Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding
Читать онлайн книгу.Man stieg ein. Schnell waren die Koupees besetzt, es fand sich, daß nur zwei Personenwagen einrangiert waren. Die Reisenden fanden keine Plätze und zankten ungeduldig mit den Schaffnern.
»Welche Nachlässigkeit!« rief der Zugführer. »Herr Bahnhofinspektor, es sind nicht genug Personenwagen da!« Zwei Arbeiter traten heran. »Wir haben vergessen, den einen Wagen, der noch für den Zug bestimmt war, heranzuschieben,« sagten sie, die Mützen abnehmend.
»Ihr werdet in Strafe genommen für diese Nachlässigkeit,« sagte mit strengem Tone der Bahnhofinspektor. »Jeder einen Taler Abzug, kommt so etwas noch einmal vor, so werdet ihr entlassen, nun schnell, schnell,« rief er heftig, »daß der Wagen herankommt, und noch einen mehr, es sind viele Reisende!«
Die Arbeiter eilten fort, einige andere folgten ihnen.
In kurzer Zeit waren zwei weitere Wagen einrangiert, die Reisenden drängten sich zu denselben hin und stiegen ein, das Signal wurde gegeben, der Zug rollte mit schnaubender und pfeifender Lokomotive in die Nacht hinaus.
Herr von Tschirschnitz saß in der Ecke eines vollkommen besetzten Kupees. – Der Schaffner hatte die Billetts markiert – alles war in Ordnung.
Die Polizeibeamten hatten alle Eingänge besetzt, nach der Polizeidirektion ging die Meldung:
»Zum Osnabrücker Zug niemand Verdächtiges zum Bahnhof gekommen.«
Und es kam der Befehl zurück, den Bahnhof die ganze Nacht besetzt zu halten.
Vor dem Theater aber ging langsamen Schrittes ein Mann auf und nieder, die Tür zur Georgshalle unablässig im Auge haltend. Die Fenster des Restaurationslokals waren hell erleuchtet, Gläserklirren und laute, fröhliche Stimmen ertönten in die Nacht hinaus, von Zeit zu Zeit sah man Gestalten an den hellen Fenstern vorbeigehen.
»Das ist ein schlechtes Geschäft,« murmelte der Mann draußen, »jemand zu bewachen hier in der kalten Nacht, der wohl bis morgen früh hinter dem Glase sitzen wird!«
Und fröstelnd zusammenschauernd nahm er seinen langsamen Spaziergang wieder auf.
Fünfzehntes Kapitel.
Mitten in den engen Gassen des innersten ältesten Stadtteiles von Hannover liegt der sogenannte Ballhof, ein altes Wirtshaus mit großem Vorhof. In längstvergangenen Tagen gab die erste und vornehmste Gesellschaft der Stadt und Umgegend hier ihre Reunionsbälle, und noch zeigten die Dekorationen des großen Saales des Etablissements die Spuren der früheren Glanzzeit. – Längst aber hatte sich jetzt die vornehme Welt von diesem alten Lokal und aus dem engen, alten Stadtteile zurückgezogen, der große Saal, in welchem einst der Herzog von Cambridge mit der elegantesten Gesellschaft seines Hofes sich bewegt hatte, und in welchem die hannoversche Welt die berühmten Bälle bei Almaks nachahmte, diente jetzt als Lokal für die Vergnügungen der kleineren Bürgerschaft, und in den Nebenzimmern, in welchen einst auf den Whisttischen der Minister und höchsten Beamten hoch gehäuft goldene Berge von Doppelpistolen lagen, versammelten sich jetzt die ehrbaren Handwerker, bei einem Seidel Lagerbiers oder einer Flasche St. Julien die Ereignisse des gewerblichen oder politischen Lebens besprechend.
Zahlreich war dies Lokal in jener Zeit besucht. Die in so wunderbar überraschender Schnelligkeit hereinbrechenden Ereignisse, welche alles Bestandene über den Haufen geworfen hatten, die neuen Zustände, welche so wenig zu den alten Gewohnheiten passen wollten, die souveräne, unnahbare Schnelligkeit und Schärfe des neuen Regiments, bei welchem man so gar nicht mitreden konnte nach altcalenbergischer Weise, das alles führte die Bürger zusammen, um ihre Gedanken auszutauschen und sich hier im stillen, altgewohnten Kreise so recht nach Herzenslust auszuräsonnieren.
Hier kamen nur feste Anhänger des Alten zusammen, jeder, der irgend im Verdacht stand, den neuen Zuständen günstig gesinnt zu sein oder gar mit den »Preußen« in Verbindung zu stehen, sah sich sofort isoliert, scheelen Blicken und spitzen Bemerkungen ausgesetzt, und wenn die Köpfe sich mehr und mehr erhitzten, wohl gar durch tätliche Beihülfe zum Verlassen des Lokals veranlaßt.
An dem Abende, an welchem Herr von Wendenstein verhaftet und Herr von Tschirschnitz auf seine besondere Art und Weise fast unter den Händen der Polizei abgereist war, befand sich zahlreiche Gesellschaft in den Räumen des Ballhofs. Die Verhaftung des jungen Offiziers war hie und da bekannt geworden, man hatte sich ergangen in Bemerkungen und Vermutungen über den Fall, den man sich noch nicht erklären konnte, der aber in allen das Gefühl einer über ihnen stehenden Wetterwolke erregte, aus welcher der erste Blitz herabgefahren war und aus welcher jeden Augenblick ein zweiter Strahl niederzucken konnte.
An einem Tische saßen mehrere Bürger um den alten Hofsattlermeister Conrades, einen alten Mann mit scharfen, verwetterten Zügen, welcher mit lauter Stimme und oftmals derb mit der Hand auf den Tisch schlagend seinem Unwillen über die neuen Zustände Luft machte.
»Donnerwetter,« rief er, den Deckel seines Seidels mit lautem Schlag zuklappend, »der alte Ernst August sollte noch leben, was der für ein Gesicht gemacht haben würde, wenn sie ihm so mir nichts dir nichts sein Land hätten wegnehmen wollen! – Dann wärs freilich auch nicht so gekommen; mit dem anzubinden hätten sie's nicht riskiert in Berlin, vor dem hatten sie Respekt an den größten Kaiser- und Königshöfen, und hier wären auch alle die Dummheiten nicht gemacht worden, an denen wir zugrunde gegangen sind.«
»Aber wenn der König wiederkommt,« sagte ein kleiner, untersetzter Mann mit tief in den Schultern und noch tiefer in einem hohen Rockkragen steckenden Kopfe und rundem, scharf geschnittenem Gesicht, »wenn der König wiederkommt, dann wollen wir all den schlechten Hannoveranern, die da jetzt hinlaufen zu den Preußen, zeigen wollen wir ihnen,« rief er, ingrimmig die Spitze seiner langen, mit seidenen Quasten verzierten Pfeife zwischen die Zähne beißend, »zeigen wollen wir ihnen – wo sie her sind!«
Und um sich von der tiefen Entrüstung zu erholen, in welche ihn der Gedanke an die künftige Rache gegen die schlechten Patrioten versetzt hatte, deren Bestrafungsart aus seinen Worten nicht mit völliger Klarheit hervorging, aber seiner Miene zufolge eine sehr grausame und barbarische sein muhte, nahm er einen großen Schluck aus seinem Glase und blies dann eine so dichte Tabakswolke vor sich hin, daß seine kleinen, zornsprühenden Augen einige Augenblicke von weißem Nebel verhüllt waren.
»Wenn der König wiederkommt!« sagte der alte Conrades langsam und sinnend, indem er die tief gefurchte Stirn in die magere, braune und nervige Hand stützte, »Freund,« fuhr er fort, das graue, scharfe Auge mit traurigem Ausdruck auf den alten Zunftmeister richtend, »Ihr wißt, daß ich an dem alten Hannover hänge wie einer, mir tut es weh, daß ich nicht in die Grube gefahren bin, ehe diese neue Zeit hereingebrochen ist, aber ich sage euch: es ist alles Unsinn, was sie da schwatzen und treiben und agitieren, – der König kommt nicht wieder!«
»Der König kommt nicht wieder?!« rief mit heller Stimme voll Verwunderung und Unwillen ein kleiner, magerer, blasser Mann mit feinem, lebhaftem Gesicht und hellblondem Haar und Bart. – »Ich sage euch, der König kommt wieder, und lange wird es nicht mehr dauern, alles ist vorbereitet, ihr seid hier alle in eurem eingeschränkten Kreis, unter dem Druck, ihr sehet und höret nicht klar, aber ich bin in Hietzing gewesen, ich habe einen Blick in die Politik getan, ich kann euch das freilich nicht alles erzählen, aber,« fuhr er fort, sich mit wichtiger Miene gerade auf seinem Stuhl aufrichtend, »ihr könnt mir glauben, der König kommt bald wieder, Seine Majestät hat es mir selbst gesagt.«
»Lohse,« sagte der alte Conrades derb, »Ihr mögt ein ganz guter Musikant sein, Ihr nennt Euch ja Musikdirektor, weil Ihr so einen Gesangverein dirigiert, aber von der Politik versteht Ihr nichts.«
Der Musikdirektor Lohse sah den Sattlermeister wütend an, er hatte wohl eine scharfe Entgegnung auf der Zunge, aber er sprach sie nicht aus, denn mit dem alten Conrades war nicht gut anzubinden, er hatte so scharfe und unangenehme Worte in stets schlagfertiger Bereitschaft – und dann war er einer der einflußreichsten in der Bürgerschaft, man war gewohnt, auf ihn Rücksicht zu nehmen. Herr Lohse