Self-Development And The Way To Power. L.W. Rogers

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Self-Development And The Way To Power - L.W. Rogers


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hätten sie im Black Lion, gleich hinter der Cromwell Road, gegessen.

      »No quarrel, Mrs. Blix?«

      »No, no ...« Es müsse ihm etwas zugestoßen sein, erklärte sie. Oder ich habe versehentlich etwas gesagt, das für ihn das Fass zum Überlaufen brachte, dachte sie im Stillen. Ihre eigenen Personalien musste sie auch angeben: geboren am 17. April 1957, wohnhaft in Oslo, von Beruf Bankangestellte.

      Telefone klingelten. Elizabeth Parkins führte mehrere Gespräche. Ein Constable kehrte mit Steinars Pass zurück und teilte mit, sein Foto sei an sämtliche Polizeistationen und Krankenhäuser Londons gefaxt worden. Viel mehr könnten sie im Moment nicht ausrichten. Linda bekam einige Valiumtabletten und wurde zum Hotel zurückgebracht, doch ihr verzweifelter Wunsch, Steinar möge in der Zwischenzeit zurückgekommen sein, erfüllte sich nicht. Es wurde eine schlaflose Nacht.

      Gegen drei Uhr meinte sie ein Klopfen an der Tür zu hören.

      Mein Liebster!

      Sie sprang aus dem Bett, warf sich den Morgenmantel über und öffnete. Doch niemand stand draußen. Die zunehmende Ungewissheit machte sie benommen. Sie hatte geglaubt, der Albtraum sei vorüber, als sie Norwegen verließen. Doch vielleicht fing er jetzt erst an.

      Seine erste Nacht

      ohne Identität verbringt er auf einer Bank. Sie steht unter einem schmalen Dach, über einem Eisengitter, aus dem warme Luft aufsteigt, irgendwo am Rand von Hampstead Heath. Er weiß nicht, ob der Luftstrom aus der U-Bahn oder von den Rohren eines Industriebetriebs kommt, doch es wundert ihn, dass dieser Platz nicht von anderen Obdachlosen in Besitz genommen wurde. Vielleicht war die Gegend zu vornehm, vielleicht gab es hier keine Obdachlosen.

      Denn jetzt war er selbst einer geworden. Kein Entdeckungsreisender, sondern ein gewöhnlicher Penner.

      Als er, auf dem Rücken liegend, erwacht, geschieht dies, weil ein Hund ihm mit der Zunge über sein Gesicht fährt, ein kleiner rotbrauner Bastard ungewisser Abstammung. Mühsam setzt er sich auf, blinzelt ins graue Morgenlicht und will den Hund streicheln, doch das Tier erschrickt und schlägt sich in die Büsche. Mit steifen Gliedern steht er auf und gähnt. Es tut gut, sich zu strecken; so fühlte man sich, wenn man an einem Sommermorgen aus einem engen Zelt kroch. Womöglich war es gar kein Hund, sondern ein Fuchs gewesen.

      In der Baumkrone über ihm beginnt eine Amsel zaghaft zu zwitschern. Blackbird. Turdus merula auf Lateinisch. Sein Rücken fühlt sich nach der Nacht auf den harten Holzlatten ziemlich taub an. Doch was ihn vor allem beschäftigt, ist seine innere Leere. Er versucht ihr auf den Grund zu gehen, doch es gelingt ihm nicht. Dennoch waren etwaige Sorgen ganz und gar hypothetisch. Die Nacht hatte eine Veränderung bewirkt, hatte den schrecklichen Schmerz hinter den Schläfen vertrieben. Er spürt kein Schuldgefühl mehr, keine Scham, keine Reue. Kein Herzklopfen mehr aufgrund seiner Heimatlosigkeit. Keine bedrängenden Angstzustände. Er ist ein Mensch ohne Zahnweh, Gliederschmerzen oder schlechtes Gewissen. Seine einzige Sorge gilt im Moment der Frage, wie er Geld für ein kleines Frühstück auftreiben könnte. Er verlässt den Park auf der Ostseite, frei wie ein Vogel. Es ist früh am Morgen und er fühlt sich unbeschwert.

      Kurz darauf bleibt er vor einem Plakat stehen und muss dicht an die Wand treten, um den Text unter dem Bild lesen zu können, auf dem eine dreckige Matratze sowie ein Paar Füße zu sehen sind, die aus einem großen Pappkarton herausgucken:

      Freie Unterkunft im West End – Tür an Tür mit einem renommierten Warenhaus. Zentral, luftig und geräumig. Geringer Verkehrslärm. Zuweilen von Passanten als Urinal benutzt. Perfekt geeignet für Leute ohne Vorurteile.

      Das musste ein Scherz sein, der auf Leute wie ihn zugeschnitten war; er bricht in kurzes Gelächter aus. Wird regelrecht gut gelaunt. Daneben hängt ein weiteres Plakat, auf dem Gerümpel und Lumpen abgebildet sind:

      Zimmer in Hammersmith. Ruhige Lage in dunkler Ecke zwischen überfüllten Mülleimern. Leckende Abflussrohre sorgen für fließendes Kaltwasser. Komplette Möblierung mit leicht zugänglichen Pappkartons. Nur einen Steinwurf zur U-Bahn. Unbedingt anschauen!

      Ein originell formulierter Spaß und Beispiel für britischen Galgenhumor, denn beide Plakate bitten im Namen einer Organisation namens Centrepoint um Spenden zugunsten junger Obdachloser. Viele leiden offenbar große Not, denkt er. Eine Not, deren Zunahme auf das Konto Margaret Thatchers und John Majors geht. Er kann sich daran erinnern, dass der neue Regierungschef Blair heißt und einen guten Eindruck auf ihn machte. Wenn irgendjemand die Probleme in Nordirland in den Griff bekommen konnte, musste es dieser Blair sein.

      Wo wohnte er selbst? Die Schmerzen hinter seinen Schläfen verstärkten sich jedes Mal, wenn er eine Antwort auf solche Fragen suchte. Auch seine Knie begannen dann wieder zu zittern. Daher schien es ihm ratsam, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Er reißt sich von den Plakaten los und geht weiter. In dieser Gegend waren die Häuser gepflegt und die Straßen sauber. Wenn überhaupt, so fanden sich hier bestimmt nur sehr wenige ungebundene Existenzen. Zu vielen Häusern gehörten hübsche Gärten. Hier hat er ein heimisches Gefühl, obwohl er Hunger und Durst verspürt. Auf der Treppe, die zu einer blauen Haustür mit Messingklopfer führt, entdeckt er zwei Milchflaschen. Er blickt sich um, steckt sich die eine rasch unter die Jacke und eilt davon. Sobald er sich unbeobachtet fühlt, zieht er die Flasche hervor und trinkt – in langen, gierigen Zügen. Das tut gut, und so nimmt er kaum wahr, dass ihn eine Frau, die mit dem Fahrrad vorüberfährt, verwundert anblickt. Er kommt sich nicht wie ein Dieb vor; schon eher als moderne Dickens-Figur. Er stahl aus einer Notsituation heraus und nicht aus niederen Motiven.

      Die Straße endet an einem weiteren Park. In einer Hecke entdeckt er eine Lücke, kriecht hindurch und findet sich auf einem Friedhof wieder. Offenbar einem sehr alten, teilweise überwachsenen. Einer Art Dschungel. Einige Bäume tragen welkes Laub, während andere ihre Blätter bereits verloren haben. Das Gelände ist etwas abschüssig und wird von mehreren Spazierwegen durchzogen. Hin und wieder bleibt er stehen, um die Grabinschriften zu lesen. Mitunter neigten sich die Kalksteine einander zu, als ob die Toten Kontakt suchten, um sich etwas zuzuflüstern. Eliza Dummet lehnte sich beispielsweise zu Thomas Foreman hinüber – vielleicht hatten sie sich einst geliebt. Es riecht nach Schimmel und Vergangenheit. Doch die Wege sind breit und gut begehbar. Er leert die Milchflasche und stellt sie vor ein relativ junges Grab. Die Leute werden annehmen, die Flasche diene als Blumenvase.

      Dann liest er den Text auf dem Grabstein:

      Gordon Bell

      (Middle name Ernest, though he

      placed no importance on it)

      20. 12. 1942 – 17. 3. 1993

      »Tomorrow do thy worst,

      for I have lived today«

      Die Briten waren seiner Meinung nach Weltmeister im Formulieren von Epitaphen. Er freut sich über das Wortspiel und macht sich Gedanken, was wohl auf seinem Grabstein stehen wird, wenn die Zeit gekommen ist. Das waren nur flüchtige Morgengedanken über ein Thema, das ihn selten beschäftigt, ihm aber dennoch merkwürdig vertraut vorkommt – der Tod. Der konnte in seinem Fall noch lange auf sich warten lassen. Nach dem Gesicht zu urteilen, das er gestern im Spiegel gesehen hatte, dürfte er kaum älter als fünfzig sein. Er rechnet rasch nach und stellt fest, dass Gordon Bell, als er das Zeitliche segnete, ungefähr im selben Alter war. Dennoch schlendert er zufrieden weiter, unbeeindruckt von dieser Entdeckung. Bald ist es Weihnachten und die Vögel in den Büschen geben seltsam exotische Laute von sich. Mögliche Sorgen hatte er mit der letzten Nacht hinter sich gelassen.

      Dieser Ort gefällt ihm und er bleibt lange. Wandert systematisch auf den schmalen und breiten Wegen umher. Wenn er nicht geht oder ausgedehnte Pausen auf einer der vielen Bänke macht, versucht er, einige der fast unleserlichen Inschriften zu entziffern. Da ihm viele Namen bekannt vorkommen, scheint es sich nicht um einen x-beliebigen Friedhof zu handeln. Er lauscht dem entfernten Rauschen des Verkehrs und versucht den Hunger zu vergessen.

      Es würde sich schon alles wieder einrenken.

      Eine ganze Weile später, als der Kiesweg eine Biegung macht, kommt er zu einer Grabstelle, die größer und prächtiger ist


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