be­küm­mert, ob das Wort ei­nem Nicht­mit­sin­gen­den ver­ständ­lich ist. Den­ken wir an uns­re eig­nen Er­fah­run­gen im Ge­bie­te der hö­he­ren Kunst­mu­sik: was ver­stan­den wir vom Tex­te ei­ner Mes­se Pa­le­stri­na’s, ei­ner Can­ta­te Bach’s, ei­nes Ora­to­ri­ums Hän­del’s, wenn wir nicht etwa selbst mit­s­an­gen? Nur für den Mit­sin­gen­den giebt es eine Ly­rik, giebt es Vo­kal­mu­sik: der Zu­hö­rer steht ihr ge­gen­über als ei­ner ab­so­lu­ten Mu­sik.

      Nun aber be­ginnt die Oper, nach den deut­lichs­ten Zeug­nis­sen, mit der For­de­rung des Zu­hö­rers, das Wort zu ver­stehn.

      Wie? Der Zu­hö­rer for­dert? Das Wort soll ver­stan­den wer­den?

      *

      Die Mu­sik aber nun gar in den Dienst ei­ner Rei­he von Bil­dern und Be­grif­fen zu stel­len, sie als Mit­tel zum Zweck, zu ih­rer Ver­stär­kung und Ver­deut­li­chung, zu ver­wen­den – die­se son­der­ba­re An­ma­ßung, die im Be­griff der »Oper« ge­fun­den wird, er­in­nert mich an den lä­cher­li­chen Men­schen, der sich mit sei­nen eig­nen Ar­men in die Luft zu he­ben ver­sucht: was die­ser Narr, und was die Oper nach je­nem Be­grif­fe ver­su­chen, sind rei­ne Un­mög­lich­kei­ten. Je­ner Opern­be­griff for­dert nicht etwa von der Mu­sik einen Miß­brauch, son­dern – wie ich sag­te – eine Un­mög­lich­keit! Die Mu­sik kann nie Mit­tel wer­den, man mag sie sto­ßen, schrau­ben, fol­tern: als Ton, als Trom­mel­wir­bel, auf ih­ren ro­he­s­ten


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