Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding

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Die wichtigsten Werke von Oskar Meding - Oskar  Meding


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er stellte einen kleinen Spiegel auf den Tisch, das Licht daneben, drückte Herrn von Tschirschnitz auf den Stuhl davor und reichte ihm ein Rasiermesser

      Dann schlug er Seifenschaum und seifte den schönen Vollbart des Offiziers mit einer Geschwindigkeit und Geschicklichkeit ein, welche dem geübtesten Barbier Ehre gemacht hätte.

      Herr von Tschirschnitz ließ mit großen, erstaunten Augen diese überraschende Manipulation an sich vollziehen.

      Endlich konnte er nicht umhin, laut aufzulachen.

      »Ich bitte Sie um Gottes willen, lachen Sie nicht, sondern rasieren Sie sich,« rief der kleine Sonntag, »die Augenblicke sind kostbar, oder soll ich –«

      Er streckte die Hand nach dem Messer aus.

      »Nein, nein,« rief Herr von Tschirschnitz immer lachend, »Sie könnten mir in Ihrem Eifer die Nase fortnehmen!«

      »Diese Herren sind doch nie zum Ernst zu bringen,« rief Sonntag halb lachend, halb unmutig, »schnell, schnell –«

      In einigen Minuten war der schöne, braune Bart von dem Gesicht des Offiziers verschwunden.

      »Auch den Schnurrbart?« fragte er mit leichtem Zögern.

      »Mein Gott, der wächst ja so schnell wieder,« rief Sonntag ungeduldig, »herunter damit!«

      Und auch der lange Schnurrbart fiel unter dem scharfen Strich des Messers.

      »So,« rief der kleine Sonntag, »jetzt den Rock aus – rasch – rasch – diese Bluse angezogen – hier diese Mütze auf den Kopf – so,« sagte er mit zufriedenem Tone, »das ist gut, das macht ein neues Signalement nötig.« – Er drehte den jungen Mann herum und betrachtete ihn von allen Seiten, es war in der Tat kaum möglich, in dieser einem Arbeiter ähnlichen Gestalt den schönen, eleganten Offizier wiederzuerkennen.

      »Und nun?« fragte Herr von Tschirschnitz, eine große Brieftasche aus seinem Rocke nehmend und in die Tasche der Bluse steckend.

      »Nun hören Sie wohl zu,« sagte der Kaufmann Sonntag, den Zeigefinger der rechten Hand emporhebend – »Sie gehen hier zur Seitentür nach der Bahnhofsstraße hinaus, ruhig und langsam, an der Ecke gegenüber dem Ernst-August-Denkmal werden Sie einen Dienstmann finden, Sie werden ihn um den Weg nach der Georgs-Marienstadt fragen; wenn er Ihnen antwortet: |›die Georgs-Marienstadt ist mein Viertel, ich werde Ihnen den Weg zeigen‹, so folgen Sie ihm und allen seinen Anordnungen – jetzt kein Wort weiter – glückliche Reise!«

      »Aber?« fragte Herr von Tschirschnitz.

      »Fort, fort!« rief der Kaufmann Sonntag, »die Augenblicke sind kostbar, Sie haben einen Teil der Nacht, Ihr Beobachter glaubt Sie hier in der Georgshalle, ich werde dafür sorgen, daß bis zum Morgen hier Licht, Lachen und Gläserklirren sein wird, – das wird viele Wahrscheinlichkeit haben und der Mann wird auf seinem Posten bleiben.«

      Er drängte Herrn von Tschirschnitz zur Tür hinaus.

      Dann legte er den Rock, welchen der junge Mann ausgezogen, in sein Paket, schloß dasselbe wieder und eilte durch das Restaurationslokal zurück, auf die Straße zur Post hin. Hier war die Expedition bereits geschlossen. Herr Sonntag klopfte an alle Türen, trat in verschiedene Bureaus und begehrte, überall seine Uhr hervorziehend und zeigend, daß die Stunde des Schlusses noch nicht lange vorüber sei, eine ausnahmsweise Expedition seines sehr eiligen Pakets. Als ihm dieselbe überall verweigert wurde, entfernte er sich endlich unter Auswechslung mehrerer wenig verbindlicher Redensarten mit den Bureaubeamten, welche ihm erklärten, daß sie ihn bei längerer Störung entfernen lassen würden.

      Er hatte vor möglichst zahlreichen Zeugen acte de présence im Postgebäude gemacht.

      Herr von Tschirschnitz war unterdessen mit ruhigen, langsamen Schritten die Bahnhofsstraße zu Ende gegangen.

      An der Ecke des großen Hotel Royal, gegenüber dem auf der Mitte des Bahnhofsplatzes stehenden Denkmal des König Ernst August, stand gegen die Mauer gelehnt ein Dienstmann in blauer Bluse, das Blechschild mit der Nummer an der Mütze.

      »Guter Freund,« sagte Herr von Tschirschnitz, geschickt das Patois des Volkes nachahmend, »könnt Ihr mir den Weg nach der Georgs-Marienstadt zeigen?«

      »Die Georgs-Marienstadt ist mein Viertel,« erwiderte der Dienstmann, sich langsam von dem Mauervorsprung aufrichtend, auf den er halb sitzend sich gestützt hatte, »ich werde Sie hinführen, heute ist doch nichts mehr für mich hier zu tun.«

      Er reckte die Arme aus, dehnte einige Male seinen ganzen Körper mit einem lauten Atemzuge, dann ging er langsam über den Platz hin. Er sah sich mehrmals um, der Platz war fast leer, nur vor dem Bahnhof standen einige Polizeibeamte in Uniform, eine dunkle Gestalt in Zivilkleidung lehnte am Gitter des Ernst-August-Denkmals.

      Als der Dienstmann über den von den großen Gaslaternen überleuchteten Platz gekommen war, bog er in eine kleine, dunkle Nebengasse hinter dem Postgebäude ein und blieb nach wenigen Schritten vor einem Seiteneingange des Bahnhofs stehen.

      Hier erwartete ihn, wie es schien, ein Bahnhofsbeamter, der ruhig im Schatten der Tür lehnte.

      »Hier ist verbotener Weg«, sagte der Beamte, in der Dunkelheit einen forschenden Blick auf die herannahenden Gestalten richtend.

      »Der Mann will zur Georgs-Marienstadt,« antwortete der Dienstmann, »ich wollte ihn gern auf dem kürzesten Wege dahin führen.«

      »Folgen Sie mir,« sagte der Eisenbahnbeamte zu Herrn von Tschirschnitz und schritt ihm in den dunkelsten Teil dieser entlegenen Abteilung des Bahnhofs voran. Der Dienstmann verlor sich in der Dunkelheit der Straße.

      Herr von Tschirschnitz folgte seinem Führer, welcher in einen großen, vollkommen finsteren Güterschuppen eintrat. Er ergriff die Hand des Offiziers und leitete ihn durch verschiedene, von großen Kisten gebildete Gänge zu einem von ungeheuren Fässern umgebenen kleinen Raum. Hier zog er eine Blendlaterne unter einem kleineren Fäßchen hervor.

      Herr von Tschirschnitz blickte forschend auf den Mann, der ihn geführt hatte, er sah ein ihm völlig unbekanntes Gesicht.

      »Sie können mir vertrauen,« sagte sein Führer lächelnd und zog unter einem der großen Fässer einen langen weiten Überrock, eine schwarze Perücke, einen runden, breitkrämpigen Hut und eine große Reisetasche hervor.

      Herr von Tschirschnitz zog auf die Aufforderung des Beamten schnell seine Bluse aus und legte den Überrock an. Er befestigte die Perücke auf seinem Kopf und setzte den Hut auf; dann brachte er sein großes Portefeuille in der weiten Tasche seiner neuen Bekleidung unter und nahm die Reisetasche in die Hand.

      »Vortrefflich!« rief der Beamte, »niemand wird Sie erkennen! – Hier,« sagte er dann, beim Schein der Laterne eine Brieftasche öffnend, »ein Billett nach Osnabrück, hier eine Paßkarte auf den Namen Meyerfeld, erinnern Sie sich wohl, daß Sie Meyerfeld beißen, einige Geschäftsbriefe an Herrn Meyerfelds Adresse in gestempelten Kouverts – zur besseren Legitimation im Notfalle, der hoffentlich nicht eintreten wird, in Osnabrück nehmen Sie sogleich für den anschließenden Zug ein Billett nach Arnheim, und nun kommen Sie, es ist keine Zeit zu verlieren!«

      Er löschte die Laterne, reichte Herrn von Tschirschnitz die Hand und führte ihn aus dem Schuppen. Auf den Schienen, weit entfernt von der Halle des Bahnhofs, stand ein einzelner Wagen. Zwei Arbeiter waren in der Nähe.

      Der Beamte führte Herrn von Tschirschnitz an diesen Wagen, öffnete geräuschlos den Schlag und ließ den jungen Mann in ein dunkles Kupee zweiter Klasse steigen.

      »Verhalten Sie sich hier ganz ruhig,« sagte er, »und glückliche Reise!«

      Er schloß den Schlag. »Alles in Ordnung?« fragte er die beiden Arbeiter, an ihnen vorbeigehend.

      »Alles in Ordnung,« erwiderten diese mit leiser Stimme. Sie gingen langsam dem belebten Teile des Bahnhofes zu. Eine halbe Stunde später läutete man zum ersten Male für den Zug nach Osnabrück.

      An allen Eingängen des Bahnhofsgebäudes nach der Stadt zu standen Polizeibeamte,


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