Self-Development And The Way To Power. L.W. Rogers

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Self-Development And The Way To Power - L.W. Rogers


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Selbstachtung wahren zu wollen, anstatt sich zu erniedrigen, würde er zweifellos den Mann in seinem Vertrauen bestärken.

      »Es ist das Einfachste für uns beide, wenn ich mich ans Sozialamt wende.«

      »So weit kommt’s noch!«, ist Tiptons spontane Antwort.

      Auf dem Weg zur U-Bahn-Station zieht er sein Tagesticket aus der Tasche, während Tipton anscheinend eine Dauerkarte besitzt. Da der Zug ziemlich voll ist, sitzen sie einige Plätze voneinander entfernt, und als der Waggon in die Dunkelheit gleitet, legt er sich, ohne jede Angst, Folgendes zurecht:

      Mein Name ist Gordon Bell. Ich bin gut fünfzig Jahre alt und wurde in Richmond, Yorkshire, geboren. Meine Eltern und eine jüngere Schwester kamen bei einem Brand ums Leben, als ich achtzehn war. Von da an war ich gezwungen, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich studierte Musik und hielt mich mit Gelegenheitsjobs in verschiedenen Bars über Wasser. Nach dem Militärdienst bin ich nach Paris gegangen, wo sich damals viele Jazzgrößen aufhielten. Ich habe ihnen aufmerksam zugehört, sah aber selbst keine Chance, auch nur annähernd ihr Niveau zu erreichen. Dafür habe ich mich in ein Mädchen aus Heidelberg verliebt, der ich mich anschloss, als sie nach ihrem Studium nach Hause zurückkehrte. Nach ein paar Jahren war unsere Beziehung beendet und ich zog ins damalige West-Berlin. Fragt mich nicht, warum. Es war wohl die Suche nach Spannung und Abenteuer, die mich dorthin trieb. Während einer Jamsession mit ausländischen Musikern wurde ich von einem Engländer, der sich unter dem Publikum befand, gefragt, ob ich einen übergelaufenen Russen im Augen behalten könne. So nahm die Sache ihren Anfang. Der erste Auftrag zog den nächsten nach sich. Mehrere Jahre war ich in ganz Europa unterwegs und entschied mich erst in dem Moment, nach England zurückzukehren, als die Mauer fiel und ich begriff, dass meine Zeit um war. In diesem Augenblick befinde ich mich in der Londoner U-Bahn und bin in Begleitung eines bebrillten Herrn namens Frank Tipton. Er wird mir womöglich einen Job als Pianist und ein Dach über dem Kopf besorgen. Momentan habe ich nur eine Sorge: Kann ich wirklich Klavier spielen oder habe ich mir das nur eingebildet?

      Bei Tottenham Court Road steigen sie um in die Central Line Richtung Holland Park.

      »Verflucht!«, ruft Tipton aus, als sie wieder auf der Straße stehen. »Dein Koffer! Wir hätten zur Victoria Station fahren und ihn abholen sollen.«

      »Den hole ich später.«

      »Wie du willst.« Sein freundlicher Retter lächelt und zieht ihn mit sich. »Ich finde sicher jemand, der dich hinfahren kann. Meine Karre ist leider in der Werkstatt. Deshalb musste ich auch die ›Tube‹ nach Highgate nehmen.«

      Tube, denkt Gordon Bell. So hieß die U-Bahn im Volksmund. Er konstatiert dies mit größter Selbstverständlichkeit; sein Zugehörigkeitsgefühl wächst. Er hat offenbar doch eine Beziehung zu dieser Stadt, die ihm vor vierundzwanzig Stunden noch völlig fremd schien. Tipton führt ihn über eine Straße, die Landsdowne Road heißt, und biegt wenig später nach rechts ab. »Jetzt sind wir im Herzen von Notting Hill«, sagt er, »aber das weißt du ja sicher.«

      Ausnahmsweise kann er ehrlich antworten: »Ja, aber ich kenne mich in dieser Gegend nicht besonders gut aus.«

      »Und dies ist meine Galerie.« Er macht eine ausgreifende Armbewegung.

      Sie heißt Rendezvous und befindet sich, von anderen Geschäften eingerahmt, in einem langen weißen Steinhaus mit zwei Etagen. Tipton erklärt, der Name gehe auf einen armen Franzosen zurück, der ihm einst fünf Bilder in der Hoffnung überließ, er würde sie für ihn verkaufen. So hatte alles angefangen. In den zwei kleinen Schaufenstern hängen wenige Ölgemälde und ein paar Lithographien – für mehr ist auch kein Platz. Drinnen sind keine Kunden; die Frau, die hinter einer kleinen Schreibmaschine sitzt, steht auf und sagt mit weicher, freudiger Stimme:

      »Da bist du ja schon, Frank. Ich dachte, du würdest erst in einigen Stunden wiederkommen.«

      »Das dachte ich auch, aber irgendwie haben wir den alten Ton nicht mehr gefunden. Abgesehen von Gordon und mir.«

      »Mary Tipton«, stellt sie sich vor und gibt ihm die Hand. Sie ist um die fünfzig und geschmackvoll geschminkt. Ihr Kleid ist grün wie ein Laubbaum im Frühling, was gut zu den kupferroten, hochgesteckten Haaren passt. »Sind wir uns schon mal begegnet?«

      »Das glaube ich kaum. Mein Name ist Gordon Bell. Schön, Sie kennen zu lernen.«

      »Du brauchst kein Blatt vor den Mund zu nehmen«, sagt Tipton lächelnd. »Sie haben ihn vor die Tür gesetzt, genau wie mich. Gordon ist heute Morgen in London angekommen und will sich nach einem langen Auslandsaufenthalt hier niederlassen. Dass er sich als erstes seine Brieftasche hat klauen lassen, zeigt nur, dass er wieder ein ganz normaler, anständiger Kerl geworden ist, der sich allerdings erst wieder an seinen zivilen Status gewöhnen muss.«

      »Oh, das tut mir leid – das mit der Brieftasche, meine ich.«

      »Könntest du dich für ein paar Minuten um Gordon kümmern, während ich telefoniere? Wir haben zwar vor einer Stunde gegessen, aber ich glaube, ein bisschen kaltes Huhn zum Lunch wäre keine schlechte Idee.«

      »Und vielleicht etwas Salat?«

      »Ganz deiner Meinung.«

      Ihr Umgangston ließ auf eine intakte Beziehung schließen. Er folgt Mrs. Tipton in den ersten Stock, wo sie ihm seinen Anorak abnimmt. Die Wohnung ist nicht besonders groß, aber für englische Verhältnisse ausgesprochen gemütlich eingerichtet. Die wenigen Bilder an den Wänden entsprachen seinem Geschmack, und die dicht besetzten Buchregale legten die Vermutung nahe, dass die Tiptons nicht sonderlich viel Zeit vor dem Fernseher verbrachten, der zudem verstaubt und schwer zugänglich in einer Ecke stand.

      »Nehmen Sie Platz«, sagt sie, »oder schauen Sie sich gerne um, wenn Sie möchten. Viel mehr zu sehen gibt es allerdings nicht. Wir haben nur drei Zimmer plus Küche. Die übrigen Räume benutzen wir als Werkstatt und Lager.«

      Er nickt und weiß nicht recht, was er sagen soll, plötzlich allein mit einer fremden, nach Parfüm duftenden Frau. Als er ans Fenster tritt, das zur Straße hinausgeht, erblickt er sich kurz in einem mit Ornamenten verzierten Spiegel. Er erkennt sein Gesicht, muss jedoch verzweifelt feststellen, wie ungepflegt er aussieht. Die dunklen Haare hängen ihm strähnig in die Stirn, und seit mehr als vierundzwanzig Stunden hat er sich nicht rasiert, was einem Mann mit kräftigem Bartwuchs deutlich anzusehen ist. Herrgott, er hatte ja nicht einmal sein Rasierzeug bei sich! Während er vor einem Barschrank steht und ihr den Rücken zukehrt, holt er rasch seinen Kamm aus der Hosentasche und zieht ihn ein paar Mal durch seine Haare. Hofft, dass er nicht nach Parkbank und Penner riecht.

      »Möchten Sie vielleicht einen kleinen Drink? Einen Sherry? Whisky?«

      Er denkt an die beiden Biere, die er bereits zu ziemlich früher Stunde getrunken hatte, doch aus purer Höflichkeit lehnt er nicht ab. »Einen kleinen Sherry, sehr gern.«

      »Sie sind zu Weihnachten nach Hause gekommen?«

      »Ja, es ... hat sich so ergeben.«

      »Frank und ich haben einen erwachsenen Sohn – Martin. Ich hoffe, er bleibt in Edinburgh, mitsamt seiner Verlobten! Sie studiert Psychologie und meint, sie müsse uns analysieren. Ist das nicht schrecklich?«

      »Nun ...«

      »Haben Sie Familie hier?«

      »Nein, meine Eltern sind schon vor Jahren gestorben.«

      »Aber Sie sind verheiratet?«

      Er weiß nicht, was er antworten soll.

      »Außerhalb von England«, sagt sie lächelnd, »nachdem Sie den Ring an der rechten Hand tragen.«

      Während sie ihm das Glas reicht, versteht er, was sie meint. Der Anblick des Rings erschreckt ihn und lässt ihn vermuten, dass es womöglich noch viele Dinge gab, die ihm ein Rätsel waren. Zunächst einmal galt es, sich aus der heiklen Situation zu befreien, und er fühlt sich dazu in der Lage: »Wir haben uns getrennt. Deswegen bin ich hierher gekommen. Ich wollte alle Brücken hinter mir abbrechen.«

      »Dann sollten Sie auch den Ring ablegen, finde ich.«


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