Aphorismen zur Lebensweisheit. Georg Schwikart

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Aphorismen zur Lebensweisheit - Georg  Schwikart


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wird vor allem nach Schmerzlosigkeit, Ungehudeltsein, Ruhe und Muße streben, folglich ein stilles, auch subjektiv, der einen Quelle der Leiden des bescheidenes, aber möglichst unangefochtenes Leben suchen und demgemäß, nach einiger Bekanntschaft mit den sogenannten Menschen die Zurückgezogenheit und, bei großem Geiste, sogar die Einsamkeit wählen. Denn je mehr einer an sich selbst hat, desto weniger bedarf er von außen und desto weniger auch können die Übrigen ihm sein. Darum führt die Eminenz des Geistes zur Ungeselligkeit. Ja, wenn die Qualität der Gesellschaft sich durch die Quantität ersetzen ließe; da wäre es der Mühe wert, sogar in der großen Welt zu leben: aber leider geben hundert Narren, auf einem Haufen, noch keinen gescheiten Mann. – Der vom anderen Extrem hingegen wird, sobald die Not ihn zu Atem kommen lässt, Kurzweil und Gesellschaft, um jeden Preis, suchen und mit allem leicht vorlieb nehmen, nichts so sehr fliehend, wie sich selbst. Denn in der Einsamkeit, als wo jeder auf sich selbst zurückgewiesen ist, da zeigt sich, was er an sich selber hat: da seufzt der Tropf im Purpur unter der unabwälzbaren Last seiner armseligen Individualität; während der Hochbegabte die ödeste Umgebung mit seinen Gedanken bevölkert und belebt. Daher ist sehr wahr, was Seneca69 sagt: Jede Dummheit leidet am Ekel vor sich selbst; – wie auch Jesus Sirachs70 Ausspruch: »des Narren Leben ist ärger, denn der Tod«71. Demgemäß wird man, im Ganzen, finden, dass jeder in dem Maße gesellig ist, wie er geistig arm und überhaupt gemein ist. Denn man hat in der Welt nicht viel mehr, als die Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit. Die geselligsten aller Menschen sollen die Neger72 sein, wie sie eben auch intellektuell entschieden zurückstehen: nach Berichten aus Nord-Amerika, in Französischen Zeitungen, sperren die Schwarzen, Freie und Sklaven durcheinander, in großer Anzahl, sich in den engsten Raum zusammen, weil sie ihr schwarzes Stumpfnasengesicht nicht oft genug wiederholt erblicken können.

      Dem entsprechend, dass das Gehirn, als der Parasit, oder Pensionär, des ganzen Organismus auftritt, ist die errungene freie Muße eines jeden, in dem sie ihm den freien Genuss seines Bewusstseins und seiner Individualität gibt, die Frucht und der Ertrag seines gesamten Daseins, welches im übrigen nur Mühe und Arbeit ist. Was nun aber wirft die freie Muße der meisten Menschen ab? Langeweile und Dumpfheit, so oft nicht sinnlicher Genüsse, oder Albernheiten da sind, sie auszufüllen. Wie völlig wertlos sie ist, zeigt die Art, wie sie solche zubringen; sie ist eben: die langweilige Muße der Toren. Die gewöhnlichen Leute sind bloß darauf bedacht, die Zeit zuzubringen; wer irgendein Talent hat, – sie zu benutzen. – Dass die beschränkten Köpfe der Langweile so sehr ausgesetzt sind, kommt daher, dass ihr Intellekt durchaus nichts weiter, als das Medium der Motive für ihren Willen ist. Sind nun vorderhand keine Motive aufzufassen da, so ruht der Wille und feiert der Intellekt; dieser, weil er so wenig wie jener auf eigene Hand in Tätigkeit gerät: das Resultat ist schreckliche Stagnation aller Kräfte im ganzen Menschen, – Langeweile. Dieser zu begegnen schiebt man nun dem Willen kleine, bloß einstweilige und beliebig angenommene Motive vor, ihn zu erregen und dadurch auch den Intellekt, der sie aufzufassen hat, in Tätigkeit zu versetzen: diese verhalten sich demnach zu den wirklichen und natürlichen Motiven, wie Papiergeld zu Silber; da ihre Geltung eine willkürlich aufgenommene ist. Solche Motive nun sind die Spiele, mit Karten usf., welche zu besagtem Zweck erfunden worden sind. Fehlt es daran, so hilft der beschränkte Mensch sich durch klappern und trommeln, mit allem, was er in die Hand kriegt. Auch die Zigarre ist ihm ein willkommenes Surrogat73 der Gedanken. Daher also ist in allen Ländern die Hauptbeschäftigung aller Gesellschaft das Kartenspiel geworden: es ist der Maßstab des Wertes derselben und der deklarierte Bankrott an allen Gedanken. Weil sie nämlich keine Gedanken auszutauschen haben, tauschen sie Karten aus und suchen einander Gulden abzunehmen. O, klägliches Geschlecht! Um indessen auch hier nicht ungerecht zu sein, will ich den Gedanken nicht unterdrücken, dass man zur Entschuldigung des Kartenspiels allenfalls anführen könnte, es sei eine Vorübung zum Welt- und Geschäftsleben, sofern man dadurch lernt, die vom Zufall unabänderlich gegebenen Umstände (Karten) klug zu benutzen, um daraus was immer angeht zu machen, zu welchem Zwecke man sich dann auch gewöhnt, Contenance74 zu halten, indem man zum schlechten Spiel eine heitere Miene aufsetzt. Aber eben deshalb hat andrerseits das Kartenspiel einen demoralisierenden Einfluss. Der Geist des Spiels nämlich ist, dass man auf alle Weise, durch jeden Streich und jeden Schlich, dem andern das seinige abgewinne. Aber die Gewohnheit, im Spiel so zu verfahren, wurzelt ein, greift über in das praktische Leben, und man kommt allmählich dahin, in den Angelegenheiten des Mein und Dein es ebenso zu machen und jeden Vorteil, den man eben in der Hand hält, für erlaubt zu halten, sobald man es nur gesetzlich darf. Belege hierzu gibt ja das bürgerliche Leben täglich. – Weil also, wie gesagt, die freie Muße die Blüte, oder vielmehr die Frucht des Daseins eines jeden ist, indem nur sie ihn in den Besitz seines eignen Selbst einsetzt, so sind die glücklich zu preisen, welche dann auch etwas rechtes an sich selber erhalten; während den allermeisten die freie Muße nichts abwirft, als einen Kerl, mit dem nichts anzufangen ist, der sich schrecklich langweilt, sich selber zur Last. Demnach freuen wir uns, »ihr lieben Brüder, dass wir nicht sind der Magd Kinder, sondern der Freien.«75 –

      Ferner, wie das Land am glücklichsten ist, welches weniger, oder keiner, Einfuhr bedarf; so auch der Mensch an seinem inneren Reichtum genug hat und zu seiner Unterhaltung wenig, oder nichts, von außen nötig hat; da dergleichen Zufuhr viel kostet, abhängig macht, Gefahr bringt, Verdruss verursacht und am Ende doch nur ein schlechter Ersatz ist für die Erzeugnisse des eigenen Bodens. Denn von andern, von außen überhaupt, darf man in keiner Hinsicht viel erwarten. Was einer dem andern sein kann, hat seine sehr engen Grenzen: am Ende bleibt doch jeder allein; und da kommt es darauf an, wer jetzt allein sei: Auch hier gilt demnach was Goethe (Dicht. und Wahrheit76) im Allgemeinen ausgesprochen hat, dass, in allen Dingen, jeder zuletzt auf sich selbst zurückgewiesen wird, oder wie Oliver Goldsmith77 sagt:

      Nur da steht, wo wir uns selbst überlassen sind, gestalten oder finden wir unser eigenes Glück. –

      Das Beste und Meiste muss daher jeder sich selber sein oder leisten. Je mehr nun dieses ist, und je mehr demzufolge er die Quellen seiner Genüsse in sich selbst findet, desto glücklicher wird er sein. Mit größtem Rechte sagt also Aristoteles: das Glück gehört denen, die sich selber genügen. Denn alle äußeren Quellen des Glückes und Genusses sind, ihrer Natur nach, höchst unsicher, misslich, vergänglich und dem Zufall unterworfen, dürften daher, selbst unter den günstigsten Umständen, leicht stocken; ja, dieses ist unvermeidlich, sofern sie doch nicht stets zur Hand sein können. Im Alter nun gar versiegen sie fast alle notwendig: denn da verlässt uns Liebe, Scherz, Reiselust, Pferdelust und Tauglichkeit für die Gesellschaft: sogar die Freunde und Verwandten entführt uns der Tod. Da kommt es denn, mehr als je, darauf an, was einer an sich selber habe. Denn dieses wird am längsten Stich halten. Aber auch in jedem Alter ist und bleibt es die echte und allein ausdauernde Quelle des Glücks. Ist doch in der Welt überall nicht viel zu holen: Not und Schmerz erfüllen sie, und auf die, welche diesen entronnen sind, lauert in allen Winkeln die Langeweile. Zudem hat in der Regel die Schlechtigkeit die Herrschaft darin und die Torheit das große Wort. Das Schicksal ist grausam und die Menschen sind erbärmlich. In einer so beschaffenen Welt gleicht der, welcher viel an sich selber hat, der hellen, warmen, lustigen Weihnachtsstube, mitten im Schnee und Eise der Dezembernacht. Demnach ist eine vorzügliche, eine reiche Individualität und besonders sehr viel Geist zu haben ohne Zweifel das glücklichste Los auf Erden; so verschieden es etwa auch von dem glänzendsten ausgefallen sein mag. Daher war es ein weiser Ausspruch der erst 19jährigen Königin Christine von Schweden78, über den ihr doch bloß durch einen Aufsatz und aus mündlichen Berichten bekannt gewordenen Kartesius79, welcher damals seit 20 Jahren in der tiefsten Einsamkeit, in Holland lebte: Descartes ist der glücklichste aller Menschen, und seine Lebensweise erscheint mir beneidenswert. Nur müssen, wie es eben auch der Fall des Kartesius war, die äußeren Umstände es so weit begünstigen, dass man auch sich selbst besitzen und seiner froh werden könne; weshalb schon Kohelet80 sagt: »Weisheit ist gut mit einem Erbgut und hilft, dass einer sich der Sonne freuen kann.«81 Wem nun, durch Gunst der Natur und des Schicksals, dieses Los beschieden ist, der wird mit ängstlicher Sorgfalt darüber wachen, dass die innere Quelle seines Glückes ihm zugänglich bleibe; wozu Unabhängigkeit und Muße die Bedingungen sind. Diese wird er daher gern durch Mäßigkeit und Sparsamkeit erkaufen; umso mehr, als er nicht, gleich den Andern, auf die äußeren Quellen der Genüsse verwiesen ist. Darum wird die Aussicht auf Ämter, Geld, Gunst und


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