Die wichtigsten Werke von Oskar Meding. Oskar Meding
Читать онлайн книгу.noch immer die freie Entschließung.«
»Ich glaube nicht an einen Erfolg dieses Schrittes,« sagte Drouyn de Lhuys, »das Haus Habsburg hängt zu sehr an Venetien — obgleich es nur Last und Nachteile davon gehabt — auch wünschte ich diese pomme de discorde zu erhalten, denn ohne dieselbe könnte sich eines Tages eine österreichisch-italienische Allianz gegen uns erheben. — Auch möchte ich bezweifeln, daß uns später noch die Wahl und Entscheidung offen steht. Die Ereignisse sind im Rollen und es läßt sich weit eher annehmen, daß sie uns überraschen. — Indeß im Prinzip habe ich nichts gegen den Schritt zu erinnern, und da Eure Majestät ihn befiehlt, soll er sogleich ausgeführt werden.«
Der Kaiser ergriff einen Brief, welcher auf seinem Schreibtisch lag, und sprach, indem er einen flüchtigen Blick darauf warf:
»Von Sachsen aus bin ich dringend ersucht, den preußischen Bestrebungen keinen Vorschub zu leisten. Ich möchte mich nicht bestimmt erklären. Wollen Sie den Gesandten in Dresden vertraulich instruiren, daß er in ganz diskreter Weise andeute, es werde nur von dem wiener Kabinet abhängen, ob der nur ausgesprochene Wunsch die volle Wirkung haben werde, welche ich demselben sehr gern zu geben wünsche.«
Drouyn de Lhuys verneigte sich.
»Dennoch aber wird es nöthig sein,« fuhr der Kaiser fort, — »auch in Berlin in vertraulicher Weise über die Garantieen zu sprechen, welche Herr von Bismarck für den Fall, daß er seine Pläne in Deutschland erreicht, uns zu geben geneigt wäre. — Sie wissen, wie evasiv und dilatorisch man diesen Punkt in Berlin stets behandelt hat. Man will von mir Forderungen hören, die ich nicht direkt stellen will und kann.«
Drouyn de Lhuys verneigte sich abermals schweigend.
Der Kaiser stand auf.
Der Minister erhob sich ebenfalls.
Napoleon trat einen Schritt näher zu ihm und sprach mit verbindlichem Lächeln, indem ein Ausdruck unendlich anmuthigen Wohlwollens seine Züge erhellte: »Sie sind nicht zufrieden, mein lieber Minister — aber glauben Sie mir, diese Politik ist die beste. Sie läßt uns Zeit gewinnen und die Zeit ist ein Faktor im politischen Leben, der Alles Demjenigen gibt, welcher ihn richtig zu benützen versteht.«
»Ich kenne den Werth der Zeit,« antwortete der Minister — »aber vielleicht werden wir, indem wir Zeit gewinnen, den Augenblick verlieren.«
»Nun,« sagte der Kaiser, indem er sich aufrichtete und eine Haltung annahm, welche an seine früheren Jahre erinnerte, »so vertrauen wir auf meinen Stern und auf den Frankreichs.«
»Diese Sterne sind zu mächtig und zu hell leuchtend, um nicht Vertrauen einzuflößen,« erwiederte Drouyn de Lhuys sich verneigend, ohne daß indeß in seinen Mienen der Glanz dieses fatalistischen Vertrauens sichtbar wurde.
Er nahm sein Portefeuille und fragte:
»Eure Majestät hat keine weiteren Befehle?«
»Ich darf Sie nicht länger zurückhalten,« sagte Napoleon und verabschiedete seinen Minister, indem er ihm herzlich die Hand drückte.
Als derselbe das Kabinet verlassen, blieb der Kaiser eine Zeitlang in tiefem Sinnen verloren stehen.
»Ich kann nicht direkt in die Dinge eingreifen,« sagte er dann halblaut vor sich hin, — »ich muß die Ereignisse ihren Lauf gehen lassen. Würde mein Veto nicht gehört werden, so müßte ich einen furchtbaren Kampf aufnehmen, und dann —? Ich muß versuchen, durch geschicktes und vorsichtiges Eingreifen in die Ereignisse sie zu meinen Gunsten zu wenden.«
Er trat vor eine Marmorbüste Cäsar's, die auf einem schwarzen Fuße in seinem Kabinet stand, und blickte lange in die schön gemeißelten Züge des römischen Weltherrschers.
»Du großes Vorbild meines Hauses,« sprach er, indem der elektrisch leuchtende Stern seines Auges hell emporstrahlte — »ich muß noch einmal auch in diesem Augenblick sprechen wie Du: Jacta est alea!— Aber,« fügte er düster hinzu, »Deinen Würfel warfst Du Dir selber und zwangst ihn mit mächtiger Hand zu fallen, wie Du es wolltest. — Meinen Würfel aber wirft mir des Schicksals unerbittlich eherne Hand — und ich muß ihn annehmen, wie er fällt!« —
Der Kammerdiener trat ein und meldete:
»Das Frühstück des Kaisers ist servirt.«
Napoleon verließ sein Kabinet.
Fünftes Kapitel.
Durch die im ersten leichten und hellen Grün schimmernde prachtvolle Allee, welche von Hannover nach der königlichen Residenz Herrenhausen führt, fuhr an einem frischen und schönen Morgen ein Wagen und näherte sich schnell dem vergoldeten Gitter, welches die Einfahrt zu dem äußern Raum des königlichen Schlosses bildet.
Der Wagen hielt am Eingang zum innern Hofe.
Aus demselben stieg ein schlanker, nicht großer Mann von etwa sechsunddreißig Jahren, hochblond, einen langen, etwas aufwärts gebogenen Schnurrbart auf der Oberlippe, in schwarzem Salon-Anzug und grauem Ueberrock.
Dieser Mann trat in ein Seitenportal in der Ecke des Hauptgebäudes jenes alten kurfürstlichen und königlichen Schlosses, — das der berühmte Le Notre zu einer verjüngten Miniaturnachahmung von Versailles geschaffen,—und durchschritt einen langen Gang, welcher direkt zu dem Kabinet des Königs Georg V. führte.
Vor diesem Kabinet, welches zu ebener Erde mit einem unmittelbaren Ausgang nach dem Garten und Park belegen war, saß der dienstthuende Salon-Kammerdiener des Königs. Rechts neben dem Eingang zu den königlichen Zimmern befand sich der Wartesalon für die Herren, welche zum Könige befohlen waren, merkwürdiger Weise mit lauter preußischen Bildern geschmückt. Man sah dort die lebensgroßen Porträts von Blücher und Ziethen, sowie ein vorzügliches Bild des bei Saalfeld gefallenen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen.
Der Mann, welcher den Wagen verlassen und sich dem Eingange zu den königlichen Zimmern genähert hatte, fragte den Kammerdiener:
»Ist Seine Majestät allein?«
Der Kammerdiener, welcher sich erhoben hatte und dem Ankommenden den Ueberrock abnahm, erwiederte in gebrochenem Deutsch mit stark englischem Accent:
»Der Geheime Kabinetsrath Lex ist bei Seiner Majestät.«
»Wollen Sie mich melden!«
Der Kammerdiener schlug einmal stark an die Thür des Königs. Man hörte die helle, klare Stimme Georg V., welcher rief: »Come in!«
Der Kammerdiener trat ein und kehrte nach einigen Augenblicken zurück.
»Der König lassen Mr. Meding bitten, ein Moment zu warten.«
Und er öffnete die Thür zu dem Wartesalon, in welchen der Regierungsrath Meding eintrat.
Der Salon war leer. Der Eingetretene nahm auf dem darin befindlichen breiten Kanapee Platz.
Nach ungefähr fünf Minuten öffnete sich die Thür abermals und ein alter etwas gebückter Herr mit schneeweißem Haar und Schnurrbart in der Uniform eines hannöverischen Generallieutenants mit den goldenen Achselschnüren der Generaladjutanten trat ein. Seine Brust schmückte das Großkreuz des Guelfenordens, die Kriegsdenkmünze von 1813 und die Waterloomedaille. Es war der Generallieutenant und Generaladjutant von Tschirschnitz, des Königs rechte Hand in militärischen Angelegenheiten, der Vermittler aller Befehle in Betreff des Kommandos der Armee.
Der Regierungsrath Meding erhob sich mit den Worten: »Guten Morgen, Excellenz!«
»Guten, guten Morgen!« erwiederte der General in kurzem militärischem Ton, indem er eine große verschlossene Mappe auf den Tisch legte, — »schon so früh hier? Werden wir lange warten müssen? Ich hoffe, Sie haben nicht lange zu thun?«
»Der König arbeitet mit dem Geheimen Kabinetsrath und schreibt wahrscheinlich Briefe — wie lange das