Self-Development And The Way To Power. L.W. Rogers

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Self-Development And The Way To Power - L.W. Rogers


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eine Station sein, an der sich mindestens zwei Linien kreuzten. Er nimmt eine Rolltreppe nach oben, bevor er mit einer anderen wieder nach unten fährt und einen korpulenten Farbigen erblickt, der Altsaxophon spielt. Im offenen Instrumentenkoffer schimmern matt ein paar Münzen. Er bleibt einen Augenblick stehen und hört zu. Unglaublich, was der Kerl draufhat. Die Wiedergeburt von Bird. Doch dann fängt er erneut mit derselben Melodie an: Now’s The Time. Man drängt ihn weiter.

      »Excuse me, Sir.«

      Die Leute in diesem Land sind höflich.

      Er findet keinen Ausgang, lässt sich durch das Labyrinth treiben und entscheidet sich schließlich für eine Richtung, die mit Northbound beschildert ist. Ein neuer Zug und neue Menschen. Ein grauer, nur spärlich besetzter Waggon, vielleicht weil es der letzte ist. Er spürt, dass sein Magen knurrt, dass er hungrig wird. Doch er hat keine Angst mehr. Braucht die Dinge einfach auf sich zukommen lassen. Vorläufig war er ein sorgloser Reisender.

      Bei einer Station namens Hampstead steigt er aus, vermutlich weil ihm der Name bekannt vorkommt. Er schien mit einem Schriftsteller in Verbindung zu stehen. Schriftsteller. Das hörte sich vertraut an. Sprache, natürlich. Worte. Das Werkzeug eines Schriftstellers. War er selbst einer? Er glaubt es nicht, weil ihm dann sicher einige seiner Titel einfallen würden. Zum ersten Mal seit längerer Zeit spürt er wieder das leichte Zittern seines Körpers, die eigenartige Hilflosigkeit, die ihm verrät, dass er nicht die volle Kontrolle besitzt, dass ihm irgendetwas abhanden gekommen ist, ein Draht, so hauchdünn wie eine Glasfaser.

      Vor einem Pub, glaubt er.

      Ein Lift bringt die Reisenden an die Oberfläche. Als er auf die Straße tritt – nachdem er eine weitere Schleuse passiert und sein Ticket zurückerhalten hat –, ist der Himmel schwefelfarben. Der Ausgang befindet sich in einer Straßenkurve, und er entscheidet sich für die Richtung, die heller erleuchtet ist. Die Zeiger seiner Armbanduhr stehen auf 6.23.

      P.m.

      Now’s The Time.

      Er sucht Zuflucht im erstbesten Lokal und hat es ganz und gar nicht schlecht getroffen. Die Gerichte stehen in roter Kreide auf einer schwarzen Tafel. Er bestellt Lammkoteletts mit Gemüse sowie einen Pint helles Bier. Die rothaarige Bedienung erinnert ihn an eine Frau, deren Name ihm entfallen ist.

      Er lässt es sich schmecken. Das Bier ist kühl und erfrischend. Er trocknet sich den Mund und hat für einen Augenblick die Assoziation, die Leere in ihm sei ein verlassenes Zimmer ohne Gardinen. Die wenigen Möbel sind mit weißen Schonbezügen abgedeckt. Der Raum kommt ihm bekannt vor, obwohl er ihn noch nie gesehen hat. Als die Bedienung vorbeigeht, zeigt er auf sein Glas. Es dauert nicht lange, bevor ein frisches Bier mit Schaumkrone vor ihm steht. Als er die Hand in die Jackentasche steckt, sagt sie lächelnd, er könne an der Theke bezahlen, wenn er gehe. Typisch England, denkt er. Hier gab es keine allgemein gültigen Regeln, was die Zahlweise anging; alles war dem Zufall und dem Willen des jeweiligen Inhabers überlassen. Er blättert ein wenig im Guardian und schließt dann seine Augen. Wenn er sie wieder öffnete, würde er vielleicht zu sich kommen, vernünftig nachdenken und dorthin zurückkehren können, wo er hingehörte. Aber das Bedürfnis ist schwächer als zuvor. Inzwischen scheint es sich fast um ein Spiel, ein stets wiederkehrendes Ritual zu handeln.

      Einst ging ich über See und Land, da traf ich einen alten Mann; er sagte so, er fragte so, wo bist du denn zu Hause? Ich bin zu Haus im Wörterland, im Wörterland, im Wörterland, und jeder Mensch, der schreiben kann, der ist zu Haus im Wörterland.

      Langsam lässt er das Licht durch seine zusammengekniffenen Augen sickern, ist aber weiterhin nicht in der Lage, vernünftig und zusammenhängend nachzudenken. Doch er hat das Gefühl, der Sache näher zu kommen. Er trinkt einen Schluck, erinnert sich an die Zigaretten in seiner Jackentasche und zündet sich eine an.

      »Hast du auch ’ne Kippe für mich, Süßer?«

      Er fährt zusammen, schüttelt den Kopf, bietet ihr aber trotzdem eine an. Die Frau, die neben ihm Platz genommen hat, muss mindestens sechzig sein. Er findet sie ziemlich abstoßend: ihr Gesicht ist bleich, im Oberkiefer fehlen ein paar Zähne und mit ihren eingefallenen Wangen macht sie einen ausgehungerten Eindruck. Sie riecht nach Schimmel. Die Zigarette lässt sie rasch in ihrer Manteltasche verschwinden.

      »Die ist für später.«

      Er nickt bloß, mehr überrascht als verärgert. Die burgunderfarbene Bluse, die sie unter dem fleckigen Mantel trägt, erinnert ihn an geronnenes Blut. Doch ihr Blick lässt ihn nicht los. Die Augen sind anklagend, gierig und flehentlich zugleich, als sei er ihr letzter Ausweg. Er weiß, dass es im Gegensatz zu dem Land, aus dem er kommt, hier nichts Ungewöhnliches ist, wenn sich ein Fremder mit an den Tisch setzt, vorausgesetzt, es gibt noch einen freien Stuhl. Mitunter führte das zu interessanten Gesprächen, meist zu belanglosem Smalltalk.

      Nichtsdestotrotz empfindet er das Auftreten der Frau als Zumutung. Vermutlich wollte sie mehr als eine Zigarette. Ein unverfrorenes Weib auf Kontaktsuche. Oder eine gewöhnliche Bettlerin, die ihre Tricks anwandte, um ihn auszunehmen. Ihre nächste Handlung verunsichert ihn, denn unvermittelt greift sie nach seinem Glas, nimmt einen langen Schluck und grinst vergnügt. Er weiß nicht recht, wie er sich verhalten soll, hört, dass um ihn herum getuschelt wird, während ein halbwüchsiger Junge zu kichern anfängt. Da eilt die Bedienung herbei, packt die Frau hart am Oberarm und zieht sie vom Stuhl.

      »Verzieh dich, Suzy!«

      Worauf Suzy faucht, sich losreißt und dem Ausgang entgegenwankt.

      »Tut mir leid, Sir. Die ist wirklich eine Plage für uns«, entschuldigt sich die Bedienung. »Ich bringe Ihnen sofort ein neues Bier.«

      Die Gäste an den umliegenden Tischen, die ihre Köpfe zusammengesteckt haben, nicken verständnisvoll in seine Richtung, und er lächelt dankbar zurück. Von jetzt an hat er seine Ruhe. Er ist froh darüber, bedauert aber, dass die Frau mit den eingefallenen Wangen nicht der Typ war, dem er sich hätte anvertrauen können. Er ist satt, fragt sich jedoch, was er jetzt tun soll. Das Bier und das gleichförmige Stimmengewirr haben ihn träge und schläfrig gemacht. Alles, wonach er sich sehnt, ist ein warmes Bett. Hier kann er zumindest nicht ewig sitzen bleiben. Er leert sein Glas, bevor er aufsteht, die Zeitung liegen lässt und seinen Anorak anzieht. Automatisch nach seinem Hut schaut, jedoch keinen erblickt. Dann hatte er wohl barhäuptig das Haus verlassen. Er geht langsam zur Theke, um zu bezahlen. Auf dem Weg tastet er in der Jackentasche vergeblich nach seiner Brieftasche. Der Barkeeper blickt ihn auf eine Weise an, als ahne er bereits, dass dieser Gast zu der Sorte gehört, die ihre Rechnung nicht begleichen kann. Eine Tür mit der Aufschrift Gents ist die Rettung.

      Bevor er sich erleichtert, kramt er in jeder einzelnen Tasche seiner Kleidung. Das Portemonnaie ist verschwunden – gestohlen, verloren, vergessen. Das Einzige, was er findet, sind ein Stadtplan, eine Zigarettenschachtel sowie ein wenig Kleingeld, insgesamt ein Pfund und fünfzig Pence. Er schuldet dem Lokal mindestens zehn Pfund. Unter normalen Umständen hätte er selbstverständlich sein Portemonnaie dabei. Seine Brieftasche mit Banknoten und Kreditkarten.

      Er war also völlig abgebrannt.

      Doch nach einer Weile sagt er sich, er dürfe den Verlust nicht überbewerten, brauche nur zur Theke zurückzukehren und den Sachverhalt zu erklären. Er musste ihnen begreiflich machen, dass er das Geld zu Hause vergessen hatte und morgen wiederkäme, um seine Schulden zu begleichen. Im schlimmsten Fall würde er die Schmach auf sich nehmen und für ein paar Stunden als Küchenhilfe arbeiten. Aber das war wohl ausgeschlossen. Die freundliche Kellnerin hatte sicherlich längst bemerkt, dass er ein redlicher Kunde war, denn die Bedienung war ohne Fehl und Tadel gewesen. Da er von einem weiblichen Gast belästigt worden war, würde man ihm Glauben schenken, wenn er behauptete, die Brieftasche sei ihm gestohlen worden. Vielleicht hatte die freche und aufdringliche Suzy sie ja tatsächlich geklaut, als er für einen Moment die Augen schloss und sich das merkwürdige Zimmer mit den Schonbezügen über den Möbeln vorstellte. Er brauchte nur Namen und Adresse anzugeben, damit sie ihm ein Taxi riefen, das ihn nach Hause brachte. Die Bezahlung hatte keine Eile. Nach Hause?

      Während er in das Urinal pinkelt, kehren die Schmerzen zurück, zum ersten Mal seit


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