Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Poe­sie kann noch über das We­sen der Mu­sik und der Poe­sie be­leh­ren.

      Wenn also zum Bei­spiel Scho­pen­hau­er die Nor­ma Bel­li­ni’s als Er­fül­lung der Tra­gö­die, hin­sicht­lich ih­rer Mu­sik und Dich­tung, emp­fand, so war er, in sei­ner dio­ny­sisch-apol­li­ni­schen Er­re­gung und Selbst­ver­ges­sen­heit, dazu völ­lig be­rech­tigt, weil er Mu­sik und Dich­tung in ih­rem all­ge­meins­ten, gleich­sam phi­lo­so­phi­schen Wert­he, als Mu­sik und Dich­tung über­haupt, emp­fand: wäh­rend er mit je­nem Urt­heil einen nur we­nig ge­bil­de­ten, d. h. his­to­risch ver­glei­chen­den Ge­schmack be­wies. Uns, die wir in die­ser Un­ter­su­chung ab­sicht­lich je­der Fra­ge nach dem his­to­ri­schen Wert­he ei­ner Kuns­ter­schei­nung aus dem Wege ge­hen und nur die Er­schei­nung selbst, in ih­rer un­ver­än­der­ten gleich­sam ewi­gen Be­deu­tung, so­mit auch in ih­rem höchs­ten Ty­pus, in’s Auge zu fas­sen uns be­mühn – uns gilt die Kunst­gat­tung der Oper als eben­so be­rech­tigt wie das Volks­lied, in­so­fern wir in bei­den jene Ve­rei­ni­gung des Dio­ny­si­schen und Apol­li­ni­schen vor­fin­den und für die Oper – näm­lich für den höchs­ten Ty­pus der Oper – eine ana­lo­ge Ent­ste­hung vor­aus­set­zen dür­fen wie für das Volks­lied. Nur in­so­fern die uns his­to­risch be­kann­te Oper seit ih­rem An­fang eine völ­lig ver­schie­de­ne Ent­ste­hung hat als das Volks­lied, ver­wer­fen wir die­se »Oper«: als wel­che sich zu je­nem eben von uns vert­hei­dig­ten Gat­tungs­be­griff der Oper ver­hält wie die Ma­rio­net­te zum le­ben­den Men­schen. So ge­wiß auch die Mu­sik nie Mit­tel, im Diens­te des Tex­tes, wer­den kann, son­dern auf je­den Fall den Text über­win­det: so wird sie doch si­cher­lich schlech­te Mu­sik, wenn der Com­po­nist jede in ihm auf­stei­gen­de dio­ny­si­sche Kraft durch einen ängst­li­chen Blick auf die Wor­te und Ges­ten sei­ner Ma­rio­net­ten bricht. Hat ihm der Opern­dich­ter über­haupt nicht mehr als die üb­li­chen sche­ma­ti­sir­ten Fi­gu­ren mit ih­rer ägyp­ti­schen Re­gel­mä­ßig­keit ge­bo­ten, so wird der Werth der Oper um so hö­her sein, je frei­er, un­be­ding­ter, dio­ny­si­scher die Mu­sik sich ent­fal­tet und je mehr sie alle so­ge­nann­ten dra­ma­ti­schen An­for­de­run­gen ver­ach­tet. Die Oper in die­sem Sin­ne ist dann frei­lich im bes­ten Fal­le gute Mu­sik und nur Mu­sik: wäh­rend die da­bei ab­ge­spiel­te Gau­ke­lei gleich­sam nur eine phan­tas­ti­sche Ver­klei­dung des Or­che­s­ters, vor Al­lem sei­ner wich­tigs­ten In­stru­men­te, der Sän­ger, ist, von der der Ein­sich­ti­ge sich la­chend ab­wen­det. Wenn die große Mas­se sich ge­ra­de an ihr er­götzt und die Mu­sik da­bei nur ge­stat­tet: so geht es ihr wie al­len De­nen, die den gol­de­nen Rah­men ei­nes gu­ten Ge­mäl­des hö­her als die­ses selbst schät­zen: Ver­möch­te sol­chen nai­ven Ver­ir­run­gen noch eine ernst­haf­te oder gar pa­the­ti­sche Ab­fer­ti­gung gön­nen?

      Was wird aber die Oper als »dra­ma­ti­sche« Mu­sik zu be­deu­ten ha­ben, in ih­rer mög­lichst wei­ten Ent­fer­nung von rei­ner, an sich wir­ken­der, al­lein dio­ny­si­scher Mu­sik? Den­ken wir uns ein bun­tes lei­den­schaft­li­ches und den Zuschau­er fort­rei­ßen­des Dra­ma, das als Ak­ti­on be­reits sei­nes Er­fol­ges si­cher ist: was wird hier »dra­ma­ti­sche« Mu­sik noch hin­zut­hun kön­nen, wenn sie nichts da­von­nimmt? Sie wird aber ers­tens viel da­von­neh­men: denn in je­dem Mo­men­te, wo ein­mal die dio­ny­si­sche Ge­walt der Mu­sik in den Zu­hö­rer ein­schlägt, um­flort sich das Auge, das die Ak­ti­on sieht, das sich in die vor ihm auf­tre­ten­den In­di­vi­du­en ver­senkt hat: der Zu­hö­rer ver­gißt jetzt das Dra­ma und wacht erst wie­der für das­sel­be auf, wenn ihn der dio­ny­si­sche Zau­ber los­ge­las­sen hat. In­so­fern die Mu­sik aber den Zu­hö­rer das Dra­ma ver­ges­sen macht, ist sie noch nicht »dra­ma­ti­sche« Mu­sik: was ist das aber für Mu­sik, die kei­ne dio­ny­si­sche Ge­walt auf den Hö­rer äu­ßern darf? Und wie ist sie mög­lich? Sie ist mög­lich als rein con­ven­tio­nel­le Sym­bo­lik, in der die Con­ven­ti­on alle na­tür­li­che Kraft aus­ge­so­gen hat: als Mu­sik, die sich zu Erin­ne­rungs­zei­chen ab­ge­schwächt hat: und ihre Wir­kung hat dar­in ihr Ziel, den Zuschau­er an Et­was zu mah­nen, was ihn beim An­blick des Dra­mas, zu des­sen Ver­ständ­niß, nicht ent­gehn darf: wie ein Trom­pe­ten­si­gnal für das Pferd eine Auf­for­de­rung zum Tra­be ist. End­lich wäre noch vor Be­ginn des Dra­mas und in Zwi­schen­sce­nen oder in lang­wei­li­gen, für die dra­ma­ti­sche Wir­kung zwei­fel­haf­ten Stel­len, ja selbst in sei­nen höchs­ten Mo­men­ten, eine an­de­re, nicht mehr rein con­ven­tio­nel­le Erin­ne­rungs­mu­sik er­laubt, näm­lich Auf­re­gungs­mu­sik, als Sti­mu­lanz­mit­tel für stump­fe oder ab­ge­spann­te Ner­ven. Die­se bei­den Ele­men­te ver­mag ich al­lein in der so­ge­nann­ten dra­ma­ti­schen Mu­sik zu un­ter­schei­den: eine con­ven­tio­nel­le Rhe­to­rik und Erin­ne­rungs­mu­sik und eine vor Al­lem phy­sisch wir­ken­de Auf­re­gungs­mu­sik: und so schwankt sie zwi­schen Trom­mel­lärm und Si­gnal­horn ein­her, wie die Stim­mung des Krie­gers, der in die Schlacht zieht. Nun aber ver­langt der durch Ver­glei­chung ge­bil­de­te und an rei­ner Mu­sik sich er­la­ben­de Sinn für jene bei­den miß­bräuch­li­chen Ten­den­zen der Mu­sik eine Mas­ke­ra­de; es soll »Erin­ne­rung« und »Auf­re­gung« ge­bla­sen wer­den, aber in gu­ter Mu­sik, die an sich ge­nieß­bar, ja wert­h­voll sein muß: wel­che Verzweif­lung für den dra­ma­ti­schen Mu­si­ker, der die große Trom­mel mas­ki­ren muß durch gute Mu­sik, die aber doch nicht »rein mu­si­ka­lisch« son­dern nur auf­re­gend wir­ken darf! Und nun kommt das große mit tau­send Köp­fen wa­ckeln­de Phi­lis­ter-Pub­li­kum und ge­nießt die­se sich im­mer vor sich selbst schä­men­de »dra­ma­ti­sche Mu­sik« mit Haut und Haar, ohne et­was von ih­rer Scham und Ver­le­gen­heit zu mer­ken. Viel­mehr fühlt es sein Fell an­ge­nehm ge­kit­zelt: ihm wird ja ge­hul­digt in al­len For­men und Wei­sen, ihm dem zer­streu­ungs­süch­ti­gen mat­t­äu­gi­gen Ge­nüß­ling, der Auf­re­gung braucht, ihm dem ein­ge­bil­de­ten Ge­bil­de­ten, der an gu­tes Dra­ma und gute Mu­sik wie an gute Kost sich ge­wöhnt hat, ohne üb­ri­gens viel dar­aus zu ma­chen, ihm dem ver­geß­li­chen und zer­streu­ten Egois­ten, der zum Kunst­wer­ke mit Ge­walt und mit Si­gnal­hör­nern zu­rück­ge­führt wer­den muß, weil fort­wäh­rend ihm ei­gen­süch­ti­ge Plä­ne, auf Ge­winn oder Ge­nuß ge­rich­tet, durch den Kopf kreu­zen. Weh­se­li­ge dra­ma­ti­sche Mu­si­ker! »Be­seht die Gön­ner in der Nähe! Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.« »Was plagt ihr ar­men Tho­ren viel, zu sol­chem Zweck, die hol­den Mu­sen?« Und daß die­se von ih­nen ge­plagt, ja ge­mar­tert und ge­schun­den wer­den – sie leug­nen es selbst nicht, die Auf­rich­tig-Un­glück­li­chen!

      Wir hat­ten ein lei­den­schaft­li­ches den Zu­hö­rer fort­rei­ßen­des Dra­ma vor­aus­ge­setzt, das auch ohne Mu­sik sei­ner Wir­kung ge­wiß sei: ich fürch­te, Das, was an ihm »Dich­tung« und nicht ei­gent­li­che »Hand­lung« ist, wird sich zu wah­rer Dich­tung ähn­lich ver­hal­ten wie die dra­ma­ti­sche Mu­sik zur Mu­sik über­haupt: es wird Erin­ne­rungs- und Auf­re­gungs­dich­tung sein. Die Poe­sie wird als Mit­tel die­nen, um con­ven­ti­ons­mä­ßig an Ge­füh­le und Lei­den­schaf­ten zu er­in­nern, de­ren Aus­druck durch wirk­li­che Dich­ter ge­fun­den und mit ih­nen be­rühmt, ja nor­mal ge­wor­den ist. So­dann wird ihr zu­ge­mu­thet wer­den, der ei­gent­li­chen »Hand­lung«, sei das nun eine cri­mi­na­lis­ti­sche Schre­ckens­ge­schich­te oder eine ver­wand­lungs­tol­le Zau­be­rei, in den ge­fähr­li­chen Mo­men­ten auf­zu­hel­fen und um die Roh­heit der Ak­ti­on selbst einen ver­hül­len­den Schlei­er zu brei­ten. Im Ge­fühl der Scham, daß die Dich­tung


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