Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor Storm

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Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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sah mich eine Weile unentschlossen an, dann mit einer raschen Bewegung zu mir tretend, brachte sie den Mund dicht an mein Ohr und rief mit einem Ton des Abscheues: »Der Bucklige!«

      »Mein armer Freund!« Ich wußte weiter nichts zu sagen, obgleich es mir seit der letzten halben Stunde nichts Neues war, was ich erfuhr.

      Gertrud nickte. »Er hat so gute Augen!« sagte sie. »O, ich weiß es ja, es ist so schlecht von mir!« und dabei fing sie bitterlich zu weinen an.

      Nachdem ich sie etwas beruhigt hatte, bat ich sie noch ein paar Augenblicke hier zu verweilen; ich wollte, ehe sie dorthin zurückkehrte, den kleinen Maler aus dem Kinderkreise zu entfernen suchen. Gertrud war damit einverstanden. Als ich aber kaum ein paar Schritte in die Bäume hinein getan hatte, sah ich nicht weit von mir eine arme gebrechliche Gestalt an einen Baum gelehnt.

      »Brunken«, rief ich, »was machst du hier?«

      »Nicht eben viel«, erwiderte er, »die Kleine da hat mir das Ende meiner Ungeheuergeschichte erzählt; eigentlich freilich hat sie es wohl nur dir erzählen wollen, aber ich habe scharfe Ohren.« Dann ergriff er meine Hand. »Arnold«, sagte er und seine Stimme klang auf einen Augenblick fast weich, »es ist ein schwer Exempel; meine Seele und meine Kunst verlangen nach der Schönheit, aber die langfingerige Affenhand des Buckligen darf sie nicht berühren.«

      In solchem Augenblick vermag ein anderer nicht viel; was wir noch gesprochen, dessen erinnere ich mich nicht mehr; ebensowenig, wie der Rest des Tages verlief. Nur das weiß ich noch, daß bei der Rückfahrt der unglückselige Assessor neben Gertrud auf der Leiterbank und Brunken den beiden gegenüber zu sitzen kam. Er hatte während einer ganzen Stunde hinlänglich Gelegenheit, sich das Herz voll Gift und Leidenschaft zu trinken; denn auch mir entging es nicht, daß jene beiden nicht ungern nebeneinander saßen, wie ich es denn auch gestehen muß, daß sie später durch den Segen der Kirche so fest als möglich miteinander verbunden worden sind.

      Als wir in der Stadt und vor meines Onkels Hause angekommen waren, sprang Brunken vom Wagen und rannte, ohne einem von uns ein »Gute Nacht« geboten zu haben, die Straße hinab; sein kleiner Radmantel, den er umgebunden hatte, schwebte wie ein Dach über den dünnen Beinen.

      »Heisa! Freu dich, Christel!« hörte ich einen Jungen einem alten Weibe zurufen, das sich mit einem Korb voll Wäsche über die Straße schleppte. »Die Schildkröten laufen herum, heute nacht gibt’s Regen!« Und beide schlugen ein schallendes Gelächter auf.

      Nachdem ich die sämtlichen Damen und Kinder hatte vom Wagen herabheben helfen, nahm ich von meinen Verwandten Abschied und ging in Brunkens Wohnung. Aber ich erfuhr nur, daß er dort gewesen und sogleich, ohne Bescheid zurückzulassen, wieder fortgegangen sei. Nicht besser ging es mir ein paar Tage darauf; es hieß, Brunken habe sagen lassen, er sei auf den Dörfern in der Umgegend, um dort Studien zu machen; einiges Gerät und Farben zum Aquarellmalen hatte er sich nachkommen lassen. Nach etwa vier Wochen erhielt ich aber einen Brief von ihm aus einer größeren Stadt des mittleren Deutschlands, worin er mir erzählte, daß er dort seinen bleibenden Aufenthalt nehmen werde; der Brief enthielt zugleich die Bitte, ihm seine Habseligkeiten dorthin nachzuschicken. Ich besorgte das alles und seitdem verging eine lange Zeit, während welcher jede Beziehung zwischen uns aufgehört hatte.

       Es mochte vier Jahre später sein, als ich auf einer größern Reise eines Vormittags auch in jene Stadt gelangte. Von dem Wirt des Gasthofes, in dem ich abgetreten war, erfuhr ich, daß mein Freund in einem kleinen Landhause vor der Stadt wohne. Als ich mich dann nach dem Wege dahin erkundigte, meinte er, der Pflegesohn des Herrn Professor sei vor einer halben Stunde hier vorbeigegangen und werde bald zurückkommen. »Wenn’s gefällig«, setzte er hinzu, »könnten Sie ja mit dem jungen Herrn hinausgehen.«

      Ich machte große Augen. »Pflegesohn, Herr Wirt? – Ich spreche von dem Maler Brunken.«

      »Ohne Zweifel, mein Herr«; erwiderte dieser, »der Herr Professor sind mir wohl bekannt; sie haben zu Anfang ihres hiesigen Aufenthalts ein Vierteljahr in meinem Hotel zu Mittag gespeist.«

      Ich gab mich zufrieden und ging auf mein Zimmer, um mich umzukleiden. Es dauerte auch nicht lange, so wurde angeklopft, und auf mein »Herein« trat ein kräftiger, fast untersetzter junger Mann von etwa neunzehn Jahren in das Zimmer. »Herr Doktor Arnold?« sagte er, indem er mich begrüßte.

      Ich betrachtete ihn näher. Auf seinen breiten Schultern erhob sich ein kleiner blasser Kopf, in dessen tiefliegenden Augen ein eigener, fast melancholischer Reiz lag. »Sie wollen die Güte haben«, entgegnete ich, »mich zu meinem Freunde zu führen?«

      »Es wird meinem Lehrer eine große Freude sein«; erwiderte er, »er hat mir oft von Ihnen gesprochen.«

      »Sie sind auch Maler?« fragte ich.

      »Ich suche es zu werden«, versetzte er.

      Wir gingen nun zusammen fort. Unterwegs erzählte mir mein junger Begleiter, der auf meine Fragen bescheiden aber ohne Gesprächigkeit antwortete, daß er seinen ersten Unterricht von Brunken erhalten, mit dem er sogleich das derzeit von diesem erkaufte Haus bezogen habe. Aus seinen Äußerungen mußte ich entnehmen, daß er dort seine eigentliche Heimat finde; denn er war auch jetzt nach einem dreijährigen Besuch der Akademie dahin zurückgekehrt.

      Unter solchen Gesprächen hatten wir bald die Stadt im Rücken und gingen nun im Schatten einer langen Lindenallee, an deren beiden Seiten sich eine Reihe von zum Teil prächtigen Landhäusern entlangzog. Nach kurzer Zeit bogen wir in eine Seitenstraße, wo die Architektur bescheidenere Formen anzunehmen begann; und hier, auf der Terrasse eines einstöckigen Hauses, erblickte ich die groteske Gestalt meines trefflichen Freundes. Er stand in der vollen Mittagssonne und beschattete die Augen mit der Hand; das mächtige Haupt war noch wie einst mit dem braunen struppigen Vollbart geziert; aber als wir die Tür des Gartengitters öffneten, sah ich, daß er frisch und kräftig ausschaute, wie ich ihn nie gekannt.

      »Wen bringst du mir da, mein Sohn Paul?« rief er uns entgegen, während wir um einen kleinen Rasen herum dem Hause zugingen.

      Paul lächelte. »Keinen Fremden, denke ich!«

      Und schon war Brunken die Stufen in den Garten hinabgekommen und hatte meine beiden Hände ergriffen. »Nein, keinen Fremden!« rief er. »Bei allen Göttern, die den Wanderer beschützen! Sei mir tausendmal gesegnet, Arnold, daß du endlich bei mir einkehrst!«

      Ich konnte nicht zu Worte kommen; denn schon war er wieder die Stufen hinauf und rief durch die offene Flügeltür ins Haus: »Martha, Marie, wo steckt ihr denn?« Und dabei schlug ihm die Stimme in seine höchste Fistel über; aber dennoch klang es schön und herzerquickend; und herzerquickend war auch das, was auf seinen Ruf erschien; zuerst wie ein Vogel herangeflogen, ein schlankes, etwa vierzehnjähriges Mädchen; und dann, ihr ruhig folgend, eine ältere Frau mit den schönen Augen meines Freundes, aber ohne die Gebrechen seines Körpers.

      »Dies«, sagte Brunken, indem er ihre Hand ergriff, »ist meine liebe Schwester Martha; wir hausen hier zusammen; den Paul hast du dir schon selber aufgefischt; aber diese meine Nichte muß ich dir noch vorstellen; es ist ein junges, törichtes Geschöpf, das den hehren Namen Maria noch keineswegs verdient hat.« Und dabei zupfte er die kleine Schöne ein paarmal derb an ihren braunen Flechten. »Nicht wahr«, fuhr er zu mir gewendet fort, »du trittst hier in ein kinderreiches Haus! Und sind sie auch nicht so ganz mein eigen, so hab ich doch ein gutes Teil an ihnen.«

      Er mußte innehalten, der Atem fing ihm endlich an zu fehlen. Und es brauchte auch keiner weitern Auseinandersetzung; das Mädchen hatte die Arme auf dem Rücken zusammengeschränkt und sah mit den glücklichsten Augen in das gerötete Antlitz des kleinen aufgeregten Oheims.

      »Aber Edde?« bemerkte jetzt die Schwester, indem sie fragend von ihm zu mir herüberblickte.

      Er hatte sie sogleich verstanden. »Ja so, wer das ist?« rief er. »Den kennt ihr alle; das ist der Arnold, der Doktor; er kommt grade, da die Rosen blühen; und nun soll es auf der Villa Brunken ein paar seelenfrohe Tage geben!«

      Und in der Tat, heiter war es auf der Villa Brunken. Nach dem herzlichsten Willkommen saß ich bald unter diesen lieben


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