Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding
Читать онлайн книгу.von Holland aus auf Hannover hin operiert, daß sodann die Hauptmacht, den Feldzug Moreaus wiederholend, vom Süden heraufdringt und immer an der Grenze der süddeutschen Staaten, deren Bevölkerungen durch unsere Agenten vorbereitet werden, die Alternative stellt: Allianz oder feindliche Invasion, so müssen mir Eure Majestät zugestehen, daß diese Chancen vielleicht schwerer wiegen, als die Allianzen und Versprechungen europäischer Höfe. Preußen wird so viel Truppen brauchen, um seine Feinde im Innern zu bewachen und niederzuhalten, daß ihm nur wenige übrigbleiben werden, um sie unseren Armeen entgegenzustellen.«
Der Kaiser lächelte. »Da ist mein Minister der auswärtigen Angelegenheiten, der Kriegspläne macht, Sie haben den Marschall Niel gesprochen?«
»Ich gestehe, Sire,« sagte der Marquis, »daß ich ein wenig den Marschall sondiert habe, indes ergibt sich jener Feldzugsplan ebensosehr aus politischen Gesichtspunkten, wie aus militärischen.«
»In der Tat,« sprach der Kaiser mehr zu sich selber, als zu dem Marquis, »sind das die Gedanken Niels, nur für später, er ist noch nicht fertig, auch will er einen Winterfeldzug machen!«
»Eure Majestät sind also entschlossen.« fragte der Minister, »ernsthaft und rücksichtslos vorzugehen?«
»Rücksichtslos?« sagte der Kaiser, »das würde unsere Position nicht verbessern; man muß uns nicht vorwerfen können, die Brandfackel in das politische Gebäude Europas geschleudert zu haben, auch ist die Situation noch nicht ganz klar. Gramont wird hierher kommen?«
»In diesen Tagen,« erwiderte der Marquis, »ich kann nach seiner Nachricht ihn heute schon erwarten.«
»Ich bin begierig, ihn zu sprechen,« sagte der Kaiser, »dieser Herr von Beust macht aus Österreich eine so komplizierte Maschine, daß ich fürchte, er wird sehr bald selbst die Direktion verlieren und diesen originellen Mechanismus nicht mehr bewegen können. – Apropos,« unterbrach er sich, »Österreich spielt ein merkwürdiges Spiel im Orient! Mich erfüllt das mit einiger Besorgnis. Sollte Herr von Beust, der sich zuweilen in höchst sonderbaren Gedanken und Experimenten gefällt, an eine Wiederaufrichtung jener alten, sogenannten heiligen Allianz denken, die wir mit so vieler Mühe getrennt haben? Er macht Rußland merkwürdige Avancen – die Revision des Vertrages von 1856 –«
»Eure Majestät sind ja selbst zu einer solchen Revision bereit,« warf der Marquis ein.
»Wenn ich,« sagte der Kaiser lächelnd, »eine Basis der Verständigung mit Rußland habe, so ist es darum nicht nötig, daß Herr von Beust sich das Verdienst derselben aneignet, eine östliche Koalition ist dasjenige, was vor allem um jeden Preis vermieden werden muß, sie könnte mit logischer Notwendigkeit ihre Spitze nur gegen uns kehren.«
»Also würden wir uns gegen die österreichischen Provositionen erklären müssen?« fragte der Marquis.
»Dadurch würden wir gerade das hervorrufen, was wir vermeiden wollen,« sagte der Kaiser, seinen Schnurrbart drehend, »wir dürfen weder Rußland feindlich gegenübertreten, noch auf der anderen Seite dulden, daß die orientalische Frage irgendwie einer endgültigen Lösung oder auch nur einem vorläufigen Abkommen entgegengeführt werde. – Wir müssen Österreich überbieten!« setzte er nach einem kurzen Nachdenken hinzu.
Der Marquis machte eine Bewegung des Erstaunens.
»Wir müssen es so weit überbieten, daß – alles beim alten bleibt!« sagte der Kaiser lächelnd.
»Ah!« machte der Marquis, indem er mehrmals mit dem Kopfe nickte.
»Lassen Sie uns vorschlagen, daß Kandia, Thessalien und Epirus, um der dortigen Unzufriedenheit ein- für allemal ein Ende zu machen, gänzlich von der Türkei abgetrennt und mit Griechenland vereinigt werden mögen! – das wird dann schließlich England erwecken – und es wird alles bleiben, wie es war. – Jedenfalls darf Österreich kein Weg zu anderen Allianzen offen gelassen werden!«
Der Marquis verneigte sich.
»Aber,« sagte er dann, »um auf die luxemburgische Frage zurückzukommen, Eure Majestät befehlen also, daß unsere Sprache in derselben sehr fest und energisch sein solle –«
»Ahmen wir das Beispiel unseres Gegners nach,« sagte der Kaiser, »und hüllen wir uns zunächst in eine kühle Zurückhaltung, echauffieren wir uns nicht vor der Zeit, die Sache wird ja doch vor eine europäische Konferenz kommen, es ist das gar nicht zu vermeiden, engagieren wir uns also nach keiner Richtung –«
»Aber, Sire,« rief der Marquis, »sollen wir denn eine neue direkte moralische Niederlage ertragen?«
»Wir wollen Zeit gewinnen,« sagte der Kaiser mit freundlichem und verbindlichem Lächeln, »und das ist ein großer Gewinn.«
Der Marquis biß mit unzufriedener Miene auf seinen kleinen Schnurrbart.
»Übrigens,« fuhr der Kaiser fort, »dürfen wir nicht versäumen, eine energische Aktion vorzubereiten, ich bitte Sie, mein lieber Marquis, sich mit Lavalette zu verständigen, um durch die Presse auf die öffentliche Meinung wirken zu lassen, damit die nationale Seite ein wenig anklinge, auch wird es gut sein, die militärischen Rüstungen scharf zu betreiben und einige Truppen gegen die Grenze zu dirigieren. – Ich werde mit dem Marschall Kriegsminister sogleich darüber sprechen.«
Die Züge des Ministers klärten sich auf.
»Lord Cowley hat die bons offices Englands angeboten,« sagte er dann, »er hat auch eine Audienz bei Eurer Majestät erbeten und wird wahrscheinlich bald hier sein.«
Napoleon zuckte die Achseln.
»Wo es die Verkleisterung eines Konfliktes gilt, sei es auch nur auf sechs Wochen – da ist man der bons offices Englands sicher!« sagte er, »ich werde ihn empfangen, um die Phrasen zu hören, die ich schon zum voraus genau kenne! Ich bitte Sie, sogleich wiederzukommen, mein lieber Marquis,« fügte er hinzu, »sobald Sie neue Nachrichten von Wichtigkeit haben.«
Der Marquis stand auf, faltete seine Papiere zusammen und entfernte sich, indem er mit tiefer Verbeugung sprach:
»Ich wünsche, daß es Frankreich diesmal vergönnt sein möge, Reparation für Sadowa zu erlangen.«
Der Kaiser blickte ihm lange schweigend nach. Sein Auge verschleierte sich tiefer und tiefer, sein Kopf sank fast auf die Brust hinab.
»Sie haben es leicht,« sagte er dumpf, »mich zum Kriege zu drängen, was setzen sie ein, was würden sie verlieren, wenn der Würfel des Krieges ungünstig fiele? – Und halte ich den Sieg in meiner Hand? gebiete ich dem Gott der Schlachten, wie mein Oheim? – Ich fühle,« sagte er immer leiser und dumpfer, immer mehr in sich zusammensinkend, »daß die Fäden eines bösen Verhängnisses mich dichter und dichter umziehen, ich sehe den Kampf mit Deutschland immer mehr mit zwingender Notwendigkeit herannahen, diesen Kampf, den ich nicht will, von dem eine innere Stimme mir sagt, daß er verderblich sein wird für mein Haus!«
Er richtete sich empor.
»Wenn es denn aber sein muß, so sollen wenigstens alle Chancen des Sieges auf meiner Seite sein,« sprach er mit festerer Stimme, »die mächtige Waffe, welche meinen Oheim niederwarf, will ich für mich benutzen, ich will Preußen die Koalition entgegenstellen, Italien und Österreich, das ist es, an der Spitze dieser dreifachen Macht wird es nicht mehr Tollkühnheit sein, das Spiel zu wagen, aber besser wäre es doch,« fuhr er wieder leise und sinnend fort, »wenn ich mit Deutschland mich verbinden könnte, bei diesem Deutschland ist die Kraft, es vereinigt und vertritt alle Ideen, welche ich als wahr und richtig erkannt habe, sollte sich der Weg nicht finden lassen, um diese jugendlich wachsende Macht zu gewinnen, sollte dieser Mann, den ich für leicht, für oberflächlich, für einen genialen Sonderling hielt, den ich zu lenken, zu beherrschen hoffte, sollte er gar keine zugängliche Seite haben?«
Er versank in tiefes Nachdenken.
Der Kammerdiener trat ein und überreichte dem Kaiser ein versiegeltes Papier. Zugleich meldete er:
»Seine Exzellenz der Staatsminister steht zu Eurer Majestät Befehl!«
Der