Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding
Читать онлайн книгу.uns fortwährend folgt, bald geht er auf dem Trottoir, bald in der Mitte der Allee, aber so oft wir umkehren, tut er's auch, das hat etwas zu bedeuten, wir müssen uns trennen!«
»Bah!« rief Herr von Tschirschnitz, »vielleicht ein harmloser, zufälliger Spaziergänger, was kann man von uns wollen? – Wir gehen hier unter freiem Himmel vor den Augen aller Welt spazieren und übrigens haben wir nichts Kompromittierendes, alle Papiere, deren überhaupt nicht viel existieren, sind in Sicherheit.«
»Und Eure dreißigtausend Taler?« fragte Herr von Hartwig.
»Donnerwetter!« rief Herr von Tschirschnitz, »jedermann weiß, daß ich soviel Geld nicht habe – das wäre ein angenehmes Corpus delicti. – Ja, Ihr habt recht,« sagte er dann, leicht den Kopf umdrehend, »da steht der Mensch, den ich schon einige Male gesehen, vor einem Schaufenster, gehen wir auseinander, damit teilen wir die Spur und können vielleicht auch sehen, auf wen es denn eigentlich abgesehen ist. – Ich werde zur Georgshalle gehen,« fuhr er fort, »und dort etwas essen, heute nacht reise ich. – Auf Wiedersehen,« sagte er, Herrn von Hartwig die Hand drückend, – »und auch Euch hoffe ich bald zu sehen, Wendenstein, wenn es etwas Ernstes gibt.«
Die drei Herren drückten sich die Hände und gingen nach verschiedenen Seiten auseinander, Herr von Tschirschnitz trat in das große Restaurationslokal des Herrn Kasten, dem Theater gegenüber, bestellte ein kleines Souper und trat dann an das Fenster, mit sorglosem Ausdruck hinausblickend. Er sah den Leutnant von Wendenstein langsam über den Platz nach der inneren Stadt hinschreiten. Ein Mann in einfachem grauen Zivilanzug, welcher an einem großen Bilderladen gegenüber die ausgehängten Kupferstiche betrachtet hatte, verließ das Schaufenster und folgte in weiter Entfernung dem jungen Mann.
»Richtig auf der falschen Fährte!« flüsterte Hell von Tschirschnitz mit Zufriedenem Lächeln, »lassen wir ihn ruhig den Unrechten beobachten, wir werden bald in Sicherheit sein.«
Und mit heiterer Miene nahm er vor dem für ihn bereiteten Kuvert Platz.
Der Leutnant von Wendenstein ging langsam und nachdenkend seinem elterlichen Hause zu.
Er dachte an die Vergangenheit, an den frischen, fröhlichen Krieg im vergangenen Jahre, an die Kameraden, die da jetzt hinauszogen zu einem Leben voll bunten Wechsels, voll bewegter Abenteuer, und fast wollte ihn schmerzliche Wehmut überkommen, daß er nun hier Zurückbleiben sollte im stillen, häuslichen Kreise, in des Lebens ruhigem Gleichmaß abwartend, was die Zukunft bringen werde. Sein Herz schlug so jung und frisch dem glühenden, wallenden Leben entgegen, und der Reiz der reichen Fülle ritterlicher Romantik, der seinen Kameraden entgegenschimmerte, lockte und bewegte seine Seele in allem Farbenglanz jugendlicher Phantasie.
Aber dann trat Helenens Bild vor ihn, mit den tiefen, klaren Augen, mit dem Lächeln voll Liebe und Vertrauen, er dachte, daß diese Augen sich in Tränen verhüllen würden, daß dies Lächeln verschwinden würde, wenn er fortginge, er, an den diese Liebe sich rankte, auf den dies Vertrauen sich stützte, und unwillkürlich schüttelte er den Kopf, wie um die lockenden Bilder des Lebens da draußen von sich zu werfen, sein Blick leuchtete in weichem Schimmer, und leise sprach er: »Ich bin zum Leben Zurückgerufen von den Grenzen des Todes, dies neu geschenkte Leben soll allein ihr gehören, deren sanfter, treuer Blick so tröstend und hoffnungsreich auf mir ruhte, als ich im Todeskampfe dalag, deren süßer Gruß mir entgegentönte, als ich zu Kraft und Gesundheit zurückkehrte!«
Raschen Schrittes kehrte er nach Hause zurück und stieg in sein Zimmer hinauf.
Hier öffnete er einen Sekretär, nahm ein Paket Briefe und ein Blatt Papier mit Adressen, legte alles in ein großes Kouvert und siegelte es mit seinem Siegelringe zu. Dann verschloß er alles wieder und steckte den Schlüssel zu sich.
»So,« sprach er, »da sind die Papiere wohlverwahrt, mag man nun den einen oder den anderen der Abreisenden arretieren, man wird nichts bei ihnen finden, und ich,« sagte er lächelnd, mit einem leichten Anflug von Wehmut, »nun – ich werde ein so ruhiges und stilles Leben führen, daß man bei mir wohl schwerlich jemals nachsuchen wird.«
Langsam stieg er hinab in das Familienzimmer.
Hier war alles wie sonst. Der gesellige Teetisch war bereitet, die Tochter des Hauses und Helene legten eben die letzte Hand an sein Arrangement, das in den alten Familien Hannovers nach der englischen Sitte einen sehr wesentlichen Mittelpunkt des häuslichen Komforts bildet, und Frau von Wendenstein betrachtete von ihrem Eckplatze im Sofa aus mit wohlgefälligen Blicken die geschickte Geschäftigkeit der jungen Mädchen.
Helene strahlte von stiller, lächelnder Glückseligkeit. Zu der besonderen Freude, mit welcher junge Mädchen, sobald die Liebe in ihr Herz eingezogen, alle jene kleinen Pflichten der Hausfrau erfüllen, welche ihnen im lieblichen Schimmer der Hoffnung jene künftigen Tage näherführen, in denen sie das eigene Haus zur anmutigen Heimat für den Geliebten zu gestalten haben werden, zu dieser stillen, süßen und sehnsuchtsvollen Freude gesellte sich in ihrem Herzen das Gefühl einer überstandenen Gefahr, denn in dem vollen Vertrauen wahrer und ernster Liebe hatte ihr Verlobter ihr von dem gesagt, was in den Kreisen seiner Kameraden vorging, sie hatte geschwiegen und kein Wort gesprochen, um ihn zurückzuhalten, aber mit innerem, jubelndem Entzücken hatte sie endlich seinen Entschluß vernommen, jenen Weg nicht zu betreten, der ihn von ihr und den Hoffnungen der Zukunft trennen mußte.
Der alte Herr ging seiner Gewohnheit gemäß langsam im Zimmer auf und ab. Finster blickte er vor sich, traurig der versunkenen Vergangenheit gedenkend, es wollte ihm nicht behagen hier in der Stadt, in der Untätigkeit, und fast murrte er gegen die Vorsehung, daß all diese Umwälzung und Zerstörung nicht später gekommen sei, daß er nicht noch hatte heimgehen können nach seinem vollbrachten Lebenswerk im alten Hannover, bevor die Zeit, welcher sein Leben, Lieben und Wirken gehört hatte, hinabgesunken war unter dem Anprall der Wogen einer neuen Strömung im Völkerleben.
Finster blickte er zur Tür, durch welche sein Sohn eintrat. Aber als er das frische Gesicht des jungen Mannes, seine kräftige Gestalt sah, da wurde sein Blick milder und richtete sich mit weichem Ausdruck nach oben, wie um für das Murren seines alten Herzens die Verzeihung Gottes zu erbitten, der ihm ja diesen Sohn gelassen und in all dem Zusammensturz so vieler Verhältnisse seine Familie unversehrt erhalten hatte.
Helene eilte ihrem Verlobten entgegen und reichte ihm die Hand. Er schloß sie innig in seine Arme und drückte einen Kuß auf ihre reine, weiße Stirn. Zitterte in seinem Herzen noch ein leiser Klang jenes Rufes aus der Ferne nach, der so lockend zu ihm gedrungen war, so verschwand er jetzt in der reinen, lieblichen Harmonie, mit welcher der Blick der Geliebten ihn erfüllte.
»Soeben wurde mir ein Brief meines Bruders gegeben,« sagte der junge Mann, indem er seinem Vater einen Brief reichte, dann fetzte er sich zu seiner Mutter, und Helene sanft zu seiner Seite auf einen Sessel niederziehend, begann er heiter und scherzend Zu plaudern, während der Oberamtmann den Brief seines Sohnes las. »Herbert ist sehr Zufrieden mit seiner Stellung,« sagte der alte Herr nach einiger Zeit, an den Tisch herantretend, »er rühmt wiederholt die Freundlichkeit, mit welcher man ihm entgegenkommt, – nun,« sagte er lächelnd, »sie werden in Berlin sehen, daß die hannoverschen Beamten in keiner schlechten Schule waren, und daß die »Mißregierung«, von welcher die Zeitungen sprachen, doch so schlimm nicht gewesen ist. – Aber,« fuhr er ernster fort, »er schreibt auch, daß man dort von agitatorischen Bewegungen unterrichtet sei, welche in diesem Augenblick stärker als je hier im Gange wären, man sei bisher nachsichtig gewesen, jetzt aber bei der Verwicklung der auswärtigen Politik seien diese Dinge ernster, und man sei entschlossen, mit rücksichtslosester Strenge allen solchen Bewegungen, namentlich in den Kreisen der früheren Offiziere, entgegenzutreten und dieselben als Hochverrat nach der Strenge der Gesetze zu bestrafen. – »Man sollte doch,« fuhr der alte Herr mit einem bedeutungsvollen Blick auf seinen Sohn fort, »alle die jungen Herren zur äußersten Vorsicht ermahnen; wie leicht kann eine unvorsichtige Handlung sie für ihr ganzes Leben unglücklich machen!«
Frau von Wendenstein blickte sorgenvoll zu ihrem Sohne hinüber, Helene schlug die Augen nieder und zitterte leicht.
»Nun,« sagte der Leutnant lächelnd, »ich bin die Vorsicht selber, und ich hoffe auch, daß diejenigen meiner Kameraden, welche