Aphorismen zur Lebensweisheit. Georg Schwikart

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Aphorismen zur Lebensweisheit - Georg  Schwikart


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wirklich ist dieses bei weitem die Hauptsache zum menschlichen Glück. Hieraus aber folgt, dass die größte aller Torheiten ist, seine Gesundheit aufzuopfern, für was es auch sei, für Erwerb, für Beförderung, für Gelehrsamkeit, für Ruhm, geschweige für Wollust und flüchtige Genüsse; vielmehr soll man ihr alles nachsetzen. So viel nun aber auch zu der, für unser Glück so wesentlichen Heiterkeit die Gesundheit beiträgt, so hängt jene doch nicht von dieser allein ab: denn auch bei vollkommener Gesundheit kann ein melancholisches Temperament und eine vorherrschend trübe Stimmung bestehen. Der letzte Grund davon liegt ohne Zweifel in der ursprünglichen und daher unabänderlichen Beschaffenheit des Organismus, und zwar zumeist in dem mehr oder minder normalen Verhältnis der Sensibilität zur Irritabilität51 und Reproduktionskraft. Abnormes Übergewicht der Sensibilität wird Ungleichheit der Stimmung, periodische übermäßige Heiterkeit und verwaltende Melancholie herbeiführen. Weil nun auch das Genie durch ein Übermaß der Nervenkraft, also der Sensibilität, bedingt ist; so hat Aristoteles ganz richtig bemerkt, dass alle ausgezeichnete und überlegene Menschen melancholisch seien. Alle diejenigen, die Ausgezeichnetes leisten, sei es nun in der Philosophie, der Politik, der Dichtkunst, oder den bildenden Künsten, scheinen Melancholiker zu sein. Ohne Zweifel ist dieses die Stelle, welche Cicero52 im Auge hatte, bei seinem oft angeführten Bericht: Aristoteles sagte, alle Genies seien melancholisch. Die hier in Betrachtung genommene, angeborene, große Verschiedenheit der Grundstimmung überhaupt aber hat Shakespeare53 sehr artig wie folgt geschildert: – Die Natur hat, in ihren Tagen, seltsame Käuze hervorgebracht, einige, die stets aus ihren Äugelein vergnügt hervorgucken und wie Papageien über einen Dudelsackspieler lachen, und andere von so sauertöpfischem Ansehen, dass sie ihre Zähne nicht durch ein Lächeln bloßlegen, wenn auch Nestor54 selbst schwüre, der Spaß sei lachenswert.

      Eben dieser Unterschied ist es, den Plato55 durch die Ausdrücke Dyskolos und Eukolos56 bezeichnet. Derselbe lässt sich nicht zurückführen auf die bei verschiedenen Menschen sehr verschiedene Empfänglichkeit für angenehme und unangenehme Eindrücke, infolge welcher der eine noch lacht bei dem, was den andern fast zur Verzweiflung bringt: und zwar pflegt die Empfänglichkeit für angenehme Eindrücke desto schwächer zu sein, je stärker die für unangenehme ist, und umgekehrt. Nach gleicher Möglichkeit des glücklichen und des unglücklichen Ausgangs einer Angelegenheit, wird der Dyskolos beim unglücklichen sich ärgern oder grämen, beim glücklichen aber sich nicht freuen; der Eukolos hingegen wird über den unglücklichen sich freuen. Wenn dem Diskolos von zehn Vorhaben neun gelingen, so freut er sich nicht über diese, sondern ärgert sich über das eine misslungene: der Eukolos weiß im umgekehrten Fall, sich doch mit dem einen gelungenen zu trösten und aufzuheitern. – Wie nun aber nicht leicht ein Übel ohne alle Kompensation ist, so ergibt sich auch hier, dass die Diskolos, also die finstern und ängstlichen Charaktere, im Ganzen, zwar mehr imaginäre57, dafür aber weniger reale Unfälle und Leiden zu überstehen haben werden, als die heitern und sorglosen: denn wer alles schwarz sieht, stets das schlimmste befürchtet und demnach seine Vorkehrungen trifft, wird sich nicht so oft verrechnet haben, als wer stets den Dingen die heitere Farbe und Aussicht leiht. – Wenn jedoch eine krankhafte Affektion58 des Nervensystems, oder der Verdauungswerkzeuge, der angeborenen Dyskolia59 in die Hände arbeitet; dann kann diese den hohen Grad erreichen, wo dauerndes Missbehagen Lebensüberdruss erzeugt und demnach Hang zum Selbstmord entsteht. Diesen vermögen alsdann selbst die geringsten Unannehmlichkeiten zu veranlassen; ja, bei den höchsten Graden des Übels, bedarf es derselben nicht einmal; sondern bloß infolge des anhaltenden Missbehagens wird der Selbstmord beschlossen und alsdann mit so kühler Überlegung und fester Entschlossenheit ausgeführt, dass der meistens schon unter Aufsicht gestellte Kranke stets darauf gerichtet, den ersten unbewachten Augenblick benutzt, um, ohne Zaudern, Kampf und Zurückbeben, jenes ihm jetzt natürliche und willkommene Erleichterungsmittel zu ergreifen. Ausführliche Beschreibungen dieses Zustandes gibt Esquirol60, des maladies mentales61. Allerdings aber kann nach Umständen, auch der gesundeste und vielleicht selbst der heiterste Mensch sich zum Selbstmord entschließen, wenn nämlich die Größe der Leiden, oder des unausweichbar herannahenden Unglücks, die Schrecken des Todes überwältigt. Der Unterschied liegt allein in der verschiedenen Größe des dazu erforderlichen Anlasses, als welche mit der Dyskolia in umgekehrtem Verhältnis steht. Je größer diese ist, desto geringer kann jener sein, ja am Ende auf Null herabsinken: je größer hingegen die Eukolia62 und die sie unterstützende Gesundheit, desto mehr muss im Anlass liegen. Danach gibt es unzählige Abstufungen der Fälle zwischen den beiden Extremen des Selbstmordes, nämlich dem des rein aus krankhafter Steigerung der angeborenen Dyskolia entspringenden, und dem des Gesunden und Heiteren, ganz aus objektiven Gründen.

      Der Gesundheit zum Teil verwandt ist die Schönheit. Wenn gleich dieser subjektive Vorzug nicht eigentlich unmittelbar zu unserm Glücke beiträgt, sondern bloß mittelbar, durch den Eindruck auf andere; so ist es doch von großer Wichtigkeit, auch im Manne. Schönheit ist ein offener Empfehlungsbrief, der die Herzen zum Voraus für uns gewinnt, daher gilt besonders von ihr der homerische63 Vers:

      Unverwerflich ja sind der Unsterblichen ehrende Gaben.

       Die sie selber verleihen und nach Willkür keiner empfänge.

      Der allgemeine Überblick zeigt uns, als die beiden Feinde des menschlichen Glückes, den Schmerz und die Langeweile. Dazu noch lässt sich bemerken, dass, in dem Maße, als es uns glückt, vom einen derselben uns zu entfernen, wir dem andern uns nähern, und umgekehrt; sodass unser Leben wirklich eine stärkere, oder schwächere Oszillation64 zwischen ihnen darstellt. Dies entspringt daraus, dass beide in einem doppelten Antagonismus65 zu einander stehen, einem äußern, oder objektiven, und einem innern, oder subjektiven. Äußerlich nämlich gebiert Not und Entbehrung den Schmerz; hingegen Sicherheit und Überfluss die Langeweile. Demgemäß sehen wir die niedere Volksklasse in einem beständigen Kampf gegen die Not, also den Schmerz; die reiche und vornehme Welt hingegen in einem anhaltenden, oft wirklich verzweifelten Kampf gegen die Langeweile. Der innere, oder subjektive Antagonismus derselben aber beruht darauf, dass, im einzelnen Menschen, die Empfänglichkeit für das eine in entgegengesetztem Verhältnis zu der für das andere steht, indem sie durch das Maß seiner Geisteskräfte bestimmt wird. Nämlich Stumpfheit des Geistes ist durchgängig im Verein mit Stumpfheit der Empfindung und Mangel an Reizbarkeit, welche Beschaffenheit für Schmerzen und Betrübnisse jeder Art und Größe weniger empfänglich macht: aus eben dieser Geistesstumpfheit aber geht andererseits jene, auf zahllosen Gesichtern ausgeprägte, wie auch durch die beständig rege Aufmerksamkeit auf alle, selbst die kleinsten Vorgänge in der Außenwelt sich verratende innere Leerheit hervor, welche die wahre Quelle der Langenweile ist und stets nach äußerer Anregung lechzt, um Geist und Gemüt durch irgend etwas in Bewegung zu bringen. In der Wahl desselben ist sie daher nicht ekel; wie dies die Erbärmlichkeit der Zeitvertreibe bezeugt, zu denen man Menschen greifen sieht, im gleichen die Art ihrer Geselligkeit und Konversation, nicht weniger die vielen Türsteher und Fenstergucker. Hauptsächlich aus dieser inneren Leerheit entspringt die Sucht nach Gesellschaft, Zerstreuung, Vergnügen und Luxus jeder Art, welche viele zur Verschwendung und dann zum Elende führt. Vor diesem Elende bewahrt nichts so sicher, als der innere Reichtum, der Reichtum des Geistes: denn dieser lässt, je mehr er sich der Eminenz66 nähert, der Langenweile immer weniger Raum. Die unerschöpfliche Regsamkeit der Gedanken aber, ihr an den mannigfaltigen Erscheinungen der Innen- und Außenwelt sich stets erneuerndes Spiel, die Kraft und der Trieb zu immer andern Kombinationen derselben, sehen den eminenten67 Kopf, die Augenblicke der Abspannung abgerechnet, ganz, außer den Bereich der Langenweile. Andererseits nun aber hat die gesteigerte Intelligenz eine erhöhte Sensibilität zur unmittelbaren Bedingung, und größere Heftigkeit des Willens, also der Leidenschaftlichkeit zur Wurzel: aus ihrem Verein mit diesen erwächst nun eine viel größere Stärke aller Affekte68 und etwa gesteigerte Empfindlichkeit gegen die geistigen und selbst gegen körperliche Schmerzen, sogar größere Ungeduld bei allen Hindernissen, oder auch nur Störungen; welches alles zu erhöhen die aus der Stärke der Phantasie entspringende Lebhaftigkeit sämtlicher Vorstellungen, also auch der widerwärtigen, mächtig beiträgt. Das Gesagte gilt nun verhältnismäßig von allen den Zwischenstufen, welche den weiten Raum vom stumpfesten Dummkopf bis zum größten Genie ausfüllen. Demzufolge steht jeder, wie objektiv, so menschlichen Lebens umso näher, als er von der anderen entfernter ist. Dem entsprechend wird sein natürlicher Hang ihm anleiten, in dieser Hinsicht, das Objektive dem


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