Aphorismen zur Lebensweisheit. Georg Schwikart

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Aphorismen zur Lebensweisheit - Georg  Schwikart


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Leidens, der Not und der Langenweile, oder dem sorglichen Treiben für die Existenz und der Unfähigkeit, die Muße (d. i. die freie Existenz selbst) zu ertragen, welchen beiden Übeln der Mensch sonst nur dadurch entgeht, dass sie selbst sich wechselseitig neutralisieren und aufheben.

      Gegen dieses alles jedoch kommt andererseits in Betracht, dass die großen Geistesgaben, infolge der überwiegenden Nerventätigkeit, eine überaus gesteigerte Empfindlichkeit für den Schmerz, in jeglicher Gestalt, herbeiführen, dass ferner das sie bedingende leidenschaftliche Temperament und zugleich die von ihnen unzertrennliche größere Lebhaftigkeit und Vollkommenheit aller Vorstellungen eine ungleich größere Heftigkeit der durch diese erregten Affekte herbeiführt, während es doch überhaupt mehr peinliche, als angenehme Affekte gibt, endlich auch, dass die großen Geistergaben ihren Besitzer den übrigen Menschen und ihrem Treiben entfremden, da, je mehr er an sich selber hat, desto weniger er an ihnen finden kann. Hundert Dinge, an welchen sie großes Genüge haben, sind ihm schal und ungenießbar, wodurch denn das überall sich geltend machende Gesetz der Kompensation104 vielleicht auch hier in Kraft bleibt; ist doch sogar oft genug, und nicht ohne Schein, behauptet worden, der geistig beschränkteste Mensch sei im Grunde der glücklichste, wenngleich keiner ihn um dieses Glück beneiden mag. In der definitiven Entscheidung der Sache will ich umso weniger dem Leser vorgreifen, als selbst Sophokles105 hierüber zwei einander diametral106 entgegengesetzte Aussprüche getan hat:

      Das Denken ist der Hauptteil des Glücks,

      und wieder:

      Gar nichts zu denken, ist des Lebens angenehmste Art.

      Ebenso uneinig miteinander sind die Philosophen des Alten Testamentes:

       »Des Narren Leben ist ärger denn der Tod!« 107

      und

       »Wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämens.« 108

      Inzwischen will ich hier doch nicht unerwähnt lassen, dass der Mensch, welcher, infolge des streng und knapp normalen Maßes seiner intellektuellen Kräfte, keine geistigen Bedürfnisse hat, es eigentlich ist, den ein der deutschen Sprache ausschließlich eigener, vom Studentenleben ausgegangener, nachmals aber in einem höheren, wie wohl dem ursprünglichen, durch den Gegensatz zum Musensohne, immer noch analogen Sinne gebrauchter Ausdruck als den Philister bezeichnet. Dieser nämlich ist und bleibt der den Musen fremd seiende Mann. Nun würde ich zwar, von einem höheren Standpunkt aus, die Definition der Philister so aussprechen, dass sie Leute wären, die immerfort auf das Ernstlichste beschäftigt sind mit einer Realität, die keine ist. Allein eine solche, schon trans­zendentale109 Definition, würde dem populären Standpunkte, auf welchen ich mich in dieser Abhandlung gestellt habe, nicht angemessen, daher auch vielleicht nicht durchaus jedem Leser fasslich sein: Jene erstere hingegen lässt leichter eine spezielle Erläuterung zu und bezeichnet hinreichend das Wesentliche der Sache, die Wurzel aller der Eigenschaften, die den Philister charakterisieren. Er ist demnach ein Mensch ohne geistige Bedürfnisse. Hieraus nun folgt gar mancherlei: erstlich, in Hinsicht auf ihn selbst, dass er ohne geistige Genüsse bleibt; nach dem schon erwähnten Grundsatz: Es gibt kein wahres Vergnügen, ohne das wahre Bedürfnis danach. Kein Drang nach Erkenntnis und Eintracht um ihrer selbst Willen, belebt sein Dasein, auch keiner nach eigentlich ästhetischen110 Genüssen, als welcher dem ersteren durchaus verwandt ist. Was dennoch von Genüssen solcher Art etwa Mode, oder Autorität, ihm aufdringt, wird er als eine Art Zwangsarbeit möglichst kurz abtun. Wirkliche. Genüsse für ihn sind allein die sinnlichen: durch diese hält er sich schadlos. Demnach sind Austern und Champagner der Höhepunkt seines Daseins, und sich alles, was zum leiblichen Wohlsein beiträgt, zu verschaffen, ist der Zweck seines Lebens. Glücklich genug, wenn dieser ihm viel zu schaffen macht! Denn sind jene Güter ihm schon zum voraus oktroyiert111; so fällt er unausbleiblich der Langenweile anheim; gegen welche dann alles Ersinnliche versucht wird: Ball, Theater, Gesellschaft, Kartenspiel, Hasardspiel, Pferde, Weiber, Trinken, Reisen usf. Und doch reicht dies alles gegen die Langeweile nicht aus, wo Mangel an geistigen Bedürfnissen die geistigen Genüsse unmöglich macht. Daher auch ist dem Philister ein dumpfer, trockener Ernst, der sich dem tierischen nähert, eigen und charakteristisch. Nichts freut ihn, nichts erregt ihn, nichts gewinnt ihm Anteil ab. Denn die sinnlichen Genüsse sind bald erschöpft; die Gesellschaft, aus eben solchen Philistern bestehend, wird bald langweilig, das Kartenspiel zuletzt ermüdend. Allenfalls bleiben ihm noch die Genüsse der Eitelkeit, nach seiner Weise, welche denn darin bestehen, dass er an Reichtum, oder Rang, oder Einfluss und Macht, andere übertrifft, von welchen er dann deshalb geehrt wird; oder der auch darin, dass er wenigstens mit solchen, die in dergleichen eminieren112, Umgang hat und so sich im Reflex ihres Glanzes sonnt. – Aus der aufgestellten Grundeigenschaft des Philisters folgt zweitens, in Hinsicht auf Andere, dass, da er keine geistigen, sondern nur physische Bedürfnisse hat, er den suchen wird, der diese, nicht den, der jene zu befriedigen imstande ist. Am allerwenigsten wird daher unter den Anforderungen, die er an andere macht, die irgend überwiegender geistiger Fähigkeiten sein: vielmehr werden diese, wenn sie ihm aufstoßen, seinen Widerwillen, ja, seinen Hass erregen; weil er dabei nur ein lästiges Gefühl von Inferiorität113, und dazu einen dumpfen, heimlichen Neid verspürt, den er aufs Sorgfältigste versteckt, indem er ihn sogar sich selber zu verhehlen sucht, wodurch aber gerade solcher bisweilen bis zu einem stillen Ingrimm114 anwächst. Nimmermehr demnach wird es ihm einfallen, nach dergleichen Eigenschaften seine Wertschätzung oder Hochachtung abzumessen; sondern diese wird ausschließlich dem Range und Reichtum, der Macht und dem Einfluss vorbehalten bleiben, als welche in seinen Augen die allein wahren Vorzüge sind, in denen zu exzellieren115 auch sein Wunsch wäre. – Alles dieses aber folgt daraus, dass er ein Mensch ohne geistige Bedürfnisse ist. Das große Leiden aller Philister ist, dass Idealitäten ihnen keine Unterhaltung gewähren, sondern sie, um der Langenweile zu entgehen, stets der Realitäten bedürfen. Diese nämlich sind teils bald erschöpft, wo sie, statt zu unterhalten, ermüden, teils führen sie Unheil jeder Art herbei; während hingegen die Idealitäten unerschöpflich und an sich unschuldig und unschädlich sind.

      Ich habe in dieser ganzen Betrachtung der persönlichen Eigenschaften, welche zu unserm Glücke beitragen, nächst den physischen, hauptsächlich die intellektuellen berücksichtigt. Auf welche Weise nun aber auch die moralische Trefflichkeit unmittelbar beglückt, habe ich früher in meiner Preisschrift über das Fundament der Moral dargelegt, wohin ich also von hier verweise.

      Kapitel III

      Von dem, was einer hat

      Richtig und schön hat der große Glückseligkeitslehrer Epikuros116 die menschlichen Bedürfnisse in drei Klassen geteilt. Erstlich, die natürlichen und die notwendigen: es sind die, welche, wenn nicht befriedigt, Schmerz verursachen. Folglich gehört hierher nur Ernährung und Kleidung. Sie sind leicht zu befriedigen. Zweitens, die natürlichen, jedoch nicht notwendigen: es ist das Bedürfnis der Geschlechtsbefriedigung; wiewohl Epikur dies im Berichte des Laertius nicht ausspricht. Dieses Bedürfnis zu befriedigen, hält schon schwerer. Drittens, die weder natürlichen noch notwendigen: es sind die des Luxus, der Üppigkeit, des Prunkes und Glanzes: sie sind endlos und ihre Befriedigung ist sehr schwer.

      Die Grenze unsrer vernünftigen Wünsche hinsichtlich des Besitzes zu bestimmen ist schwierig, wo nicht unmöglich. Denn die Zufriedenheit eines jeden, in dieser Hinsicht, beruht nicht auf einer absoluten, sondern auf einer bloß relativen Größe, nämlich auf dem Verhältnis zwischen seinen Ansprüchen und seinem Besitz: daher dieser letztere, für sich allein betrachtet, so bedeutungsleer ist, wie der Zähler eines Bruchs ohne den Nenner. Die Güter, auf welche Anspruch zu machen einem Menschen nie in den Sinn gekommen ist; entbehrt er durchaus nicht, sondern ist, auch ohne sie, völlig zufrieden; während ein anderer, der hundertmal mehr besitzt als er, sich unglücklich fühlt, weil ihm eines abgeht, darauf er Anspruch macht. Jeder hat, auch in dieser Hinsicht, einen eigenen Horizont des für ihn möglicherweise Erreichbaren: so weit wie dieser gehen seine Ansprüche. Wenn irgendein innerhalb desselben gelegenes Objekt sich ihm so darstellt, dass er auf dessen Erreichung vertrauen kann, fühlt er sich glücklich, hingegen unglücklich, wenn eintretende Schwierigkeiten ihm die Aussicht darauf benehmen. Das außerhalb dieses Gesichtskreises


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